Für jede Mahlzeit kratze ich mit einem Stein eine Linie in die Wand, um den Überblick über die Lage zu behalten. Ich kann sonst nichts anderes machen. Jetzt habe ich gerade den 244sten Strich in die Wand geritzt. Das dürften jetzt ungefähr vier Monate sein. An das Schlafen auf dem Boden habe ich mich gewöhnt. Ich schlafe sogar sehr gut. Mein Hirn ist leer. Ich habe keinen Gedanken. Anfangs war das recht angenehm, da ich sonst immer irgendwelche Gedanken herumflitzen hatte! Doch jetzt ist da nur schwärze. Ich habe nichts, über das ich nachdenken könnte. Meine Familie... ich habe aufgegeben. Ich werde hier sterben.
Vier Monate sitze ich hier fest. Alles was ich machen kann, ist in der Zelle auf und ab zu gehen. Ich rede nicht. Ich murmle nicht. Ich denke nicht. Ich lebe nicht einmal mehr. Ich existiere. Mein Leben hat sich auf ein Minimum herunter gesenkt. Ich schlafe. Werde vom Tablett geweckt, dass über den Stein kratzt. Esse. Gehe in meiner Zelle herum, bis meine Füße weh tun. Mache eine kurze Pause. Trinke etwas. Zähle dreißig mal bis 60, um eine halbe Stunde vorüber gehen zu lassen. Stehe wieder auf. Gehe wieder herum. Trinke während des Gehens den Rest des Wassers. Bekomme mein Essen mit neuem Wasser. Esse. Trinke. Schlafe.
Meine Routine. Ich mache nichts anderes. Und natürlich bei jedem mal Essen mache ich einen weiteren Strich. Vier Monate ohne jemand menschlichen sehen zu können. Ohne zu sprechen. Mit seinen Gedanken anfangs noch allein gelassen zu werden, bis diese ebenfalls verschwinden. Ich habe mir Tim einbildet. Meine Familie. Dass sie vor der Zelle stehen und auf mich warten würden! Es war der Horror. Ich hatte diese Phasen der Akzeptanz. Ich hatte meine Wut. Meine Ausraster. Bin komplett Ausgeflippt und habe gegen die Mauern geschlagen. An ihnen entlang gekratzt. Mehr als blutige Finger hat es mir nicht eingebracht.
Ich hatte meine Verhandlungsphase. Zumindest kurz, als Zalgo sehen wollte, wie es mir geht. Aber er ist ohne ein Wort zu mir zu sagen, wieder abgehauen. Meine Depression hatte ich auch. Ich wollte mich tatsächlich umbringen. Habe versucht, mit selbst mit meinen Schnürsenkeln zu erdrosseln. Einer von Zalgos Schergen hat mich kurz vor dem Tod 'retten' können. Alles was ich davon habe ist eine rote Stelle um meinen Hals, die langsam wieder verblasst. Ist erst vor kurzem gewesen. Jetzt habe ich alles akzeptiert. Mir ist egal, was man mit mir anstellt.
Mein Leben ist eh schon am Arsch. Wieso ihm nicht ein Ende setzen? Das würde meiner Familie helfen, das würde Kathrin helfen, das würde Tim helfen. Denn sie müssten sich keine Sorgen mehr um mich machen. Sondern sie wüssten, was passiert ist. Vier Monate in denen ich lernte, wie genau man seinen Körper dazu bringt, nicht so oft auf die Toilette zu müssen. Denn der Eimer wird einmal am Tag geleert. Eigentlich Luxus, aber wenn man den stinkenden Eimer dann den gesamten Tag vor der Nase stehen hat... Der Humor, bei dem ich dachte dass ich ihn nie verlieren werde, ist weg. Es gibt einfach nichts.
Vier Monate, in denen ich nicht mich nicht einmal waschen konnte. Meine Kleidung stinkt. Meine Haare sind... ich glaube nicht, dass man sie noch als Haare identifizieren kann. Ich stinke selbst bis zum Himmel. Aber ich rieche mich selbst nicht mehr. Ich bräuchte mehrere Vollbäder, um die Schicht an Dreck herunter zu bekommen. Meine Nägel habe ich mir abgebissen, oder an den Steinen ein wenig 'gefeilt'. Gestutzt. Das ist die einzige Körperpflege, die ich machen kann. Und auch die vernachlässige ich mit der Zeit. Weil mir die Kraft dazu fehlt. Mir fehlt selbst die Kraft dazu, nach dem Schlafen zum Essen zu kriechen.
Ich will sterben. Das ist kein Leben. Und eigentlich auch kein existieren mehr. Es ist ein dahinsiechen. Gerade noch so am Leben erhalten zu werden. Mittlerweile kann Zalgo, wenn er mal wieder zu besuch kommt, die Gittertür einfach offen lassen. Weil ich nicht abhaue. Mein Blick ist Müde. Müde vom Leben. Müde von allem hier. Und das erst nach vier Monaten. Auch heute ist wieder ein Besuch von Zalgo höchstpersönlich drin. Ich sehe ihn schon gar nicht mehr an. "Also die geht es schlechter. Hm. Du hättest laut meiner Berechnung stärker sein sollen." Er und seine Berechnungen.
Zalgo scheint alles berechnet oder voraus gesehen zu haben. Aber einen Menschen zu berechnen... Es geht. Aber es ist nicht einfach. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er sich zu mir hinunter beugt. Soll er doch machen, was er will. Ich drehe nicht einmal meinen Kopf weg, als eine seiner Krallen an meiner Wange entlang streicht und ein hämisches kichern ertönt. Doch so abrupt wie es angefangen hat, ist es wieder verschwunden. "Oh... Da scheint es doch ein Problem zu geben. Lauf mir nicht weg, Menschlein!", ruft er, geht aus der Zelle, macht hinter sich die Tür zu und verschwindet ins nichts.
Nur das leichte wackeln der Flamme der Fackel an der Wand gegenüber meines neuen Zuhauses zeigt, dass etwas da war. Ich sitze nach dem Essen und dem Besuch Zalgos einfach nur Stumm an der Wand gegenüber der Zelle. Mein Rücken gegen die Steine gelehnt. Meine Beine angezogen. Meine Arme um jene geschlungen. Mein Blick nun wieder auf meine Knie gerichtet. Probleme... Die habe ich nicht mehr. Ich habe nichts, weswegen es Probleme geben könnte. Nicht einmal Probleme mit meinem Leben gibt es. Oder doch. Eines. Dass es noch da ist. Nicht beendet wurde. Vielleicht hätte ich doch einfach das Angebot vom Anfang annehmen sollen.
Denn immerhin hätte Zalgo mich auf meinen Wunsch hin getötet. Ich habe es selbst nicht hinbekommen. Wäre vielleicht die bessere Wahl gewesen. Aber damals war mein Überlebensinstinkt noch da. Doch der ist jetzt verschwunden. Wurde von dieser alles umfassenden schwärze und Akzeptanz niedergewalzt. Genau wie mein Humor. Und meine positiven Seiten. Dass ich vielleicht doch hier irgenwie raus käme. Dass Tim und die anderen einen Weg suchen und vielleicht auch finden werden, mich hier raus zu holen. Aber jetzt sehe ich nicht den Hauch einer Chance. Wie soll das funktionieren. Zalgo überwacht alles und ist stärker, als jeder andere.
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The lost friend 2
FanfictionAlex hat in viel zu kurzer Zeit viel zu viel erlebt. Sie wurde wegen dem Verschwinden Brians um Hilfe gebeten. Sie hat Tim an ihre Seite bekommen. Ein Bechal hat sie fast getötet und ihr Auto mit seinen wunderschönen Krallen zerkratzt. Tim ist mehr...