Das Geheimnis des Dr Watson

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Kleider machen Leute...zumindest in gewissen Maßen stimmte ich dieser bekannten Aussage zu. Klamotten waren längst nicht mehr bloße Wärmespender oder Schutz. Sie waren Erkennungsmerkmal der verschiedenen Schichten. Uniformen könnte man beinahe schon sagen. Ein Statement. 

Aber für mich...war meine Kleidung, oder eher Verkleidungen überlebensnotwendig. Sie waren mein Ticket in ein anderes Leben, in meinen Traumberuf... Mit meiner Kleidung konnte ich mich verstecken, verhüllen und ganz einfach das Leben eines anderen führen.  Zuvor musste ich aber jegliche Beweise meines vorigen Lebens beseitigen, Kontakte abbrechen...und das war zugegebenermaßen ein sehr einsames Leben... Ich hatte niemanden mehr, und so hatte ich auch nichts zu verlieren, als ich in Indien als Assistenzarzt eingesetzt werden sollte. Lange gelang es mir, meine Tarnung den anderen Soldaten gegenüber aufrechtzuerhalten. Es war nicht einfach, aber mit viel Durchhaltevermögen schaffte ich es dennoch. Eines schicksalhaften Tages jedoch erlag ich einer Kugel, die mich an der Schulter traf und den Knochen zerschmetterte. Ein langer Aufenthalt im Lazarett folgte, während dem meine Lüge schließlich aufflog...und so war meine Verletzung nicht der einzige Grund, wegen dem ich nach Hause geschickt wurde. Gebrochen und in ständiger Sorge, ich könne auffliegen, streifte ich durch London; verbrachte meine Abende beim Spiel in irgendeinem Pub oder einsam in meiner Pension. 

Das war, bis ich Mike Stamford, einem altem Studienkollegen begegnete. Froh über ein wenig Gesellschaft erzählte ich ihm alles über Afghanistan was er wissen wollte (wobei ich einen gewissen Teil ein wenig änderte). Als ich erwähnte, wie hoch die Preise für eine Wohnung in London wären und das ich meine eigene mit meiner niedrigen Militärspension kaum bezahlt bekäme, wurde Stamford recht nachdenklich und erwähnte einen gewissen Holmes, der wohl ein ähnliches Problem wie ich hatte. Ob ich ihn kennenlernen wollte? Gewiss doch; am selben Mittag noch besuchten wir den Mann, den Stamford als ein wenig exzentrisch beschrieben hatte. Unter Stamfords Ausführungen hatte ich mir eine gänzlich andere Person vorgestellt... Im Barts trafen wir aber auf einen blutjungen Burschen, dessen Erscheinung auf Fleiß und Liebe zu dem was er tat schließen ließ. Natürlich war das nur MEIN erster Eindruck. Er schien erfreut über die Vorstellung, sich eine Wohnung mit mir zu teilen und löcherte mich mit allerlei Fragen. Ob starker Tabakgeruch mich störte? Ich rauche selber. Würde ich mich durch gelegentliche chemische Experimente belästigt fühlen? Keineswegs. Er redete oft tagelang nicht und ich solle ihn dann einfach in Ruhe lassen, er hänge zudem sehr an seiner Privatsphäre und würde mir natürlich auch genug lassen, sei das in Ordnung? Sogar geradezu perfekt! Ob ich auch Eigenarten zu beichten hätte? Außer meiner Bulldogge und meine Lärmempfindlichkeit fiel mir nichts ein und so gingen wir beide auseinander, wobei mir diese Begegnung auch Stunden später im Kopf herumschwirrte. Als Stamford und ich zu ihm stießen hatte er gerade an einem Experiment, dessen Bedeutung mir noch immer schleierhaft war, gearbeitet, und vor lauter Eifer über seine Entdeckung hatte er mich am Ärmel gepackt um es mir zu zeigen; eine Berührung, die mich fast reflexartig den Arm zurückziehen ließ, im letzten Moment aber konnte ich mich noch beherrschen. Ob er wohl etwas gemerkt hatte? Sein Gesicht verriet jedenfalls nichts, doch...mir fiel auf, dass mich seine intelligenten, beinahe schon stechenden Augen zu fixieren schienen. Beunruhigt hatte ich meine Schultern gestrafft, durch die bei dieser Berührung ein stechender Schmerz jagte, und meinen Anzug glatt gestrichen. Und noch etwas wollte mir nicht aus dem Kopf gehen... Er wusste, dass ich aus Afghanistan gekommen war, ohne dass Stamford oder ich etwas Ähnliches erwähnt hatten. Als ich ihn danach fragte, hatte er nur abgewunken...aber jetzt wunderte ich mich...wenn er von Afghanistan wusste...wusste er dann auch, warum ich wieder hier war?

Die Bakerstreet war eine angenehme Wohngegend und Holmes war, so stellte sich heraus, ein ebenso angenehmer Mitbewohner. Oft tat er nicht viel außer träumen, werkelte an einem Experiment herum, oder empfing in unserem Wohnzimmer Klienten (Gott weiß, was dieser Mann beruflich tat...), was mir ziemlich gelegen kam. Während dieser kurzen Zeiten zog ich mich in mein Zimmer zurück und gönnte mir eine Pause von dieser ganzen Maskerade, erlaubte mir, für wenige Momente ich selbst zu sein. Hörte ich seine Gäste verschwinden, verweilte ich eine Weile so, bis ich wieder genug Kraft gesammelt hatte, das Schauspiel fortzuführen und ihm wieder Gesellschaft zu leisten, mit ihm einen Tee zu trinken und die alltäglichsten Dinge zutun. Eine Tarnung aufrechtzuerhalten kostete Kraft... 

Holmes/Watson OneShotsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt