Kapitel 23 - Finally

1K 45 0
                                    

Tick Tack.

Tick Tack.

Tick.

Tack.

Tick.

Tack.

Wieder und wieder stierte ich die Uhr zu meiner Rechten an, doch der Zeiger wollte einfach nicht schneller die 12 erreichen. Ich wischte meine schwitzigen Hände nun zum dritten Mal an meiner schwarzen Anzughose ab und zog dabei die Stirn kraus. Meine Anwältin neben mir saß regungslos auf ihrem Platz und wartete auf die Rückkehr der Richterin, sie zeigte nicht mal den Anschein einer Emotion auf ihrem Gesicht. Ich dagegen wurde das Gefühl nicht los wie ein offenes Buch zu sein und vor lauter Angst jemand könnte aus meinem Gesicht ablesen was ich dachte oder fühlte, hielt ich lieber meinen Kopf gesenkt. Nur wenn ich die Uhr kontrollierte wagte ich es aufzuschauen. Viel lieber hätte ich mich umgedreht um in das Gesicht meines Vaters oder das meiner Großmutter zu schauen nur um mich ein wenig sicherer zu fühlen, aber ich traute mich schlichtweg nicht. Das Loch was ich in mir verspürte wollte sich nicht schließen und die Abstinenz von Chloe in diesem Verhandlungssaal machte es nicht besser. Meine Anwältin hielt es für besser wenn sie nicht anwesend war, auf Rücksicht der möglichen Fragen die kommen konnten. Wenn der Anwalt meines Stiefbruders sie hier erblickt hätte, wohlgemerkt am allerletzten Tag der Verhandlung, hätte er es als Anreiz sehen können um diese eine Frage zu stellen. Zu meiner Erleichterung wurde mir die Frage, die mir gestern schwer im Magen gelegen hatte, nicht gestellt. Ich brauchte auch keine Angst mehr haben, dass es in den letzten paar Minuten geschehen würde, aber trotzdessen fühlte ich mich unwohl. Unsicher darüber was die Richterin gleich verkünden würde, ob die Aussage meiner Ärztin Dr. Pelham wirklich noch etwas bewirkte hatte bei der Urteilsverkündung oder nicht, rutschte ich auf meinem hölzernen, ungemütlichen Stuhl umher. Das Ticken der Uhr schwelte wie ein mahnender Gongschlag durch das Innere meines Körpers und jedes Zucken des Zeigers ließ mich innerlich aufschrecken. Mein ganzer Körper stand auf Alarmbereitschaft, so als müsste ich wenn Gefahr drohte, weglaufen und um mein Leben rennen. Ich fühlte mich wie die Gejagte in diesem Saal, mehrere Augenpaare lagen auf mir, vor allem die von Ben, sie bohrten sich regelreicht in die Seite meines Schädels. Meine Anwältin mochte mich halbwegs verdecken, aber da sie immer wieder nach vorn und zurück wippte, gab sie immer wieder die Sicht auf mich frei. Ich wagte es nicht in seine Richtung zu schauen, der große Kratzer auf dem Boden vor mir war um einiges interessanter. Immer wieder erfüllte ein Räuspern die Stille im Raum, oder das Schaben eines Stuhles über den alten Parkettboden. Es erinnerte mich an den Klang von Nägeln die über eine Tafel kratzten, der Schauder der mich dabei jedes Mal erfüllte, setzte sich nun auch bei einem Stuhlschaben ein. Die Gänsehaut kroch langsam abwärts und ich atmete schwerfällig aus, ich hatte mich kaum noch unter Kontrolle. Mein Blick fiel wieder auf die große Uhr auf der rechten Seite des Saales.

Tick Tack.

Tick Tack.

Ein Ruck ging durch den Saal als sich die Tür öffnete und die Richterin hindurch kam, alle erhoben sich schlagartig und ich folgte ihnen wie eine funktionierende Maschine. Meine Beine gehorchten nicht mir, sondern der Dynamik des Raumes. „Setzen Sie sich", schallte es durch den Raum und beugte mich dem Befehl. Für diesen einen Moment fühlte ich mich als wäre ich außerhalb meines Körpers, ich beobachtete die Situation von außen. Die angespannten Schultern von Ben, die eiserne Mine seines Anwalts, die Abstinenz seiner Mutter im Saal, die verbissenen Gesichter von meinem Vater, meiner Großmutter und Jerry. Das alles zog an meinem inneren Auge vorbei wie ein Schnellzug, alles passierte zu schnell als dass ich es richtig erfassen könnte.

