Empty eyes

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Als langjähriger Freund und Mitbewohner von Sherlock Holmes darf ich vermutlich wagen zu behaupten, dass ich (neben seinem Bruder Mycroft natürlich) der Mensch bin, der diesen exzentrischen Detektiv am besten kennt. Seit ich Sherlock Holmes das erste Mal begegnet bin, fasziniert mich seine Art zu denken und sein eigenwilliges Wesen bereits, weshalb ich es mir erlaubt habe, unsere gemeinsamen Abenteuer mit der Feder festzuhalten um auch der Nachwelt noch von dem großartigen Tun meines besten Freundes berichten zu können. Die Leser lieben es, über unsere verschiedenen Fälle und auch über so manche Eigenart von Holmes zu lesen. Uns sollte es Recht sein; spülte es uns doch den ein oder anderen Penny mehr in unsere Haushaltskasse, Geld, das wir gut gebrauchen konnten. Natürlich lasse ich beim Schreiben das ein oder andere delikate Detail über gewisse Klienten weg und respektiere deren Privatsphäre genauso wie die von Holmes und mir selbst. Beispielsweise weiß ich, wie sehr er es hasst, Fehler zu machen, die ihn als normalen Menschen kennzeichnen könnten, weshalb ich sie oftmals mit meinen eigenen Fehltritten oder abstrusen Theorien kaschiere. Dies amüsierte ihn und heiterte ihn auf, warum also nicht?

Ich kläre meine Leser über einige seiner Eigenschaften und Gewohnheiten auf, wie etwa seinen Brauch während eines Falles nichts zu essen, die Schwankungen in seinem Gemüt oder sogar seinen Drogenkonsum...aber Vieles lasse ich auch im Verborgenen. 

Holmes lässt nicht nur wegen einem Fall ganze Mahlzeiten ausfallen und kleine Tobsuchtsanfälle seinerseits haben nicht immer mit unserer Arbeit zu tun. Über längere Zeit nun schon beobachte und analysiere ich nicht nur seine Denkvorgänge bei interessanten Mordfällen...sondern auch sein Verhalten und seine Gesundheit außerhalb des Detektivjobs, nämlich als mein Freund und Partner und habe mir als Mann der Medizin mein eigenes Urteil über seinen wirklichen Zustand gebildet...denn es wird immer schlimmer. 

Ich lese oder schreibe unsere Fälle nieder, wärme meine Füße am Kamin, während er immer häufiger seinen neuen Lieblingsplatz am Fenstersims aufsucht und nichts anderes tut als mit ausdrucksleeren Augen aus dem Fenster auf die dunkle Straße zu starren und dabei lässt er sich auch nicht von meinem absichtlich lauten Federkratzen oder meine Ausführungen über Mrs Hudsons vorzügliches Teegebäck stören, welche ihn immer so stören. Er ignorierte alles was ich tat und ging für seine Verhältnisse relativ früh zu Bett und wenn ich ebenfalls ins Bett kam, schlief er schon oder wenn nicht, rückte er weit genug von mir weg, als würde der Gedanke an irgendwelche Berührungen ihn erschrecken oder gar zuwider sein. Ich versuchte, darauf nichts zu geben, war er nach solchen Tagen sobald er aufwachte oftmals ein komplett anderer, offener als sonst und verschmust wie ein junges Kätzchen, amüsierte sich mit mir und unterhielt sich angeregt über Gott und die Welt...doch ich konnte nicht bestreiten das mich dieses ablehnende Verhalten gegen meinen Willen sehr verletzte. Dazu kam, dass die Spanne zwischen solchen Extremen immer kürzer wurde, seine Laune verschlechterte sich so sehr, dass nicht einmal ein neuer Fall ihn aufmuntern konnte. Schon oft musste ich Lestrade mit einer Ausrede abwimmeln und hilfesuchende Klienten vertrösten, ihnen sagen, dass der Detektiv leider zu beschäftigt mit einen anderen Fall war. Mittlerweile war ich ein Meister darin geworden, mir Ausreden und Entschuldigungen für meinen Freund auszudenken und obwohl er es nie ansprach, merkte ich doch, dass er mir dankbar war...

Heute war wieder einer solcher Tage...

Die grauen Augen, welche während eines Falls für gewöhnlich so überlegen glitzerten und stumm unsere Ignoranz verurteilten, schienen heute das Wetter, eine undurchdringliche Regenmauer, wiedergeben zu wollen. Seltsam leer und stumpf, beinahe wie sonst wenn er über einen Fall nachdachte, als wäre er schon längst woanders, wo man ihn längst nicht mehr erreichen konnte... Doch normalerweise war sein Gesicht dabei entspannt, beinahe schon friedlich, heute bebten seine schmalen Lippen, und er erweckte den Eindruck eines eingesperrten Tieres. Holmes war völlig regungslos, beinahe wie eine Statue und aus Erfahrung wusste ich, dass man ihn besser in Ruhe ließ wenn er dieses Stadium erreicht hatte. Heute jedoch würde ich es nicht darauf beruhen lassen...

"Gute Nacht, John", ertönte plötzlich seine Stimme, welche kaum mehr war als ein Flüstern. Blitzschnell griff ich als er an mir vorbeilief nach seiner schmalen Hand-sie war in den letzten Wochen sogar noch dünner und sehniger geworden-und hinderte ihn so am Weitergehen. "Sherlock..." Seine geröteten Augen blickten auf mich hinab...und schienen doch an mir vorbei zu starren. "Sherlock...sag...und zwar ehrlich...geht es dir gut?" Bei dieser Frage war sein Blick klarer so schien es mir. "Nein, John. Ich..." Er schluckte deutlich. "Mir...mir geht es momentan alles andere als gut..." Und dann, vermutlich das erste Mal seitdem ich ihn kenne, sah ich etwas feuchtes in seinen Augen glitzern, aber nur für den Bruchteil einer Sekunde, denn schon hatte er sie geschlossen und wirkte plötzlich so müde und ausgelaugt wie ich ihn noch nie gesehen hatte. "Komm her", sagte ich deshalb und breitete meine Arme aus, wodurch er überrascht seine Augen wieder öffnete. "Nähe ist was du jetzt brauchst und ich akzeptiere keine Widerreden! Du kriegst sogar ein ärztliches Attest von mir.." Ein seltenes Lächeln trat auf Holmes' Lippen und allein das war es schon wert... "Also gut..." Er krabbelte zu mir auf das Sofa. "Komm ruhig näher", meinte ich schmunzelnd und legte meinen Arm um ihn, so dass er halb auf mir lag und bemerkte erleichtert, wie er sich dichter an mich drängte. "Du bist warm...wunderbar warm", nuschelte er und ich musste über seinen lallenden Tonfall lachen. "Und du duftest gut", erwiderte ich, meine Finger fuhren durch sein dunkles Haar. An Tagen wie diesen verzichtete er auf seine normale Dosis Gel in den Haaren, was mir persönlich deutlich lieber war. "Ich hab nicht nur schlechte Erinnerungen an meinen Bruder, weißt du..." "Soll das jetzt 'n Appell sein das ich mehr Zeit mit Mycroft verbringen soll?" Vorwurfsvoll blickte er zu mir auf. "Nein, nein. Lass mich doch ausreden! Ich wollte sagen, dass ich meinen Bruder nicht nur als Trunkenbold kannte. Ich kannte auch seine guten Seiten. Als ich klein war beispielsweise hat er mir immer selbst erfundene Geschichten erzählt um mich aufzuheitern wenn ich traurig war..." An der Haut meines Nackens spürte ich, wie Holmes lächelte. "Schreibst du unsere Abenteuer deshalb so gern auf?" "Ja, und um der Nachwelt zu bezeugen, wie hinreißend mein Freund und Partner war..." Der Detektiv lachte leise als er einen Kuss auf die Wange gehaucht bekam. "Aber du hast mir nie erzählt wie es letztendlich zu diesem Bruch zwischen euch kam und warum ihm der Alkohol plötzlich wichtiger war..." An dem plötzlichen Umschwung meiner Stimmung schien er wohl bemerkt zu haben, dass er etwas Falsches gesagt hatte. "Tut mir leid, ich wollte nicht-" "Nein, schon gut", fiel ich ihm ins Wort und zog ihn wieder zu mir als er Anstalten machte, aufzustehen. "Harry war ein toller großer Bruder, aber... Menschen ändern sich...sogar die besten von ihnen", flüsterte ich. "Er verfiel in Depressionen nachdem seine erste Frau ihn verlassen hatte und begann zu trinken. Er war nie mehr der Alte. Der Alkohol war sein Ruin wie du richtigerweise deduziert hast.. Ich wollte ihm damals helfen...ihm beistehen wie er es für mich immer getan hat...aber er ließ es nicht zu..." Bitte lass mich das nicht nochmal durchmachen, Sherlock... Bitte lass mich dir helfen... Erst sagte er nichts, doch plötzlich thronte er über mir, eine Hand an meiner Wange und blickte mich aus Augen an, die endlich ihren alten Glanz wieder hatten. "Eine Sache haben dein Bruder und ich tatsächlich gemeinsam, die du sicher von selbst schon entdeckt hast.  Aber ich werde dich nicht mehr beiseite stoßen... Versprochen!" Diese Nacht schliefen wir besser als in den letzten Wochen... Mit dem Gefühl, den anderen besser verstehen zu können...

Holmes/Watson OneShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt