Kapitel 21 - Never gonna give you up

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3 Tage. Noch genau 3 Tage bis das Urteil gesprochen würde. Meine Knochen fühlten sich von Tag zu Tag wackliger an, ich schaffte es kaum vernünftig zu gehen, geschweige denn eine richtige Konversation zu führen. „Hast du verstanden was ich gesagt habe?", fragte mich meine Therapeutin Frau Gerald energisch und verschränkte die Arme vor ihrer Brust. Unwillkürlich musterte ich sie von oben bis unten, so sauer wie sie war wirkte sie gleich um mehrere Nuancen attraktiver. „Aber natürlich", gab ich nuschelnd zurück und senkte den Blick. Was tat ich hier nur? Ich schüttelte den Kopf und massierte meine Schläfe, seufzend blickte ich wieder nach oben und traf auf einen unergründlichen Blick der auf dem Gesicht meiner Therapeutin ruhte. Diese setzte sich auf den Stuhl vor mir, kreuzte die Beine und strich mit ihrer linken Hand über ihren Rock der ein Stück nach oben gerutscht war. „Du musst dich besser konzentrierten, Lilly. Das darf dir im Gerichtssaal nicht passieren, hörst du? Denk daran die Aussage deiner Ärztin wird auch noch etwas herausreißen, obwohl ich mir wirklich keine Gedanken darüber mache, dass der Richter ein falsches Urteil fällen wird", sie nickte und wirkte dabei nachdenklich, so als wollte sie sich damit selbst beschwichtigen. Ich blieb stumm und dachte über die letzten Tage nach, vor allem über die Begegnung mit Herrn Daniels. Sie steckte mir noch immer in den Gliedern, jeden Tag wachte ich mit der Angst auf die Polizei könnte Chloe abholen und ins Gefängnis stecken. Jonas dagegen war total entspannt und versicherte mir immer wieder aufs Neue, er könne uns nichts anhaben. Seine ruhige und entspannte Sichtweise passte mir nicht sonderlich in den Kram, weshalb wir uns immer wieder stritten. Ich wusste es war nicht fair von mir, aber ich konnte kaum mit dieser unerträglichen Angst umgehen und er war nicht wirklich von den Drohungen betroffen. Was passierte wenn? Was wäre wenn? Fragen die mir im Kopf herumschwirrten und mir sogar die Fähigkeit nahmen einen schönen Abend mit meiner Freundin zu verbringen. Gestern Abend versuchte Chloe mich zu verführen, wirklich nach allen Regeln der Kunst, aber ich wies sie eiskalt ab.

„Lilly!", mein Name donnerte durch den kleinen Raum und riss mich aus meinen Gedanken. Frau Gerald stampfte mit dem Fuß auf den Holzdielenboden und blickte mich wütend an: „Du kannst auch gehen wenn du nicht mitarbeiten willst!" Die Wut in ihrer Stimme entging mir nicht, auch ihre Enttäuschung war deutlich spürbar, doch mir war es egal. „Dann sollte ich gehen", murmelte ich und setzte dazu an aufzustehen, Frau Gerald jedoch hatte andere Pläne und drückte mich mit einer Hand wieder zurück aufs Sofa. „Was beschäftigt dich so sehr? Du bist mit deinen Gedanken komplett woanders, dabei solltest du dich auf den Termin konzentrieren! Was ist am Wochenende passiert?", sie wurde nun ein wenig energischer und holte mich damit zurück auf den Boden der Tatsachen, mittlerweile kannte sie mich ganz gut. „Hm", brachte ich hervor und rang damit weiterzureden, „viel..." Sie zog eine Braue nach oben und lehnte sich nach hinten: „Ich habe Zeit. Hat es mit deiner geheimnisvollen Freundin zu tun? Hattet ihr Streit?" Wenn ich es nicht besser wüsste schien sie sehr neugierig auf dieses Thema zu sein, ich mied es so gut wie es ging, ich wollte uns nicht in Gefahr bringen. „Nein, aber indirekt. Uns wurde gedroht, da war ein Mann...und er gehört den Vipers an. Jonas hat sich drum gekümmert, aber mich beschleicht einfach immer wieder so ein ungutes Gefühl, ich habe Angst. Angst was die Vipers mir oder meinen Freunden und Familie antun könnten wenn das Urteil zu meinen Gunsten ausfallen sollte...", ich sprach es das erste Mal so richtig aus. Diese Gedanken geisterten seit Wochen in meinem Kopf herum, seitdem alle davon sprachen wie gut unsere Chancen auf einen Sieg waren. Seit die Presse darüber berichtete und ich mich wie auf dem Präsentierteller fühlte wurde es von Tag zu Tag schlimmer. „Die Polizei wird dich schützen, sie wird euch beschützen. Die Vipers werden von der Bildfläche verschwinden...", fing sie an, aber ich unterbrach sie nach ihrem ersten Satz. „Bullshit! Die Vipers werden nie vollends von der Bildfläche verschwinden! Das habe ich bisher bei keiner Gang, oder Organisation erlebt. Nicht einmal wenn wir in der Geschichte zurückblicken hat es Anhänger gewisser Gruppen davon abgehalten zu existieren wenn ihr Anführer wegfiel. Es bildeten sich neue Untergruppen, neue Bosse wurden gefunden. Es mag sein, dass sie im Untergrund agieren, aber sie existieren. Sie haben schon Ersatz für Ben, da bin ich mir sicher!", nun kochten die Emotionen in mir hoch und das Zittern meiner Hände fiel auch Frau Gerald auf. Sie wechselte ihren Platz und setzte sich neben mich. Sie reichte mir Taschentücher und blickte mich aufmunternd an, ich sollte fortfahren. „Was wenn ich nie sicher sein werde? Wie konnte mein Vater nur diese Menschen in unser Leben lassen?", Tränen übermannten mich und ich schniefte lautstark in die eben erhaltenen Taschentücher. Es waren Tränen der Wut, der Trauer und Enttäuschung – wie konnte man sich so in Menschen täuschen? Wieso taten Menschen einem so weh? Eine Hand auf meiner Schulter erinnerte mich daran nicht allein zu sein, ich beruhigte mich allmählich und blickte meine Therapeutin dankbar an. „Danke", flüsterte ich mit tränenerstickter Stimme und rückte ein Stück von ihr ab, „danke fürs dranbleiben... Das brauchte ich wohl." Sie lächelte mich zaghaft an und ging zu ihrem Schreibtisch, sie wühlte in einer Schublade rum und kam einige Sekunden später wieder auf mich zu. „Das ist für dich, das soll dir Kraft für die Zukunft geben. Immer dann wenn du glaubst es geht nicht weiter öffnet sich eine neue Tür und das wird dich dabei beschützen...", sie öffnete ihre Hand und ließ etwas in meine geöffnete Hand plumpsen. Bei näherer Betrachtung machte ich die Form eines Engels aus, er war gülden und glänzte im Sonnenlicht, welches durch die zugezogene Jalousie schien. Im Sonnenlicht tanzte nicht nur der Staub durch das Zimmer, sondern ließ die Haare meiner Therapeutin schummrig glänzen. „Oh, vielen Dank", ich wusste nicht was ich sonst sagen sollte, vor allem hatte ich mit so etwas nicht gerechnet. „Ich dachte das solltest du zu unserer vorletzten Sitzung bekommen. Du weißt, dass du auch noch weiterhin kommen darfst, oder?", ich wusste es, also nickte ich. Ich wusste das Angebot sehr zu schätzen, allerdings wollte ich versuchen erst einmal selbst klarzukommen, falls das nicht klappen sollte würde ich wieder zu Frau Gerald gehen. Mein Vater war nicht begeistert als ich ihm von meinem Plan erzählte die Therapie abzubrechen, aber er musste meine Entscheidung akzeptieren –endlich musste er sich mal mit meiner Entscheidung zufrieden geben. Ich schloss die Hand fester um den Engel, ein Lächeln legte sich auf das Gesicht von Frau Gerald. Sie schaute auf die Uhr und stand auf: „Ich glaube unsere Stunde ist vorbei. Komm gut nach Hause, Lilly!" Ich verabschiedete mich eilig von ihr und klaubte meine Klamotten vom Sofa zusammen, nahm immer zwei Stufen auf einmal im Treppenhaus und schloss mein Rad auf welches unten auf mich wartete.

Midnight Rain - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt