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Der Anblick hatte etwas Magisches. Wir standen eine gefühlte Ewigkeit da und schauten still auf die Wälder, Wiesen und Gewässer, die sich unter uns bis zum Horizont erstreckten. Ich kam mir auf einmal so klein vor, in dieser großen Welt. Ich nahm (D/N) in den Arm, wir setzten uns und sie lehnte ihren Kopf an meine Schulter.

Plötzlich schrie sie auf:
"Erwin, sieh mal dort!"
Sie zeigte auf ein Wäldchen nahe der Mauer. "Ein Titan!"

Jetzt sah ich auch die monströse Gestalt, die ganz ruhig am Waldesrand stand und zur Mauer blickte.

"Tatsächlich, der scheint wohl noch nicht müde zu sein", sagte ich.

"Er sieht gar nicht so gefährlich aus, von hier oben."

"Lass dich da mal nicht täuschen. Diese Monster würden dich ohne mit der Wimper zu zucken verschlingen sobald du ihnen die Möglichkeit gibst."

Eine Weile saßen wir einfach nur schweigend da und betrachteten die Landschaft. Ich sammelte all meinen Mut zusammen, denn ich wollte ihr unbedingt von meiner Idee erzählen. Ich wusste nur nicht, wie ich es anfangen sollte ohne dass sie mich für verrückt erklärt.

"(D/N), ich weiß dass das jetzt komisch klingt, aber ich denke, dass es noch andere Menschen da draußen gibt. Was meinst du?"

"Das klingt ganz und gar nicht komisch. Ich weiß, dass in den Büchern steht, dass es außerhalb der drei Mauern keine Menschen mehr gibt, aber wie können die sich so sicher sein? Woher wollen sie es wissen, wenn sie nie nachgesehen haben? Solange niemand die gesamte Welt da draußen abgesucht hat und mir das Gegenteil beweist, besteht doch die Möglichkeit, dass wir nicht allein sind."

Ich sah sie verblüfft von der Seite an. (D/N) schlussfolgerte wie ich. Sie war der erste Mensch, abgesehen von meinem Vater, der so dachte wie ich. Selbstverständlich, (D/N) war ja nicht dumm.

"Das denke ich auch. Dir sind bestimmt ebenfalls die Widersprüche in den Geschichtsbüchern aufgefallen."

"Ja, genau."

"Du bist der erste Mensch seit langem, mit dem ich ernsthaft darüber reden kann. Ich ging noch in die Schule als mir die Widersprüche zum ersten Mal auffielen. Also fragte ich meinen Vater, der damals mein Lehrer war, und er setzte sich Abends mit mir hin und erzählte mir von all den Ungereimtheiten in den Lehrbüchern.
Er erzählte mit Begeisterung von den Lügen, die er aufdeckte. Damals war ich noch zu jung um zu wissen, dass man über solche Sachen nicht in der Öffentlichkeit sprach und erzählte alles meinen Freunden. Als ich an den Abend nach Hause kam, war mein Vater nicht da. Sie hatten ihn mitgenommen. Ein paar Tage später war die Beerdigung. Sie sagten mir, dass es ein Unfall war, mehr nicht. Aber ich wusste es besser. Er war tot, weil ich seine Geheimnisse nicht für mich behalten konnte. Es ist alles meine Schuld."

Während ich erzählte waren mir Tränen in die Augen getreten. Ich hatte es gar nicht bemerkt. (D/N) schon. Sie nahm mich in den Arm. Ich legte meinen Kopf an ihre Schulter und sie streichelte mir sanft übers Haar.

Zuerst wollte ich meine Tränen zurückhalten und ihr nicht zeigen, dass mich der Tod meines Vaters immer noch so sehr mitnahm. Doch in ihrer sicheren, warmen Umarmung ließ ich meinen Schluchzern freien Lauf.

(D/N) hielt mich ganz fest und flüsterte mir zu: "Es ist nicht deine Schuld, Erwin. Sie hatten deinen Vater bestimmt schon länger im Blick, weil er Fragen stellte und versuchte die Wahrheit herauszufinden. Du darfst dir nicht einreden, dass es deine Schuld ist. Das hätte dein Vater sicher nicht gewollt."

Ich verstand nicht genau, wie sie das machte, aber ihre Stimme und ihre Berührungen wirkten so beruhigend auf mich. (D/N) konnte mich wunderbar trösten und ich glaubte ihr jedes Wort.
Ich wollte für immer bei ihr bleiben. Niemand sollte mir jemals meine (D/N) wegnehmen können. Sie war so bezaubernd schön und intelligent und es war so, als würde sie mich ganz und gar verstehen.

"(D/N), ich liebe dich so sehr."

Sie wischte mir mit ihrer Hand die letzten Tränen vom Gesicht und lächelte mich an.

"Ich liebe dich auch, Erwin, über alles", sagte sie und küsste mich mit ihren weichen Lippen auf den Mund. Ich erwiderte den Kuss und mir war als wär die Welt nicht grausam und voller Intrigen und Titanen.

Wir waren die einzigen Menschen auf dieser Erde. Die einzigen, die zählten.

Ich wollte ihr nicht nur sagen, dass ich sie liebte. Ich wollte ihr auch zeigen wie sehr.

Erwin x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt