Kapitel 5

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Wir bekamen es gerade noch so auf die Reihe die Nacht mit dem restlichen Wasservorrat auszukommen. Hunger hatte ich auch. Nicht nur ich. Ich musste mir die ganze Nacht unsere rhytmisch knurrenden Mägen anhören. An Schlaf war nicht zu denken. Außerdem weinte ich. Schluchzend sah ich zu den Sternen hoch. Danny ignorierte mich. Ich dachte an Mama. Wie sie zu Hause saß und sich sorgte. Wie sie weinte um ihr einziges Kind. Wie sie ängstlich in der Küche saß und sich alte Kinderbilder von mir ansah. Ob sie es schon wusste? Das ich entführt wurde? Ob sie wusste, das noch nicht mal ich wusste wo ich war? Meine Mutter tat mir leid, weil es mir gut ging. Weil ich am Leben war, sie aber nichts wusste. Garnichts. Was ist, wenn niemand mich vermisst meldete? Was ist, wenn dieser grauhaarige Thomas Haggard es vertuschen wollte? Er hat Danny als Bastard bezeichnet, als wüsste er von wo er kam. Als kenne er seinen Feind bereits. Um was ging es in der Sache? Was hatte ich damit zu tun? Was, wenn es stimmte und keiner wusste von meiner Entführung. Wenn meine Mutter zu Hause seelenruhig vor dem Fernseher schlief, grübelte wieso ich sie nicht mal anrufe oder ich nicht mal etwas schreibe per Post. Hoffentlich dachte sie nicht ich wäre ihr egal geworden. Vielleicht war es aber besser so. Lieber sollte sie sauer sein, als sterbend vor Sorge um mich. Ich erinnerte mich was sie sagte: „Fang nicht an zu hassen". Tat ich nicht. Danny. Er behandelte mich nicht überdimensional gut, aber auch nicht grottenschlecht. Mir ging es gut. Er war okey, ich hasste ihn nicht. Selbst, wenn ich hasste, ich würde nicht mal wissen wen ich hassen sollte.

Danny. Der Name passte zu ihm. Danny. Es klang schön, irgendwie. Ich wagte es mich umzudrehen. Er schlief, oder er tat so. Jedenfalls waren seine Augen geschlossen und seine blonden Locken fielen ihm ins Gesicht. Er trug immer noch das selbe. Er stank, nach Schweiß, Arbeit, Hektik, Angst. Ich roch an mir, drehte mich wieder herum. Ich roch genauso. Widerlich. Alles was wir brauchten war etwas zu Essen, zu Trinken und eine ordentliche Dusche. Klang ja ganz normal. Irgendwo in der Steppe, irgendwo im Nirgendwo. Im Niemandsland.

Nachdem wir den nächsten Tag durchgefahren sind, ohne Nahrung, ohne Worte, war ich fast ausgetrocknet. Mein Rachen war trocken, mein Magen zog sich zusammen, der Schweiß tropfte mir von der Stirn. Aber ihm ging es ebenso. Ich hütete mich ihn anzusprechen, anzusehen. Schon gar nicht mit seinem Namen, in seine Augen. Auch die nächste Nacht gab es nichts. Mir wurde schwindelig, ich krümmte mich vor Schmerzen. Ich hungerte und es tat weh. Wie hielt er das nur aus. Seine Lippen waren rau, er hustete, schwitzte, aber dennoch fuhr er stundenlang Auto ohne Pause. Wenn wir mal pinkeln mussten hielt er einfach an, entfesselte mich und ließ es da, wo er grade stand, laufen. Wärend ich mich um die nächste Ecke unseres Autos verdrücken konnte, so dass er mich sah, ich aber das Gefühl hatte wenigstens etwas allein zu sein. Mir machte es nach und nach nichts mehr aus. Was sah er schon? Meinen Arsch in der Hocke. So wie er aussah, war ich nicht das erste Mädchen, dass er nackt sah. Obwohl er mich noch nicht mal komplett nackt gesehen hatte. Würde er auch nicht. Hoffentlich.

Am nächsten Morgen ließ er mich auf der Rückbank. Ich hatte keine Kraft mehr. Mir war übel von der Hitze. Er tastete meinen Kopf, ich schien kein Fieber zu haben. Dann ging er tiefer. Fasste zwischen meine Brust mit zwei Fingern. Sah er ernsthaft nach ob mein Herz noch schlug oder betatschte er mich nur sinnlos? Machte man das nicht am Hals? Er zog mir etwas Frisches an. Meinen blauen Rock und mein bauchfreies weißes Oberteil. Die Unterwäsche allerdings ließ er unangerührt. Er fuhr schneller. Er konnte selbst nicht mehr. Vorher putzte er sich die Zähne. Ohne Wasser. Er benutzte reichlich Aftershave. Einer weniger der stank.

Gegen Nachmittag sah ich es. Eine asphaltierte Straße. Oh mein Gott, Häuser! Also Zwei. Mein Kopf hämmerte, aber ich schreckte hoch. Andere Autos, Menschen! Noch nie habe ich mich so über diesen Anblick gefreut, noch nie wusste ich sowas so zu schätzen wie jetzt. Ich war schlagartig hellwach, lies mich auf den Beifahrersitz gleiten. Plötzlich hielt er den Wagen an. Einen knappen Kilometer vor der kleinen Zivilisation. Er hielt das Lenkrad mit der linken Hand fest:> Du wirst mit Niemandem sprechen. Du wirst nicht versuchen abzuhauen. Du bist meine Schwester Lily. Ich bin dein Bruder John falls jemand fragt. Wenn ich in den Laden gehe bleibst du sitzen. Ich bringe den Schlüssel zur Dusche, sofern es eine gibt. Erst gehst du, in der Zeit werde ich tanken und einkaufen. Dann bin ich dran. Du wirst drinbleiben, wenn ich dusche. Solltest du doch irgendetwas versuchen, werde ich jeden einzelnen der dich sieht, umlegen. Verstanden? <

UmwegeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt