Kapitel 2 - Neuanfang

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Caros Sicht

Als ich aufwachte, schoss es mir sofort durch den Kopf. Heute war es soweit. Heute war mein erster Arbeitstag in der Praxisgemeinschaft. Ich setzte mich aufrecht hin, streckte mich und war noch etwas schlaftrunken, aber gleichzeitig hellwach. Aufregung machte sich so langsam in mir breit und ich merkte ein leichtes Kribbeln in meinem Bauch. Vorsichtig befreite ich mich von meiner Decke und tappste zum Fenster. Als ich es einen Spalt breit öffnete, spürte ich sogleich einen kühlen Luftzug. Draußen war es dunkel und es schien, als schliefe ganz Eisenach noch. In der Ferne konnte ich die Wartburg erkennen. "Herzlich Willkommen, Neuanfang.", flüsterte ich in den grauen Morgen. Alles war ruhig und friedlich. Nur der Wind schaukelte die Stadt sachte in ihren Schlaf, wie eine Mutter ihr Kind in seinem Bettchen. Von irgendwo stieg der Duft von frischem Brot in meine Nase und erst jetzt merkte ich, wie hungrig ich war.
Nachdem ich meinen Hunger mit einem Müsli gestillt hatte, widmete ich mich meinem Aussehen, schließlich wollte ich an meinem ersten Arbeitstag einen positiven Eindruck hinterlassen. Mir fiel dieser eine Kollege wieder ein. Hatzfeld oder so ähnlich. Ach nein, von Hatzfeld, darauf legte er viel Wert, das war mir schon bei einem kurzen Gespräch mit ihm aufgefallen. Nett war er, aber auch ziemlich arrogant. Aber irgendwie mochte ich ihn, weshalb ich mich freute, ihn wiederzusehen.
Ich bürstete meine Haare, zog einen royalblauen Pullover mit einer hellen Jeans an und trug etwas Make-Up auf. Da mir Natürlichkeit wichtig war und ich mich eigentlich auch ohne Schminke mochte, beließ ich es bei Mascara, Rouge und Abdeckstift. Abschließend sprühte ich mich noch mit meinem Lieblingsparfum ein und betrachtete mich dann im Spiegel. Das Ergebnis gefiel mir. Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich noch eine halbe Stunde hatte, bis ich in der Praxis sein musste. Um keinesfalls zu spät zu kommen, zog ich mir eine Jacke über, schnappte meine Tasche und verließ die Wohnung.
Da ich glücklicherweise eine Immobilie unweit von der Praxis ergattert hatte, konnte ich meinen Arbeitsweg von nun an zu Fuß antreten.
Wenige Minuten später erreichte ich die Praxis in der Stadtmitte. Bevor ich die Tür öffnete, fiel ein großes Schild in mein Sichtfeld. Dr. Carolin von Thelen prangte dort neben den Namen der anderen Kollegen in großen Buchstaben. Ich musste lächeln, als ich es sah. Ärztin, das war schon immer mein großer Traum gewesen. Schon als Kind schleppte ich meinen heiß geliebten Kinderarztkoffer überall mit mir rum. Nichts und niemand konnte mich damals von der Idee abringen, eines Tages als Ärztin zu arbeiten. Jetzt sollte mein Traum endlich wahr werden.
Als ich die Praxis betrat, blieb ich nach wenigen Metern verwundert stehen.

Timos Sicht

"Frau Thelen?", fragte ich erstaunt. Normalerweise hatte ich die Praxis bis kurz vor Arbeitsbeginn für mich allein. In dieser Zeit hörte ich Musik und entspannte. Ich hatte ja nicht geahnt, dass Frau Dr. Thelen schon so zeitig kommen würde.
"Herr von Hatzfeld", antwortete sie selbstsicher, gab mir die Hand und meinte: "Dann sind wir jetzt wohl offiziell Kollegen." Was sollte ich jetzt sagen? Ich wunderte mich über mich selbst, eigentlich war ich sehr selbstbewusst und wusste mich zu artikulieren, aber in diesem Moment fehlten mir die richtigen Worte. Ob das an ihrer Anwesenheit lag? "Ja. Willkommen im Team.", antwortete ich, weil mir nichts Besseres einfiel. Einen kurzen Moment schauten wir uns an. Sie sah hübsch aus. Ihr blauer Pullover passte hervorragend zu ihren dunklen Haaren. In ihren Augen erkannte ich wieder dieses Strahlen. "Sie können meine Hand jetzt übrigens wieder loslassen.", unterbrach sie unseren Blickkontakt. Ich schaute zu meiner Hand hinunter und bemerkte, dass ich ihre Hand noch festhielt. "Klar. Entschuldigung.", sagte ich. Gott, wie unangenehm, sowas passiert mir doch sonst nie. "Hören Sie eigentlich immer so laute Musik, wenn sie sich unterhalten?", fragte sie und musste schmunzeln. Erst jetzt nahm ich wahr, dass die Musik, die ich zuvor angemacht hatte, noch immer lief. Wie konnte es sein, dass ich plötzlich so neben der Spur war? Zuerst das mit dem Händeschütteln, jetzt die Musik. Hoffentlich bemerkte sie meine Nervosität nicht, schlimmstenfalls hielt sie sich noch für den Grund dafür. Nun ja, war sie das nicht auch? - Nein Timotheus, du würdest dich doch nicht von einer neuen Kollegin in Verlegenheit bringen lassen, redete ich mir ein. Ich atmete unauffällig tief durch, um mich zu beruhigen.
"Nein normalerweise nicht, aber wenigstens höre ich Musik. Sie hören sicherlich nur Rock, so wie ich sie einschätze!", hörte ich mich selbst sagen. Es klang ziemlich abgehoben und kalt. Die Worte waren mir irgendwie aus dem Mund gerutscht. Vielleicht wollte ich ihr einfach klar machen, dass ich ihr - zumindest hier in der Praxis - überlegen und höhergestellt war. Schließlich war ich im Gegensatz zu ihr Partner und nicht nur Angestellte und könnte theoretisch Musik hören wann und wo ich möchte. Trotzdem tat es mir leid, dass ich sie direkt so angegangen hatte. Sie hatte ja Recht, es war unhöflich von mir, die Musik nicht auszumachen, außerdem hatte sie es sicherlich nicht böse gemeint. Wahrscheinlich dachte sie spätestens jetzt, dass ich ein Spinner wäre.
"Interessante Vermutung.", sagte sie nur und legte die Stirn in Falten, so als ob sie nachdenken würde, lächelte währenddessen aber trotzdem. Sie schien unermüdlich mit ihrer guten Laune. Das beeindruckte mich, denn ich war jemand, den man mit Sticheleien leicht aus der Ruhe bringen konnte. Sie öffnete gerade ihren Mund, um etwas zu sagen, wurde aber von den anderen Kollegen unterbrochen, die nun den Raum betraten. "Na dann bis später, Herr Kollege.", raunte sie leise und drehte sich in die Richtung der anderen, um sie zu begrüßen.
Was sie mir wohl noch sagen wollte?

Familie Dr. Kleist - Mehr als KollegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt