Kapitel 27

397 29 0
                                    

-Luana-

Seine Worte erschütterten mich bis unter die Knochen. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte, da ich fürchtete, egal was, es würde falsch sein. Aber ich wollte für ihn da sein.
Ich wollte einmal die jenige sein, die ihn sicher in den Arm nahm, so wie er es sonst immer bei mir tat.

,,Das tut mir so leid, Jo."flüsterte ich abgehakt. Er nickte wortlos und wir schwiegen eine Zeit lang, in der ich mich selbst dafür verfluchte, dass ich die Rolle des Ankers nicht ansatzweise so gut beherrschte wie er. Als ich in seine Augen sah, hatte sich sein Blick verändert. Er schien offener, als hätte er sich soeben dafür entschieden einfach loszulassen.
,,Wir haben es niemanden erzählt, außer unserer Eltern, haben jegliche Art von Hilfe, die uns geboten wurde, abgelegt, weil wir es bloß verdrängen wollten und Aiden sah keinen anderen Ausweg, als das Land für zwei verdammte Jahre zu verlassenen." Jo rieb sich mit den Händen über das Haar. Diese frustrierte Geste zerbrach mir fast das Herz.
,,Fuck, er hat mich mit dem Mist einfach alleine gelassen."

Ich umfasste seine Hand fester, um ihm zu versichern, dass ich für ihn da war. Den Umgang mit Worten hatte ich noch nie besonders beherrscht, denn ich schwieg die meiste Zeit. Doch wenn ich ihm durch eine einzige Geste das geben konnte, was er brauchte, dann sollte er es auch bekommen.

,,Ich bin nicht sauer auf ihn. Wirklich nicht. Nur wünschte ich, diese Reise hätte ihm damit geholfen. Er hätte es verdient. Immerhin war er derjenige, der uns alle aufhalten wollte. Ich fand es witzig. Aber weißt du was? Einen Scheiß hat es. Wir haben beide immer noch diese beschissenen Alpträumen."
Jo redete einfach drauf los. Zwischendurch war ich mir nicht mal sicher, ob er wirklich zu mir sprach.
Doch es gelang mir nun zu verstehen, warum sie immer so früh wach wurden... und dann einfach verschwanden.

,,Verdammt, wieso war ich so dumm? Ich hätte einfach zu Aiden stehen müssen. Vielleicht hätten die anderen auch darauf gehört und wir wären niemals in dieses Auto gestiegen."
Reue schwang in seiner Stimme mit und hinterließ bittere Verzweiflung in seinen Augen, die nun glasig schimmerten.
,,Du warst jung, Jo."sagte ich unsicher, wohlwissend, dass mir jederzeit etwas Falsches über die Lippen kommen könnte. ,,Jeder hat in seiner Jugend etwas getan, was er später bereut. Einige mehr, einige weniger."
Verdammt, ich hoffte, es wirkte nicht, als würde ich sein schreckliches Erlebnis runter spielen wollen. Doch er sollte wissen, dass er, obwohl er vielleicht schuldig war, nicht sein ganzes Leben vergeblich versuchen sollte, darüber hinwegzukommen.

Jo formte seine Hände vor dem Mund zu Fäusten, was dafür sorgte, dass meine Hand auf seinen Oberschenkel rutschte, und sah mich aus dem Augenwinkel heraus an. ,,Du auch?" fragte er leise nach. Als ich zustimmend seufzte, drehte er sein Profil interessiert zu mir.
Mit verzogenem Gesicht senkte ich den Blick, da die Erinnerungen einen bitteren Beigeschmack auf meiner Zunge hinterließen. Ich zog meine Hand wieder zurück und knetete sie nervös in meinem Schoß.

Für einen Moment war nur das Knistern des Feuers und das knackende Holz zu hören. Ich schwieg. Unwissend, ob ich das, was ich erlebt hatte, mit ihm teilen sollte. Aber er hatte es auch getan. Er hatte sich mir anvertraut und ich vertraute ihm. Dass mein winziges Geheimnis bei Jo sicher war, stellte ich noch nicht mal in Frage. Jo hackte nicht weiter nach. Er saß bloß dort und schien seine Gedanken zu sortieren, während sein Blick ruhig auf mir ruhte, als ich wieder aufsah. Es erstaunte mich, welche Ruhe ich aufeinmal in seinen Augen vorfand, obwohl wenige Minuten zuvor noch ein Tornado in ihnen getobt hatte.
Es war, als hätte er mir mir den Augen den letzten Mut zugesprochen, den ich grade gebraucht hatte.

Langsam nickte ich. ,,Ich habe nicht nein gesagt, als ich es hätte tun müssen. Hätte ich es getan, hätte ich mir viel Leid ersparen können."
Jo zog verwirrt die Brauen zusammen. Er konnte mir nicht folgen. Natürlich nicht. Ich hatte auch total in Rätseln gesprochen.
Dann räusperte er sich.
,,Zu... was nein sagen?" fragte er dann zögerlich.

Ich atmete tief durch. Die Erinnerungen bohrten sich in meinen Kopf und setzten sich in meinem Gehirn fest wie kleine ekelhafte Käfer. ,,Zu einem Typen." Jo biss die Zähne zusammen, was sein Gesicht sofort viel härter wirken ließ. ,,Ich war noch in der Schule mit ihm zusammen und als er mehr wollte, habe ich es zugelassen und ihm gegeben, was er wollte, bloß damit er mich nicht verließ und ich nicht alleine blieb. Die einzigen Freunde, die ich hatte, hatte ich dank ihm. Er hatte mich mit in seine Gruppe aufgenommen. Davor war ich schon immer sehr schüchtern und zurückhaltend gewesen."

Ich räusperte mich, als ich den altbekannten Druck in meiner Kehle wahrnahm. Mein Mund war plötzlich staub trocken. ,,Er hat meine zurückhaltende Art ausgenutzt...auch im Bett." fügte ich nach kurzer Überlegung hinzu. Jos Lippen öffneten und schlossen sich gleich wieder. Er richtete sich auf und ballte seine Hände zu Fäusten. ,,Hat er... verdammte hat der Typ dich vergewaltigt?" Er hielt den Atem an, verzog das Gesicht aufgrund seiner groben Ausdrucksweise, aber nahm es nicht zurück, weil er zu schockiert und zu neugierig auf die Antwort war. Ich schüttelte den Kopf- unschlüssig.

,,Ich habe es ja selbst gewollt. Für ihn, für seine Aufmerksamkeit, hätte ich alles getan, was er von mir verlangt hätte. Aber er war so grob und...er hat mir weh getan." Meine Wangen färbten sich rot. Es war so unangenehm darüber zu reden. ,,Hat er dich geschlagen?" Erneut schüttelte ich den Kopf. Es endete jedoch in einem unschlüssigen hin und her wiegen. ,,An einem Abend hielt er es für 'erotisch anziehend'. Ich bin weggelaufen." sagte ich mit leiser werdenden Stimme. Die Erinnerung schlugen auf mich ein und der Druck verbreitete sich nun auch hoch zu meinen Schläfen. Nicht weinen, Lu. ,,Von dem Moment an fing er an, seinen Freunden von unserem...Sex zu erzählen. Sie haben sich immer gemeinsam darüber lustig gemacht, dass..." Ich unterbrach mich selbst, als meine Sicht durch einen Tränenschleier verschwommen wurde und wand den Blick von ihm ab.

Jo legte eine Hand auf meine Schulter und als er leider von der Seite sah, wie eine Träne auf meine Wange tropfte, ließ er den Arm einmal um mich gleiten und zog mich an sich. Nicht grob, nicht fordernd. Er umarmte mich sanft, aber bestimmt und mit so einer Geborgenheit, dass es mir die Luft abschnürte und ich mich nicht mehr halten konnte. Ich stieß einen bemitleidenswerten Laut aus und verfluchte mich selbst dafür, während die Tränen wie Bächer über meine Wange flossen. Ich hatte die Kontrolle über mich selbst verloren. Und Jo hielt mich. Er hielt mich einfach nur fest in seinen Armen und strich mir beruhigend über das Haar.

,,Sie haben mich zur Witzfigur gemacht. Aber ich blieb sitzen. Ich kehre jeden verdammten Tag an diesen Tisch in der Pausenhalle zurück, um mir anzuhören, dass ich nicht gut genug, nicht sexy genug und mein Körper nicht reif genug war. Ich blieb mit ihm zusammen, obwohl ich längst wusste, dass er keinen Funken Liebe für mich übrig hatte."

Jo zog mich noch fester an sich und ich weinte. Ich weine bis ich keine Tränen mehr aufbringen konnte und Jos Shirt verräterische Spuren nachwies. Dann löste er sich etwas von mir, um mich ansehen zu können. ,,Ich würde dich niemals so behandeln, Luana. Wenn ich wüsste, wer dieser Typ ist, könnte ich ihm in den Arsch treten. Am liebsten würde ich ihm sagen wie sexy und schön dein Körper ist, in dem noch so viel mehr Wundervolles steckt und dass du so viel mehr verdient hast. Aber ich würde es nicht tun. Denn niemand muss jedes intimste Detail von dir wissen. Wie sagt man? Ein Gentleman genießt und schweigt. Und ich verspreche dir, sollte ich dir irgendwann mal weh tun und etwas tun, dass du nicht willst, wobei du dich unwohl fühlst, dann bin ich selbst die erste Person, die sich eigenständig dafür zum leiden bringt."

Ich konnte das kleine Lächeln auf meinen Lippen nicht zurückhalten. Mein Herz saugte Jos Worte auf, als wären sie das, was es zum überleben brauchte. Und obwohl ich ihm dafür hätte meinen tiefsten Dank aussprechen sollen, kam mir kein einziges Wort über die Lippen. Ich schätzte es so sehr, dass es mir die Sprache verschlug. Er umfasste mein Gesicht und strich mir mit seinem Daumen die Tränen von den Wangen. ,,Deshalb muss ich das jetzt noch einmal betonen; Sag mir, wenn es dir zu viel wird, ok? Ich höre sofort auf." Immerhin ein bloßes Nicken bekam ich zustande.

Dann löste ich mich von ihm, zog mir die Ärmel über die Handgelenke und wischte mir die letzten Tränen aus dem Gesicht. Ich schätzte, ich musste mal lernen, dass es in dieser Welt nicht nur hemmungslose Arschlöcher gab. Nur bereitete mir das sanfte Ziehen in meiner Brust, das ich bei Jos Blick empfand, trotzdem höllische Angst ein.

Damn smileWo Geschichten leben. Entdecke jetzt