Kapitel 8 - Schwerelos

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Caros Sicht

Routinemäßig öffnete ich, als vom Einkaufen zurück war, den Briefkasten. Mehrere Briefe fielen mir entgegen und ich versuchte sie aufzufangen, was sich als gar nicht so einfach gestaltete, weil ich in der linken Hand ein Sixpack Flaschen und in der rechten einen Einkaufskorb trug. Mit ganzem Körpereinsatz gelang es mir schließlich, die Briefe in den Korb zu legen.
Nachdem ich den Einkauf in den Kühlschrank und in die Schubladen einsortiert hatte, widmete ich mich den Briefen. Einer beinhaltete eine ausstehende Rechnung, in dem anderen befand sich nur Werbung. Auf dem dritten Brief konnte ich weder einen Absender noch einen Empfänger finden. Ich wendete den Brief und sah dort in schnörkeliger Schreibschrift die Wörter für meine Carolin geschrieben. Die Schrift kam mir nicht bekannt vor. Aber wer würde mich als seine Carolin bezeichnen? Für einen kurzen Augenblick dachte, beziehungsweise hoffte ich, Timo sei der Absender des Briefes, doch ich verwarf den Gedanken schnell wieder. Wieso sollte er mir einen Brief schreiben? Mittlerweile war ich ihm wohl eher einen Entschuldigungsbrief wegen meines dummen Verhaltens schuldig. Außerdem hätte ich Timo als zu unromantisch eingestuft, als dass er auf die Idee kommen würde, mich mit so einem Schreiben zu überraschen. Neugierig öffnete ich den Umschlag und faltete den Brief auseinander. Mein Herzschlag setzte einen Moment aus, als ich auf die vollgeschriebenen Zeilen blickte. Ich kannte die Schrift und den Verfasser des Briefs sehr wohl. Es war tatsächlich Timo. Meine Intuition hatte nicht gelogen. Aufgeregt begann ich zu lesen.

Liebe Carolin,
bitte entsorge diesen Brief nicht voreilig, bevor du ihn gelesen hast. Da du nicht mit mir sprechen möchtest (was ich verstehen kann), habe ich versucht, meine Gedanken niederzuschreiben. Mit diesem Brief gebe ich dir den Schlüssel zu meinem Herzen, also pass bitte gut darauf auf.
Ich weiß, dass du wütend, aber vor allem enttäuscht von mir bist und das kann ich auch nachvollziehen, aber es gibt keinerlei Gründe dafür. Die Frau, mit der du mich letztens bei Luigi gesehen hast, ist nicht meine Freundin, sondern meine Schwester. Ich habe sie mehrere Jahre nicht gesehen, weil sie im Ausland gearbeitet hat und mich deshalb sehr gefreut sie wiederzusehen. Es tut mir leid, dass ich dir davor nicht Bescheid gegeben habe, dass ich mich mit ihr treffe, aber ich habe selbst erst wenige Stunden davor erfahren, dass sie nach Eisenach zurückkehrt und in meiner Eile nicht daran gedacht, es dir mitzuteilen. In meinem Leben wäre überhaupt kein Platz für eine andere Frau, denn diesen Platz hat längst jemand anderes eingenommen: du. Du hast die Leere, die in meinem Herzen entstanden ist, endlich wieder gefüllt. In den letzten Wochen habe ich dich so tief in mein Herz geschlossen und gemerkt, dass du ein Teil von mir geworden bist. Noch nie habe ich einen Menschen so bedingungslos geliebt wie dich.
Als ich dich das erste Mal gesehen habe, ist mir dieses wunderschöne Strahlen in deinen Augen aufgefallen und es hat mir so wehgetan, es in den letzten Tagen nicht an dir gesehen zu haben und auch noch der Grund dafür zu sein. Du bist mein Stern und meine Sonne, dein Strahlen bringt Licht und Wärme in mein Leben und auch wenn wir uns gerade nicht sehen können, weiß ich, dass du da bist. Ich war schon lang nicht mehr so glücklich wie jetzt, wo du in mein Leben gestoßen bist. Ich habe jeden einzelnen Augenblick mit dir genossen und ich hoffe, dass wir noch viel mehr miteinander erleben können. Du hast mir gezeigt, dass ein Mensch wie du, mit dem man über alles reden kann und der einen so nimmt, wie man ist, unbezahlbar ist. Du bist mein kostbarster Schatz, den ich mir von niemandem wegnehmen lasse. Uns verbindet mehr als das Medizinstudium oder derselbe Musikgeschmack, so übertrieben es auch klingen mag, ich habe das Gefühl in dir meinen Seelenverwandten gefunden zu haben. Du bist der rettende Hafen in meinem Ozean, der mich vor allen Stürmen dieser Welt schützt und ich hoffe, du kannst mir wieder vertrauen und ich kann derselbe für dich sein.
Seit unserem Streit muss ich ständig an dich denken und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dieses Missverständnis endlich aus der Welt zu schaffen. Als Wiedergutmachung möchte ich dich morgen Abend um 18 Uhr zu einem Dinner bei mir zu Hause einladen. Ich würde mich freuen, wenn du kommst. Du fehlst mir.
Dein Timo

Etwas Nasses tropfte auf den Brief und die Buchstaben an dieser Stelle verschwammen. Es waren meine Tränen. Ich weinte vor Erleichterung und vor Freude. In meinem Inneren verspürte ich so ein großes Glück, wie ich es niemals zuvor empfunden hatte. Noch nie hatte ich so etwas Schönes bekommen und dass es von Timo war, machte es noch mindestens hundertmal schöner. Ich konnte nicht fassen, dass er mir seine Gefühle so offen mitgeteilt hatte, weil ich ja genau wusste, wie schwer es ihm fiel. Es kam mir so bescheuert vor, dass ich wegen seiner Schwester so böse auf ihn gewesen bin und dass ich seine Versuche, mir die Sache zu erklären so kühl abgeblockt hatte. Am liebsten wäre ich sofort zu ihm gegangen, um mich zu entschuldigen, aber jetzt musste ich bis morgen abwarten.

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