Kapitel 8 - I can carry you, but not your ghosts

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„Matilda! Lilly! Da seid ihr ja!", Rufe hallten an mein Ohr und ich kniff die Augen zusammen um endlich klare Sicht zu bekommen. „Als Geburtstagskind zu spät zu kommen ist schon eine harte Nummer!", gab eine Stimme lachend von sich und ein leises Rauschen in meinem Kopf setzte ein. Ein Kribbeln durchzog schleichend meinen Körper, fing in den Füßen an, wanderte meine Beine hoch und erreichte schlussendlich mein Gesicht. Ich spürte meine Augen wässrig werden und schluckte stark, ich ging weiter auf den Tisch zu und lächelte. Finn, seine Freundin, Karla, Timo, Esther und zwei mir unbekannte Mädels grinsten uns zu und bedeuteten uns sich zu hinzusetzen. Mit wackligen Beinen ließ ich mich neben Finn fallen, der mich herzlich mit einer Umarmung begrüßte. Es fühlte sich so gut an im Unrecht zu sein, meine Erwartungen wurden nicht erfüllt. Anstatt auf die Vipers zu treffen saß ich nun Menschen gegenüber die mir am Herzen lagen, zumindest teilweise. Finns Freundin beäugte mich misstrauisch doch setzte sofort wieder ein Grinsen auf als Finn sich in ihre Richtung drehte. „Du siehst so überrascht aus! Was ist los?", fragte Finn mich und schob mir ein Bier entgegen. Ich nippte den Schaum weg, leckte mir kurz über die Oberlippe bevor ich mich flüsternd in Finns Richtung drehte: „Ich habe es vergessen. Diese ganze Party hier..." Er zog die Schultern nach oben und schüttelte lächelnd den Kopf: „Ich hab ja gesagt du hast in letzter Zeit nur an dich gedacht, aber wie gut, dass Esther das Geschenk besorgt hat und nicht du." An seinem Lächeln sah ich, ich sollte seinen Kommentar nicht allzu böse auffassen, aber ich fühlte mich trotzdem angegriffen. Seufzend nickte ich und nahm einen weiteren Schluck von meinem Bier, ich wich seinen Blicken aus, sowie denen von Matilda. Esther erlöste mich von der Spannung die hier drinnen herrschte und ergriff das Wort, sie überreichte im Namen aller das Geschenk. Ich wusste nicht einmal dass sie eins besorgt hatte, geschweige denn was. Genauso neugierig wie Matilda beugte ich mich zum Tisch hinunter, sie zog an den Bändern und riss das rote Geschenkpapier hinunter. Zum Vorschein kam eine kleine, braune Schatulle mit Schnitzereien auf dem Deckel. Es waren mehrere Kreise die ineinandergriffen und sich in der Mitte zu einer Blüte vereinten. Sie sah wirklich schön aus und auch Matilda schien begeistert zu sein, sie öffnete die Kiste mit leicht zitternden Fingern und sog lautstark die Luft zwischen ihren Lippen ein als sie den Inhalt betrachtete. Im Inneren lag eine Kette mit einem kleinen silbernen Anhänger, ich erkannte nicht worum es sich dabei handelte, aber mein Interesse daran war auch schon wieder verpufft. Ich griff erneut nach meinem Bier und als ich hochsah traf ich Karlas Blick, schüchtern lächelte sie mir zu. Ich blickte an ihrer Hand hinunter und erkannte, dass sie mit Timo Händchen hielt, ich staunte nicht schlecht. Sie waren also tatsächlich noch immer zusammen, oder wieder? Ich wusste es nicht, aber grinsend nickte ich ihr zu und nahm den freien Platz links von ihr ein. Finns Freundin saß nun zu meiner anderen Seite und warf mir wieder diesen unverkennbaren Blick zu, sie traute mir nicht. Sie war misstrauisch und wollte mich möglichst weit weg von ihrem Freund sehen, nur dass ich Finn schon deutlich länger kannte als sie, aber das spielte hier wohl keine Rolle.

„Na die hat es aber auf dich abgesehen", wisperte Karla mir zu und ich zuckte innerlich zusammen. Was wenn? Nein, ich schüttelte den Kopf und lachte. Ich musste damit aufhören alles und jeden zu verdächtigen, ich sollte diesen Abend hier genießen. „Ja nicht wahr? Sie hat Angst, dass ich ihr Finn ausspanne", murmelte ich und stieß mit Karla zusammen an. „Wenn sie nur wüsste", gab Karla kichernd von sich und ich wusste worauf sie anspielte. Ich verzog meinen Mund ein wenig und ging nicht weiter darauf ein, es gehörte nicht zu meiner Absicht Finns Freundin eifersüchtig zu machen oder ihr von Finns Gefühlen für mich zu erzählen. Vielleicht gehörten diese aber auch seid ihr der Vergangenheit an, was ich mir wirklich wünschen würde. „Und du und Timo? Es freut mich, dass es zwischen euch so gut funktioniert", sagte ich und fuhr mit meinem Zeigefinger über den Rand meines Glases. Ein angenehmer Klang erfüllte dabei meine Ohren und ich genoss den Moment der Freiheit, der Unbeschwertheit. Karla biss sich auf ihre Lippe, nickte und lehnte sich zu mir hinüber: „Ja, danke. Ich hoffe es bleibt so...seit Simon...läuft es fast schon gruselig gut. Zu perfekt wenn du mich fragst... Ich warte immer darauf, dass ich aus dem Traum aufwache und etwas passiert. Aber mal ein anderes Thema...Jonas?" Ich pustete meine Haare aus dem Gesicht und drückte meinen Rücken gegen das Polster der Bank, dabei verschränkte ich die Arme vor der Brust: „Was möchtest du wissen?" Karla hob beschwichtigend die Hände: „Wenn du nicht drüber reden magst: gar nichts. Wahrscheinlich habe ich das Privileg der besten Freundin eh verspielt...ich verstehe das absolut wenn du nicht darüber mit mir reden magst..." Immerhin gab sie es zu, ich rechnete fast schon nicht mehr damit. Ich habe echt gedacht wir würden in Zukunft so tun als wäre nie etwas zwischen uns vorgefallen, nicht dass ich dieses Spiel mitgespielt hätte, aber Karla schon. „Hm", ich nahm mein Bier und drehte den Inhalt spiralförmig umher, „warum das alles, Karla? Warum hast du mich plötzlich ignoriert? Und jetzt sag nicht, weil ich im Supermarkt nicht mit dir geredet habe...das glaube ich nämlich nicht." Karla ließ die Hand von Timo los und zupfte nervös an ihrem Pulli herum, schlussendlich strich sie ihre Haare hinter die Ohren und sah mich danach unverwandt an: „Es war mir alles zu viel Drama, wenn ich ehrlich bin. Die Sache mit Jonas und der erzwungenen Beziehung...und mein Drama mit Simon und Timo, das hat mir einfach gereicht. Ich bin nicht stolz darauf und weiß genau da hätte ich für dich da sein sollen...und als ich das mit Ben erfahren habe und was dir wiederfahren ist? Da habe ich mich nicht mehr getraut auf dich zuzugehen. Feige war ich schon immer, das weißt du ja. Es tut mir leid, ich möchte dass es wie früher ist..." Sie legte ein unschuldiges Lächeln auf, aber ihre Augen zeigten Reue, ihre Wut auf sich selbst. Ich musste zugeben das ein wenig zu genießen, immerhin hat sie mich ziemlich leiden lassen und mich in meiner dunkelsten Zeit allein gelassen, aber wer weiß, vielleicht würde sie mir bei meiner neuen, dunklen Episode zur Seite stehen? Ich legte meine Hand auf ihre und drückte leicht zu: „Ich weiß nicht ob ich dir sofort verzeihen kann, aber wir können dran arbeiten, oder?" Ich meinte es so, doch es würde dauern, ebenfalls mich ihr anzuvertrauen mit der ganzen Problematik der Vipers. Das Schlimmste daran war eigentlich, dass ich nicht ehrlich zu ihr sein konnte, oder? Ich konnte ihr doch nicht von mir und Chloe erzählen, oder? Auch wenn ich zugeben musste, dass ich es endlich gerne jemandem sagen würde. Es ist eine unbeschreibliche Last das für sich zu behalten, das Geheimnis mit niemandem zu teilen. Manchmal habe ich das Gefühl zu platzen wenn ich es nicht endlich ausspreche. Natürlich konnte ich mit Chloe selbst darüber reden, aber das war einfach nicht das Gleiche. Ein Mensch braucht diese Möglichkeit über seine Gefühle, Gedanken zu reden und gerade belastete mich so viel, dass ich die einzig Positive in meinem Leben gerade gerne ein wenig mehr zur Geltung bringen würde. Wofür hatte man Freunde, beste Freunde? Ich drehte meinen Kopf leicht nach rechts und beobachtete aus den Augenwinkeln Finn, ihm konnte ich mich auf keinen Fall anvertrauen. Nicht wenn er noch Gefühle für mich hegte, allein seine Reaktion auf Jonas war mir eine Lehre gewesen. Seufzend konzentrierte ich mich wieder auf Karla, irgendwann würde ich mit ihr darüber reden, nicht jetzt und auch nicht nächste Woche, aber irgendwann. „Gerne, ich würde mich wirklich sehr darüber freuen wieder mehr Zeit mit dir zu verbringen...also ich weiß ich bin Schuld...", fing sie an und ratterte gegen Ende ihre Wörter nur noch so herunter. Ich erhob die Hand: „Psssst, okay? Es ist so gewesen, es lässt sich nicht mehr rückgängig machen okay? Ich würde mich auch freuen!" Karla lief knallrot an und ihre Lippe zitterte verdächtig, bevor ich sie ermahnen konnte nicht zu weinen, kullerten schon die ersten Tränen. Sie riss mich in ihre Arme, was die Aufmerksamkeit der Anderen auf uns lenkte. „Das wurde aber auch Zeit", sagte Esther glücklich. Alle schienen sich über unsere Versöhnung zu freuen, nur Finn wirkte nicht überzeugt, aber seine Meinung kannte ich schon. „Meine Ma fragt ständig nach dir, wie wäre es wenn du nächste Woche nach der Schule mit zu mir kommst?", fragte Karla ohne auf Esthers Kommentar einzugehen. „Gerne", antwortete ich und überlegte wie mein Leben sich bis dahin wohl verändern mochte. Die Droh-SMS von heute geisterten immer wieder durch meinen Kopf, langsam bekam ich es mit der Angst zu tun. Was wenn sie gar nicht nach meinem Leben trachteten, sondern nach dem von Chloe? Was wenn sie mir durch sie wehtun wollten? Oder wenn sie mit ihrem Wissen Chloes Leben ruinieren? Allein wenn unsere Beziehung durch sie ans Licht kommt, könnte Chloe Schlimmes drohen. Der Ausschluss vom Lehrerdasein, Gefängnis? Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter und ich versuchte mich krampfhaft an den Gesprächen meiner Mitmenschen zu beteiligen, es gelang mir leider nur halbherzig.

Midnight Rain - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt