Das letzte Konklave

462 27 2
                                    

Bevor das Konklave begann, saßen Roan und Sandrina zusammen. Sandrina wurde mit jedem Moment, der verging, nervöser. Sie hatte Angst, panische Angst. Beim Konklave war es niemandem erlaubt, in der Stadt zu sein, abgesehen von den Flammenwahrern, die verfolgten, wer im Konklave fiel. Die einzige Chance zu erfahren, was dort unten vorging, war wenn etwas direkt unter dem Raum passierte, in dem sich die Leute aufhielten, die vor dem Konklave an der Seite der Anwärter gestanden hatten. Dort befanden sich auch zwölf Kerzen, für jeden Anwärter brannte eine, starb er, so wurde sie gelöscht.

„Hab keine Angst vor dem, was kommt", sagte Roan schließlich liebevoll zu ihr, „egal wie das Schicksal heute über mich entschiedet – wir sehen uns bald wieder, so oder so."

Sandrina lief eine Träne die Wange hinunter, als sie nickte. Sie biss sich auf die Lippe, um diese am Zittern zu hindern. Sie sah Roan in die eisblauen Augen. Sein Gesicht war wieder mit der Azgeda Kriegsbemalung bedeckt.

„Ich bin mir sicher, dass du es schaffst. Aber falls du fällst", sagte Sandrina und schluckte hart, als sie den schlimmstmöglichen Ausgang des Konklaves aussprach, „wartest du dann auf der anderen Seite auf mich?"

Roan sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an, als wäre ihre Frage furchtbar dumm gewesen.

„Aber natürlich, ganz gleich wie lange es dauert", antwortete er ihr und wischte die Träne von ihrer Wange.

„Du würdest nicht lange warten müssen. Ohne dich würde ich nicht mehr weiterleben wollen. Und ich habe auch nicht vor in der Strahlenwelle zu verbrennen. Ich mache dem vorher ein Ende", stellte Sandrina über die Maßen überzeugt fest, „ich wünschte nur, dass ich wenigstens in deinen Armen sterben könnte."

Da rief einer der Flammenwahrer, dass sich die Anwärter nun auf das Schlachtfeld zu ihren Flaggen begeben sollten. Sandrina schluchzte unwillkürlich auf. Roan drückte ihr einen letzten Kuss auf den Mund, und begab sich anschließend zu den anderen Anwärtern. Doch dann drehte er sich noch ein letztes Mal zu ihr um.

„Was ich auf der Insel zu dir gesagt habe", begann er mit ernstem Tonfall, „das habe ich nicht gesagt, weil es bald zu Ende geht."

Sandrina wusste sofort, wovon er sprach. Er meinte den Moment, als er sie als seine Königin bezeichnet hatte.

„Wenn ich das Konklave gewonnen habe, und wir Praimfaya im Bunker mit unserem Volk überleben, dann werde ich dir das beweisen."

Sandrina stiegen erneut Tränen in die Augen und sie begann unkontrolliert zu schluchzen. Während ihr die Tränen in Strömen an den Wangen hinabflossen, nickte sie, um ihm zu zeigen, dass sie verstanden hatte. Roan nickte ihr daraufhin zu und drehte sich dann um. Gemeinsam mit den anderen Anwärtern begab er sich nach draußen auf das Schlachtfeld.

Als das Horn geblasen wurde, hörte Sandrina die Kampfgeräusche. Metall prallte auf Metall, Schmerzensschreie ertönten. Als sie verstummten, hörte sie Roans tiefe Stimme über den Platz erschallen, was den Hoffnungsschimmer in ihrem Herzen wachsen ließ.

Trikru ist gefallen!"

Die Kerzen der ersten Toten wurden gelöscht. Gaia, die Flammenwahrerin, die den Vorsitz beim Konklave hatte, nannte die Namen der Anwärter und ihren Clan. Trikru und Ingranronakru hatten das Konklave verloren.

Dein Kampf ist zu Ende", sagte sie nach den Namen der Anwärter.

Nach und nach wurden weitere Kerzen gelöscht, doch nun ging es langsamer vonstatten. Bis Sonnenuntergang waren die Hälfte der Anwärter gefallen. Um Mitternacht waren nur noch vier Krieger übrig: Luna, Octavia, Roan und eine Kriegerin von Podakru.

Sandrina hatte den Kopf in die Hände gestützt, während sie auf ihrem Stuhl saß. Ihre Beine wippten hektisch. Dann kam Gaia zu ihr und erlaubte ihr, Ausschau zu halten. Darauf wartete Sandrina schon seit Beginn des Konklaves und so verlor sie keine Sekunde, sondern schnappte sich das Fernglas und begab sich auf den Balkon, von wo auf sie auf das Schlachtfeld sehen konnte. Eilig suchte sie nach Roan und wurde immer unruhiger, je länger es dauerte, ihn zu finden.

Es dauerte fast eine Stunde, bis sie ihn endlich erspäht hatte. In der Dunkelheit hätte sie ihn beinahe nicht erkannt. Doch dann sah sie ihn auf einem großen Platz, wo Luna gerade die Kriegerin der Podakru getötet hatte. Roan ging auf sie zu, doch auch hinter Luna trat jemand in Erscheinung – Octavia.

Zuerst umkreisten sich die drei Krieger lediglich, aber dann griffen Roan und Octavia Luna gleichzeitig an. Sogar zusammen hatten sie Schwierigkeiten, gegen sie zu kämpfen. Sie war eine herausragende Kämpferin. Das war nicht weiter verwunderlich, immerhin war sie seit ihrer Kindheit zu einer Kriegerin erzogen worden, zusammen mit anderen Nightbloods, die später im Konklave um die Flamme gekämpft hatten. Sandrinas Herz pochte so schnell und stark, dass sie das Gefühl hatte, es würde jeden Moment aus ihrem Brustkorb hervorbrechen. Es klopfte so laut, dass Sandrina nicht einmal das Donnergrollen hören konnte.

Luna kämpfte wie ein Hurricane. Roan und Octavia hatten kaum Gelegenheit einen Gegenangriff zu starten, während sie ständig Lunas schnelle Hiebe mit dem Speer abwehren mussten. Als Luna Octavia mit einem Faustschlag ins Gesicht zu Fall brachte, machte Roan es ihr nach. Luna fiel zu Boden und Roan hob sein Schwert zum Todesstoß. Genau in diesem Moment brach die Wolkendecke über ihnen und ein Blitz erleuchtete die ganze Stadt. Ein heftiger Regenschauer prasselte auf sie alle nieder.

Octavia schrie schmerzerfüllt auf und rief Roan zu, dass er verschwinden und in Deckung gehen musste. In dem Moment wurde Sandrina klar, dass es schwarzer Regen war. Doch Roan reagierte nicht darauf, sondern rammte Luna sein Schwert in die Brust. Sandrina lächelte glücklich. Nicht nur, weil er Luna besiegt hatte, sondern weil ihm der schwarze Regen nichts anhaben konnte. Sandrina würde bald erklären müssen, was sie getan hatte, doch im Moment war ihr das egal.

Jetzt allerdings herrschte am Schlachtfeld die furchtbare Situation, dass Roan und Octavia gegeneinander antreten mussten. Sandrina stiegen die Tränen in die Augen, beim Gedanken daran, dass Roan Octavia töten würde, doch noch weniger ertrug sie den Gedanken, dass Roan starb.

Es verging eine weitere Stunde, in der nichts passierte und sich nicht das Geringste in Polis bewegte. Dann plötzlich wurde die Tür zum Saal, in dem sich Sandrina und die anderen befanden, aufgestoßen. Roan und Octavia kamen herein, Seite an Seite. Sie wurden misstrauisch beäugt, und Sandrina konnte es verstehen. Lange ließen sie die Menschen hier jedoch nicht in Ungewissheit.

„Seit wir denken können, bedeutete das Konklave stets, dass es nur einen Überlebenden geben kann. Mit diesem Wissen begannen wir auch dieses letzte Konklave", sprach Roan zu den Umstehenden und sah jedem einzelnen in die Augen, „doch in Zeiten wie diesen, in denen sich alles von Grund auf verändert, da sollten wir vielleicht auch unsere Art zu leben ändern.

Die Menge begann zu tuscheln. Gaia verzog verärgert das Gesicht, da erneut die Traditionen missachtet wurden. Viele schienen nicht zu verstehen, was hier vor sich ging, doch Sandrina konnte es sich bereits vorstellen. Ein feines Lächeln umspielte ihre Lippen, während sie den Worten des Königs von Azgeda lauschte.

„Hätte ich das Konklave gewonnen, hätten nicht einmal fünfhundert Menschen im Bunker überlebt", stellte Octavia fest, „und das obwohl mehr als doppelt so viele Platz darin finden. Im Bunker können zwölfhundert Menschen überleben. Ich bin der Meinung, und Roan ist es inzwischen auch, dass wir alle ein Menschenvolk sind, wir sind alle gleich. Deshalb sollten wir auch alle die Chance haben, zu überleben."

Ein Raunen ging durch die Menge. Sandrina verwunderte das Wort „alle" in Octavias Ausführungen. Nicht alle Menschen hatten im Bunker Platz. Doch Roan konnte ihre Verwirrung beseitigen.

„Jeder Clan, erhält hundert Plätze. Jeder Clan darf seine Überlebenden selbst wählen", sagte er, wobei inzwischen viele der Leute um ihn herum nickten.

„Die Anführer der Clans, werden sich dann zu einem Rat formieren, der in Zukunft über uns bestimmen wird. So obliegt diese Macht nicht allein einem einzigen. Auf diese Art wird kein Clan bevorzugt und wir können überleben. Zusammen."

Die Menge nickte zustimmend, einige wiederholten Octavias letztes Wort, weitere stimmten mit ein. Dann riefen es alle im Chor. Sandrina stimmte ebenfalls mit ein, während die Menge es wieder und wieder rief. Sie sah Roan an, der sich im Kreis drehte und dabei allen Menschen um sich herum ins Gesicht sah. Als er schließlich zu Sandrina schaute, verharrte er und nickte ihr lächelnd zu.

Auf gegnerischen Seiten - Roan kom AzgedaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt