Hoffnung

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Irgendetwas poltert. Ein Schreien ist zu hören. Aber das kenne ich schon. Die Schergen Zalgos haben öfters einmal irgendwelche anderen Wesen an meiner Zelle vorbei geführt und scheinen sie zu foltern. Das Schreien ist bekannt. Gehört zu einem Menschen. Das geht mich aber nichts an. Ich werde nicht sterben. Also interessiert es mich nicht. Du lernst hier ganz schnell, dich auf deine eigenen Dinge zu konzentrieren. Wenn du dich überhaupt konzentrierst und nicht in einem schwarzen Nebel bist, der um dein Hirn wabert und nichts zu lässt, was auch nur ansatzweise an Denken erinnern könnte. Du bist in deiner eigenen Welt.

Die aufkommende Geräuschkulisse lasse ich einfach an mir vorbei ziehen. Ich schließe meine Augen. Lust auf gehen habe ich nicht. Vielleicht sterbe ich ja so. Wenn ich lange genug an einem Fleck sitze und mich nicht bewege. Ob das ein Gewinn für Zalgo wäre? Ich weiß es nicht. Und ist mir auch egal. Meine Schuhe, die ohne Schnürsenkel nun mal komplett nutzlos sind, liegen irgendwo. Ich habe sie einfach ausgezogen. An das kalte Klima habe ich mich gewöhnt. An die muffige Luft auch. An meinen eigenen Dreck und Gestank ebenfalls. Wirklich wissen, wie sehr ich stinke, will ich nicht.

Der Krach kommt näher. Wird immer lauter. Ich weiß, dass es nicht Tim und die anderen sein können. Das wäre einfach zu unwahrscheinlich. Dennoch wird etwas in mir geweckt. Etwas, dass sich langsam entfaltet und durch den Nebel strömt. Neugierde. Was ist da los? Was könnte die Ursache dafür sein, dass Zalgo sich zu dem Problem gesellt hat? Und noch etwas anderes gesellt sich zu der Neugierde. Aufregung. Mein Herz beginnt ein wenig schneller zu schlagen. Für einen Moment zuckt doch glatt mein Mundwinkel. Doch ich lasse meine Augen geschlossen. Die schwärze will die Führung erneut übernehmen, bekommt die Neugierde und die Aufregung aber nicht unter Kontrolle.

In meinem Zustand jedoch zucke ich nicht einmal zusammen, als eine halbe Explosion ertönt. Hat jemand die Tür eingetreten? Schritte. Laufende Schritte. Immer noch lasse ich meine Augen zu. Das sind zwar nicht die Schergen, denn diese hören sich anders an, aber vielleicht sind nur irgendwelche Gefangenen entkommen und versuchen zu fliehen. Das wäre nichts neues. Nur erwartet sie ein kurzer, aber schmerzvoller Tod. Deswegen versuchen es kaum welche. Und mich... ich habe es nicht einmal probiert. Wäre vielleicht die Lösung zu meinem Problem mit dem Leben. Eine dumme, aber es wäre eine. Immerhin.

Die Schritte stoppen. Vor meiner Zelle. Ich bleibe entspannt, auch wenn mein Herz bis zum Hals schlägt. "Alex..." Diese Stimme. Diese wunderbare... süße... Stimme! Langsam hebe ich meinen Kopf und öffne meine Augen. Ich brauche einen Moment, bis ich alles erkennen kann. Meine Augen werden groß. Tim. Doch schnell werde ich wieder misstrauisch. Meine Augen schmal. Meine Stirn gerunzelt. Ist er echt? Oder ist das wieder eine Wahnvorstellung. "Alex!", ruft er plötzlich noch einmal, seine Hände umgreifen die Gitterstäbe. Ich sehe auf den Boden. Die Fackel schmeißt einen Schatten. Er... Langsam stehe ich auf. Mühevoll. Aber ich schaffe es. Wanke nach vorn. Er ist echt...

An den Gitterstäben angekommen sehe ich, dass neben Tim noch andere da sind. Allen voran Jeff, der mich nur mustert und dann den Kopf schüttelt. "Du hast dich ganz schön gehen lassen.", murrt er, kniet sich vor das Schloss und macht sich an die Arbeit. Immerhin muss er für seinen 'Job' in Häuser einbrechen und dafür auch die Schlösser knacken. Der schwarze Nebel lichtet sich allmählich in meinem Hirn. "Und du stinkst.", fügt der schwarzhaarige hinzu und klackert am Schloss herum. Ich sehe ihn kalt an. Will etwas sagen, bekomme aber nur ein krächzen heraus. Meine Hand geht an meinen Hals. Er tut weh.

"Hier!", ruft ein weibliche Stimme und ich sehe nach rechts. Braune Haare. Uhr im Auge. Weißes Top. Clockwork. Sie hält mir eine Flasche hin und ich nehme sie mit einem kurzen nicken entgegen. Schraube sie auf und kippe sie nach unten. Ich räuspere mich und gebe die leere Flasche wieder zurück. "Danke.", bekomme ich leise raus. Vier Monate... Vier Monate nicht geredet. Ich sehe wieder zu Jeff. "Wasch du dich vier Monate nicht. So lang bin ich hier drin." Mit jedem Wort wird meine Stimme stärker und er stockt. "Vier MONATE?"

Selbst Tim sieht mich perplex an. Doch das wandelt sich schnell in Schuldgefühle. Etwas ist an meiner Hand. Streicht vorsichtig darüber. "Es tut mir so leid... Hier scheint die Zeit schneller zu vergehen, als in unserer Welt. Ich..." Der braunhaarige verstummt und ich sehe zuerst auf meine Hand. Die erste Berührung seit vier Monaten. Warm. Es ist warm. Ich schließe meine Hand um seine und sehe zu ihm hoch. "Wird Zeit, dass ich hier rauskomme. Das nächste Mal lässt du dir bitte nicht so viel Zeit.", erwidere ich und bekomme es sogar hin, einen Mundwinkel ein wenig zu heben. Es ist fast so, als wären Tim's Augen feucht.

Ein klacken ertönt und Jeff steht auf. "Dann komm auch raus. Spart euch euer Liebesgedöns für später. Noch sind wir nicht draußen." Ich lasse Tim's Hand los und sehe ungläubig auf die Tür. Zuerst dachte ich, dass die kleine Flamme vom Anfang gelöscht sei. Dass nichts mehr da ist. Doch jetzt ist es kein Flämmchen mehr. Es ist ein Großbrand. Es wird dauern, bis ich wieder komplett die alte bin. Aber Teile meines alten Ichs sind schon wieder sichtbar. Als würde eine Schicht langsam von mir herunter bröckeln, die sich zu meinem eigenen Schutz um mich gebildet hat.

Mit neuem Elan trete ich aus der Zelle und schon werde ich an jemanden gerissen. Ich brauche einen Moment bis ich merke, dass das Tim ist. Der mich fest an sich drückt. Ohne groß darüber nachzudenken, lege ich meine Arme ebenfalls um ihn und schließe die Augen. Ich kann seinen Herzschlag hören. Seine Wärme spüren. Ich will ihn nicht los lassen. Aber ich muss. "Du bist dünner geworden.", murmelt er und ich schnaube. "Ich erzähle dir alles, wenn wir in Sicherheit sind. Ich will hier weg.", entgegne ich und lasse es auch nicht zu, dass er mich küsst. "Erst will ich sauber sein. Das tu ich dir nicht an.", brumme ich nur und er ist ein wenig enttäuscht, nickt aber.

The lost friend 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt