Timos Sicht
Als Caro am nächsten Morgen die Praxis betrat, wartete ich schon nervös auf sie. Sehnlichst hoffte ich, dass wir uns endlich wieder versöhnen würden. "Können wir bitte red-" - "Ich hab jetzt keine Zeit zum Reden.", wimmelte sie mich kühl ab und ließ mich im Flur stehen. Einen Moment lang stand ich fassungslos da. Ich konnte ja verstehen, dass sie sauer war, nachdem sie mich am gestrigen Tag mit einer anderen Frau in der Stadt gesehen hatte. Um ehrlich zu sein, hätte ich wahrscheinlich nicht anders reagiert, wenn ich sie mit einem anderen Mann gesehen hätte. Aber solang sie mir kein Gespräch ermöglichte, war es für mich unmöglich, ihr zu erklären, dass alles ganz anders war als sie dachte. Einerseits tat es mir leid, dass ich sie damit scheinbar so verletzt hatte, aber andererseits nervte es mich, dass sie sofort den Teufel an die Wand malte, obwohl sie die Hintergründe meines Treffens nicht kannte. In der letzten Nacht hatte ich kaum geschlafen, weil ich die ganze Zeit gegrübelt hatte, wie ich es ihr sagen könnte. Zu einem hilfreichen Resultat war ich trotzdem nicht gekommen.
Nachdem ich Nora zweimal nach Laborergebnissen gefragt hatte, die sie mir schon längst gegeben hatte, nahm sie mich beiseite in die Teeküche, um mit mir zu reden.
"Timo, was ist denn los? Sie sind doch sonst nicht so neben der Spur.", begann sie das Gespräch ruhig und forderte mich auf, den Grund dafür zu nennen. Seufzend ließ ich mich auf einen der Stühle sinken. Eigentlich wollte ich ihr ungern von Caro erzählen, weil ihr Verdacht, dass ich mich in Caro verliebt hätte, sich damit bestätigen würde, aber ich hatte das Bedürfnis, mit jemandem darüber reden. Ich beschloss die Details wie das Konzert und den anschließenden Spaziergang in meiner Erzählung auszulassen und mich auf das Relevante zu beschränken. Ziemlich durcheinander erzählte ich ihr von der Begegnung in der Stadt und davon, dass Caro nicht mit mir reden wollte und völlig abblockte. Als ich fertig war, konnte Nora sich ein Grinsen nicht verkneifen und meinte triumphierend: "Aber wenn Frau Thelen Ihnen egal wäre, würden Sie sich nicht den Kopf über den Streit zerbrechen." Auch wenn ich es nicht zugeben wollte, musste ich ihr doch zustimmen. Obwohl ich wusste, dass es sich lediglich um ein Missverständnis handelte, hatte ich Angst, dass sie nichts mehr von mir wissen wollte.
"Schicken Sie ihr doch eine Brieftaube oder eine Flaschenpost. Das wäre so altmodisch und romantisch.", schlug Nora spaßhaft vor. Plötzlich ging mir ein Licht auf und mir kam eine Idee. Wenn Caro mir nicht zuhören wollte, musste ich mich ihr eben anders mitteilen. "Sie sind ein Schatz, Nora.", bedankte ich mich freudig und ging wieder zurück an meinen Schreibtisch in der Radiologie. Am liebsten hätte ich meinen Einfall sofort in die Tat umgesetzt, aber nun musste ich mich erstmal meiner Arbeit widmen.Als ich abends endlich zu Hause war, setzte ich mich an meinen Schreibtisch im Bürozimmer. Ich öffnete eine Schublade, zog Briefpapier heraus, zückte einen Stift und begann, einfach drauf los zu schreiben. Der Füller flog nur so über die Zeilen und ich ließ meinen Gedanken freien Lauf. Es tat gut, alles, was sich in meinem Kopf angestaut hatte, aufzuschreiben. Erst jetzt wurde mir bewusst, wieviel Caro mir bedeutete und wie immens groß der Platz war, den sie in meinem Herzen eingenommen hatte. Die Zeit, die ich mit mir verbracht hatte, war wunderschön und hatte mich aus diesem schwarzen Loch, in das ich wegen Lisa gefallen war, herausgeholt. Auch wenn seit unserem Konflikt, falls man das Geschehene überhaupt als solches betiteln konnte, gerade mal ein Tag vergangen war, vermisste ich sie irgendwie. Ich hatte mich so an sie gewohnt, dass es jetzt komisch war, sie nicht um mich herum zu haben. Mit ihr war alles so leicht und unbeschwert.
Nachdem ich fertig mit Schreiben war, las ich mir das Geschriebene noch einmal durch. Anschließend faltete ich den Brief zweimal, schob ihn in einen Umschlag und schrieb in schnörkeligen Buchstaben "für meine Carolin" vorne darauf. Eine Weile überlegte ich, ob ich ihn ihr wirklich geben sollte. In diesem Brief standen all meine Gefühle und Gedanken geschrieben. Was, wenn sie wie Lisa damals nichts damit anzufangen wusste und es am Ende wieder scheitern würde? Auch Lisa hatte anfangs noch mit mir geflirtet und mir dann später klargemacht, dass das mit uns beiden keine Zukunft hätte. Im Gegensatz zu mir war es ihr nicht ansatzweise schwergefallen, sich von mir zu lösen. Ich hingegen hatte noch Monate danach damit zu kämpfen. Natürlich hatte ich es ihr gegönnt, dass sie sich nach unserer Affäre wieder mit Michael, ihrem Ehemann, vertragen hatte, aber für meine Gefühlslage hatte sich zu diesem Zeitpunkt niemand interessiert.
Tief in mir drin war ich mir trotzdem sicher, dass Caro sowas nicht machen würde, weil ich wusste, wie integer und loyal sie war. Außerdem konnte man Caro nicht mit Lisa vergleichen, da es zwei unterschiedliche Personen waren, die individuell und unterschiedlich auf Dinge reagierten.Entschlossen ging ich zur Garderobe im Flur, zog mir einen Mantel über und verließ das Haus. Es war Freitag und demnach auf den Straßen ziemlich viel los, doch trotzdem marschierte ich auf direktem Weg zu Caro. Sie wohnte in einem kleinen Mehrfamilienhaus, das nur wenige Meter von der Praxis entfernt war. Es war ein Fachwerkhaus mit alten Gemäuern und dunklen Holzbalken. Neben der großen Eingangstür hing für jeden Bewohner des Mehrfamilienhauses ein Briefkasten. Auf einem der Schilder las ich den Namen Thelen. Einen Moment zögerte ich und trommelte nervös mit dem Finger gegen das Blech des Briefkastens. Noch konnte ich einen Rückzieher machen. Bevor ich mich noch einmal umentscheiden konnte, warf ich den Umschlag hinein. Ich blies die Backen auf und ließ die Luft zischend wieder entweichen. Nun war es unwiderruflich. Solang sie den Brief nicht zerreißen, verbrennen oder ihn auf eine andere Art und Weise malträtieren würde, würde sie ihn lesen. Ich versuchte, mir ihre Reaktion vorzustellen. Ob sie sich freuen würde? Oder ob sie dadurch vielleicht noch wütender werden würde? Nach ihrem Wutausbruch gestern an der Arbeit konnte ich mir alles vorstellen.
Ich trat einen Schritt zurück und blickte hoch zu den Fenstern, die zu ihrer Wohnung gehörten. Vielleicht hatte sie ja gerade Fernweh und guckte heraus? Mit dem Blick zu dem von roten Fensterläden verschlossenen Fenster, begrub ich die Hoffnung, sie könnte mich gesehen haben und runterkommen, um sich mit mir zu versöhnen.
Erleichtert und doch irgendwie schwermütig machte ich mich wieder auf den Weg nach Hause.
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Familie Dr. Kleist - Mehr als Kollegen
FanfictionDie an die erfolgreiche TV-Serie Familie Dr. Kleist angelehnte Story handelt von zwei jungen Ärzten, die sich bei der Arbeit kennenlernen. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein, Timo ist arrogant und handelt rational, Caro hingegen ist liebevoll...