„...und wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass..."

Mit zitternden Fingern nahm ich das halbvolle Glas in die Hand und kippte den Sekt mit einem Mal hinunter, es brannte ein wenig aber ich ignorierte das Gefühl in meinem Hals. Ich brauchte den Sekt um mich zu beruhigen, zu verdauen was vorhin passiert war. „Kleines? Alles okay?", fragte Jerry und ließ sich neben mir nieder. Ich roch sein Aftershave welches sich mit dem Geruch von altem Zigarettenqualm vermischt hatte und drehte den Kopf in seine Richtung. „Ja, natürlich", antwortete ich nüchtern und fuhr mit meinem Zeigefinger über den Rand meines Glases. Ein wohliger Klang erfüllte dabei meine Ohren und ich lächelte leicht: „Warum sollte es nicht, oder?" Jerry nickte und tätschelte meinen Oberarm: „Da hast du Recht, aber du wirkst nachdenklich... Was ist los?" Ich sollte mich freuen, tanzend durch unser Wohnzimmer springen, aber ich konnte nicht. Meine Beine fühlten sich noch immer an wie Gummi und taten nicht das was ich wollte. „Ich weiß es nicht, ich kann nicht. Ich habe Angst zu träumen und morgen ist alles wie immer, weißt du?", versuchte ich mich zu erklären. Jerry runzelte die Stirn und zuckte mit den Schultern: „Es ist kein Traum, Lilly. Dein Alptraum ist zu Ende, Ben ist für Jahre hinter Gittern und kann dir nichts mehr antun. Er wurde verurteilt und alle stehen hinter dir, du hast die Richterin gehört. Die Schwere seiner Schuld wurde bewiesen." Ich ließ seine Worte sacken, verdaute noch immer was im Gerichtssaal gesagt wurde und seufzte auf: „Ich weiß, ich habe es selbst gehört und kann es trotzdem nicht glauben." Aus den Augenwinkeln sah ich wie mein Vater mit meiner Großmutter anstieß und sie dabei ein Foto an der Wand betrachteten. Mein Vater hatte endlich wieder die Bilder meiner Mutter aufgehängt, Theresas Macht in diesem Haus war vorbei. Eine Ära wurde zu Fall gebracht und ich begann dieses Haus wieder mehr zu mögen, was aber auch an der Anwesenheit meiner Großmutter lag. „Du solltest die Freude zulassen, Lilly", murmelte mein Patenonkel und schien mit seinem Latein am Ende. Es tat mir leid wie ein Miesmuffel auf dem Sofa zu sitzen und meinen Sieg nicht zu feiern, aber das Gesicht von Ben und das Getöse seiner Gefolgsleute vor dem Gericht hingen mir nach. Ben sah so wütend aus, er musste von Polizisten rausgebracht werden da er anfing mich zu beschimpfen und auf mich losgehen wollte. Die Vipers warteten vor dem Gericht auf das Urteil und als sie es erhielten und wir zu unserem Auto eilten, durchbrachen Rufe und Schreie die Stille des Tages. Vögel flogen erschrocken auf und untermalten die Dramatik des Momentes mit den Schreien ihrer selbst. Vermutlich war unter den Vipers ihr neuer Anführer dabei und ich konnte nur hoffen niemals auf diesen zu treffen. Mein Herzschlag beschleunigte sich allein bei dem Gedanken an diesen Moment und ich lehnte mich auf dem Sofa zurück und schloss die Augen. Jerry stand murmelnd auf, sagte etwas zu den anderen Beiden und wenig später nahm eine andere Person neben mir Platz. Dieses Parfüm würde ich wohl überall auf dieser Welt wiedererkennen und ich verzichtete darauf die Augen aufzumachen um mich zu vergewissern, ihre Wärme ummantelte mich und ich beruhigte mich allmählich. Ihre Hand ergriff meine und ihre Finger strichen sanft über meinen Handrücken, sie verzichtete darauf etwas zu sagen und spendete mir einfach ein wenig von ihrer Kraft.

Midnight Rain - Teil 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt