KEIGHAN
„Lass mich los!", knurrte das kleine Mädchen mit den kurzen, blonden Locken unter ihm. Sie trat wütend mit ihren Füßen um sich, doch Kee wich ihren Tritten geschickt aus. Kee verlor langsam die Geduld und fing an, seinen riskanten Plan nochmal zu überdenken.„Halt endlich still, ich will dir nichts tun!", knurrte er leise in ihr Ohr. Sein Herz pochte laut in seiner Brust. Er hatte nicht viel Zeit, bevor Ash bemerken würde, dass sie verschwunden war.Das Mädchen holte tief Luft und setzte zum Schreien an, doch Kees Hand schnellte hervor und legte sich auf ihren Mund, bevor das Ganze noch in einem Desaster enden konnte. Sie blickte mit vor Wut blitzenden Augen zu ihm auf, doch Kee konnte sie nicht täuschen. Er sah die Angst in ihren blauen Augen, die sie so verzweifelt versuchte, vor ihm zu verstecken.„Halt den Mund. Sonst sind wir beide dran", zischte Kee verärgert. Umso mehr Zeit sie hier verschwendeten, desto gefährlicher wurde es für ihn.Gerade, als sie aufhörte, sich zu wehren und er dachte, er hätte sie endlich unter Kontrolle, biss sie ihm mit voller Kraft in die Hand. Kee ließ instinktiv von ihr ab und fluchte vor Schmerz.„Ich bin nicht alleine", hörte er sie plötzlich mit fester Stimme sagen. „Wenn ich nicht gleich zurückkomme, wird mein Freund merken, dass etwas nicht stimmt und nach mir suchen und dann hast du ein Problem", fauchte sie.Kee verdrehte genervt die Augen und inspizierte seine Hand. Wenigstens blutete es nicht. „Ich weiß, dass du nicht alleine bist. Hier geht's auch nicht um dich, sondern um ihn."Das Mädchen kniff ihre hellen Augen zusammen und richtete sich langsam auf. „Woher weißt du das? Wer bist du?", fragte sie, ihre Stimme schärfer als die Klinge seines Schwertes. Kee antwortete ihr nicht sofort und spürte, wie ihr Blick misstrauisch über seine Gesichtszüge wanderten. Er wollte gerade den Mund öffnen, um etwas zu erwidern, als ihre Augen plötzlich groß wurden und sie erstaunt sagte, „Ich kenne dich!" Kee musste sich davon abhalten, nicht noch einmal die Augen zu verdrehen. „Du hast mir mal geholfen, als ich nichts zum Essen für uns finden konnte. Ash war so wütend auf mich, weil Soraya unser ganzes Essen aufgefressen hat und ich konnte-", sie stoppte sich selbst mittem im Satz, als sie realiserte, dass sie vor lauter Aufregung angefangen hatte, sinnlos zu brabbeln. Sie verzog ihren Mund zu einer schmalen Linie. Egal, wie mutig und reif sie vorgab zu sein, dachte Kee, sie war eben doch nur ein Kind.„Verfolgst du uns?", fragte das Mädchen, diesmal triefte ihre Stimme vor Feindseligkeit. Wenn sie doch nur wüsste, dass Kee der Letzte war, der ihnen etwas antun würde...Kee richtete sich von seiner knienden Position auf und lehnte sich an den Baum hinter ihm. „Dasselbe könnte ich euch fragen."Es dauerte nicht lange, bis Jean verstanden hatte, was er damit offenbarte. Sie war keineswegs dumm. Er konnte sehen, wie ihr Mund mit einem ungläubigen Gesichtsausdruck seinen Namen formte.„Du!", atmete sie schockiert.„Ich", sagte Kee trocken.Das Mädchen suchte vergebens nach Worten. Sie öffnete ihren Mund, und schloss ihn wieder, sah dabei aus, wie ein Fisch am Land, der nach Luft schnappte. Kee musste bei dem Gedanken beinahe lachen. Aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt.„Aber... Ash-", stammelte sie unbeholfen, bis Kee einen Schritt nach vorne trat und sie fest an den Schultern packte.„Hör mir zu", sagte er eindringlich, „Ash darf hiervon nichts wissen. Wenn er dir auch nur halb so viel bedeutet wie mir, dann musst du ihn davon abhalten, in diese Höhle zu gehen."Jean wurde unter seinem schweren Blick bleich, „Woher weißt du-"„Unwichtig", schnitt er ihr das Wort ab. „Fakt ist, wenn ihr da reingeht, kommt ihr da nicht wieder lebend raus."Seine Worte schienen etwas in Jean zu bewirken. Plötzlich kniff sie ihre Augen zusammen und schiebte in einer wütenden Bewegung seine Hände von ihren schmalen Schultern. „Drohst du mir?", fauchte sie.„Drohen?", lachte Kee unbeholfen. „Ich versuche euch gerade das Leben zu retten!"Das Mädchen trat mit einem angewiderten Ausdruck auf ihrem zarten Gesicht zurück. „Du bist ein Feigling."„Ein Feigling?" echote Kee verwirrt und konnte spüren, wie sich seine Frustration in Zorn verwandelte. Sie verstand überhaupt nichts. Sie hatte keine Ahnung, was er gerade alles riskierte. Und er sollte der Feigling sein?„Ash sucht seit Ewigkeiten nach dir. Ich verstehe nicht, was ihm an dir liegt, aber du bist ihm wichtig genug, dass er seit knapp zwei Jahren ununterbrochen nach dir sucht. Und du? Du bist hier und-"„Denkst du, das weiß ich nicht?", fuhr er sie an und interessierte sich nicht dafür, dass sie nicht ausreden konnte. „Ich weiß, dass er mich sucht. Aber du hast keine Ahnung, in was für eine Gefahr er sich damit begibt. Er muss endlich damit aufhören."„Dann sag es ihm", sagte sie simpel. Als wäre das das Offensichtlichste auf der Welt.„Ich? Hörst du mir überhaupt zu?"„Ich hab dir zugehört", erwiderte sie und reckte mit blitzenden Augen ihr Kinn. „Aber Ash wird nicht auf mich hören. Die einzige Person, auf die er hören wird, bist du. Ash wird nicht eher aufhören, dich zu suchen, bis er dich gefunden hat. Egal, was es kostet."Kee hielt ihren stechenden Blick nicht mehr aus und schaute weg. Würde sie wirklich wissen, was alles auf dem Spiel stand, würde sie das nicht von ihm verlangen. Schon allein bei dem Gedanken daran, Ash gegenüber zu stehen und ihm sagen zu müssen, dass er Kee vergessen musste, wurde ihm schlecht. Kee würde alles dafür geben, noch einmal mit Ash reden zu können. Aber er war nicht bereit dafür, dass Ash ihn losließ. Kee war bewusst, dass Ash das tun musste, aber er konnte nicht derjenige sein, der ihn dazu veranlasste. Es würde Ash das Herz brechen und zu wissen, dass er dafür verantwortlich war, würde ihn innerlich zerstören.„Das geht nicht", sagte Kee schließlich, ohne das Mädchen anzuschauen.Im Augenwinkel sah er, wie sie unbekümmert mit den Schultern zuckte. „Dann werden wir morgen in die Höhle gehen."„Nein!", rief Kee laut und erschrak sich damit selbst. Er senkte seine Stimme wieder. „Das geht nicht. Ash kann da nicht reingehen, du verstehst das nicht." Er hoffte, dass die Dringlichkeit in seiner Stimme sie überzeugen würde, aber dem war natürlich nicht so.„Dann erklär's mir", erwiderte sie stur und verschränkte die Arme vor ihrer Brust.„Ich kann nicht", schüttelte Kee den Kopf. Er konnte ihr schlecht die Wahrheit sagen. Dass er dazu bestimmt war, ihn zu töten und dass Ash der meist gesuchte Mensch in seiner Welt war.„Wenn das so ist, war es toll, dich gekannt zu haben." Jean wandte sich zum Gehen, während Kee bloß dastand und nichts dagegen tun konnte. Er konnte noch hören, wie sie etwas murmelte, das sich verdächtig nach „Feigling" anhörte, bevor sie zwischen den Bäumen verschwand, konnte sich dem aber nicht sicher sein. Müsste er in dieser Welt seine Ohren nicht verstecken, hätte er sie verstanden.Kee schüttelte den Kopf und lehnte seine Stirn gegen die unebene Rinde eines Baumes. Er hatte es vermasselt. Worte waren das Einzige, was er hatte. Wenn sie ihm nicht helfen konnten, musste er sich etwas anderes einfallen lassen. Aber das erste Mal seit knapp zwei Jahren, wusste er nicht mehr weiter. Wie konnte es soweit kommen? Kee war Ash und Jean in den letzten zwei Jahren immer mindestens zwei Schritte vorraus gewesen. Er war immer darauf bedacht, dass sie ihm nicht zu Nahe kamen, dass er seine Spuren verwischte und sie seinen falschen Spuren folgten. Er hatte sie die meiste Zeit im Auge gehabt. Nur dieses eine Mal nicht und das würde ihnen alle den Kragen kosten, wenn er sich nicht schnell etwas einfallen ließ. Wäre Ash doch bloß niemals auf Hooks Spuren gekommen. Es konnte kein Zufall sein, dass er ausgerechnet auf Hook gekommen war, irgendjemand musste ihn darauf angesetzt haben. Irgendjemand, der scheinbar gegen Kee arbeitete und genau wusste, was bei einem Besuch bei Hook Nightshade für Ash herausspringen würde. Würde Ash doch bloß wissen, für wen Hook arbeitete und in was für einer Gefahr er sich befand...Kee musste sich was einfallen lassen, jetzt.
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FAEVEN - Der verlorene Junge
FantasyKeighan und Ashbel waren wie Gold und Silber, Licht und Schatten, Feuer und Wasser, Tag und Nacht. Sie waren so unterschiedlich, wie es zwei Jungen nur sein konnten. Doch sie waren dazu auch eines: unzertrennlich. Bis Kee von einem Tag auf den ander...