26 - Obito

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»Du baust dein Glück auf Sand,
dann kommt die Welle.«
~ Christina Stürmer, Was wirklich bleibt

Einige Tage später stahl Obito sich schon früh aus dem Haus, um in die Innenstadt zu gehen. Ihm war nicht ganz wohl bei seinem Weg dorthin, aber er musste es tun, weil er die Hilfe einer gewissen Person benötigte, um sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Und so stand er schließlich mit klopfendem Herzen vor der Tür zum Büro des Hokage, eine Hand bereits erhoben, um anzuklopfen, aber er zögerte noch. Wie sollte er vernünftig mit Minato sprechen, wenn seine Schuldgefühle wieder hochkamen? Mit seinem Ausscheiden aus der ANBU hatte er Minato bitter enttäuscht. Zumindest hatte Obito das immer angenommen, denn danach hatten sie nicht mehr oft miteinander gesprochen. Aber er musste jetzt über seinen Schatten springen, wenn er sein Vorhaben umsetzen wollte.

Also klopfte er und trat ein, nachdem er hereingebeten worden war.

»Oh, guten Morgen, Obito. Was kann ich für dich tun?«

»Guten Morgen. Haben Sie gerade Zeit, Hokage-sama?«

»Nicht so förmlich, Obito. Minato reicht völlig aus. Und ja, ich habe noch etwas Zeit, bevor meine täglichen Pflichten beginnen. Der Papierkram hier kann auch noch etwas länger warten.«

Obito nahm einen tiefen Atemzug und sammelte sich, bevor er mit seinem Anliegen herausrückte.

»Wie sieht es denn demnächst mit, ähm, freien Tagen für die ANBU aus? Kakashi hat heute seinen Untersuchungstermin und wird vermutlich wieder für einsatzfähig befunden. Aber ich bräuchte da eventuell im September einen Tag, an dem er frei bekommen könnte, um, ähm ... etwas zu erledigen.«

Minato stützte die Ellbogen auf den mit Papierstapeln und Büchern beladenen Schreibtisch, legte seinen Kopf auf seine Hände und sah Obito interessiert an. »Wenn du mir sagst, worum es hier gerade wirklich geht, dann könnte ich mal einen Blick in den Einsatzplan der ANBU werfen.«

Obito biss sich auf die Unterlippe. Er hatte es ja geahnt. Minato war niemand, der sich mit einer so vagen Information zufrieden gab.

»Es ist noch nicht sicher, daher wollte ich nur mal im Voraus anfragen ...«

»Obito. Nun sag schon, was du auf dem Herzen hast. Möchtest du mit Kakashi einen Ausflug machen?«

»Nein, Hokage-sama –«

»Minato, bitte.«

»Dann Minato, wenn Sie darauf bestehen. Ich benötige den Tag für eine private Angelegenheit.«

Ein Grinsen erschien auf dem Gesicht seines ehemaligen Senseis, und er lehnte sich in seinem Sessel zurück, bevor er fragte: »Planst du etwas für Kakashis Geburtstag?«

Minato war immer schon neugierig gewesen, aber das ging jetzt eindeutig zu weit, fand Obito. Aber er wusste auch, dass Minato nicht locker lassen würde, auch wenn ihn der Grund dafür nichts anging. Seufzend nickte er.

»Na, dann sag das doch gleich. Ich werde die Missionen so planen, dass Kakashi an seinem Geburtstag voraussichtlich auf keine gehen muss. Aber versprechen kann ich nichts, denn es kann immer etwas Unerwartetes passieren, aber das muss ich dir ja nicht sagen. Warst ja selbst mal in der ANBU.«

Bämm.

Da war es, das Thema, das Obito hatte vermeiden wollen. Seine Hände ballten sich automatisch zu Fäusten und er spürte, wie seine Nackenmuskeln begannen, sich zu verkrampfen.

»Ja, deswegen frage ich ja an«, antwortete er deshalb kurz angebunden und stand dann unschlüssig herum, unfähig, Minato direkt anzusehen.

»Es ist schön, dass du dich so um Kakashi kümmerst. Er hat sich nach deinem Zusammenbruch damals ja auch für dein Wohlergehen eingesetzt.«

»Was meinen Sie?«, fragte Obito überrascht.

»Deinen Austritt aus der ANBU.«

In Obitos Magen machte sich ein ungutes Gefühl breit. Was meinte Minato damit, dass Kakashi sich für ihn eingesetzt hatte? Nach seinem Zusammenbruch hatte Minato ihn aus der ANBU entlassen, das wusste er, aber was hatte Kakashi damit zu tun? Obito hatte sich danach völlig zurückgezogen und jeglichen Kontakt zu allen Leuten außer zu seiner Oma vermieden.

»Sie haben mich doch damals entlassen ...«

»Das habe ich auf Kakashis Bitte hin getan.«

Sein Herz machte einen erschrockenen Satz.

Nein. Das konnte nicht sein.

Obito fühlte sich, als wäre er wie damals bei seinem Unfall unter einem Felsen begraben worden. Sein Körper verweigerte jegliche Bewegung, und so stand er stocksteif da, während die Gedanken nur so durch seinen Kopf wirbelten.

Kakashi hatte Minato gebeten, Obito aus der ANBU zu entlassen – und ihn somit vor allen als den schwachen Uchiha bloßgestellt, der in seinem Leben noch nichts auf die Reihe bekommen und dann auch noch bei der ANBU versagt hatte?

Das wollte Obito nicht glauben. Kakashi hätte so etwas nie getan. Kakashi war sein bester Freund gewesen.

Oder?

Der Drang, dieser Situation zu entfliehen, wurde so übermächtig, dass Obito seinen Körper wieder unter Kontrolle bekam und sich derart hastig umdrehte, dass er taumelte, sich gerade noch fing und dann Hals über Kopf aus dem Büro stürmte, sodass er nicht mehr ganz mitbekam, was Minato ihm hinterher rief.

»Obito, warte! Kakashi hat es getan, weil –«

Doch Obito war schon außer Hörweite und das Rauschen in seinen Ohren und das Dröhnen in seinem Kopf nahmen immer weiter zu, während er die Gänge entlang, die Treppen hinunter und schließlich hinaus ins Freie rannte, wo er sich gegen eine Hauswand lehnen musste, weil sich um ihn herum alles drehte.

Er wollte es einfach nicht glauben.

Kakashi war für sein Leid verantwortlich gewesen.

Für all die furchtbaren dunklen Stunden, in denen Obito voller Selbstzweifel und Selbstmitleid in seinem Zimmer gesessen und sich gefragt hatte, warum er überhaupt noch lebte. Welchen Grund er dazu hatte, noch atmen zu dürfen. Es wäre besser gewesen, wäre er nie gerettet und von dem Felsen begraben worden. Dann hätte er sich all das Leid erspart, all den Schmerz, dieses furchtbare Leben, das doch nichts für ihn bereithielt außer Qual und Zurückweisung.

Obito hatte damals darüber nachgedacht, ob er nicht gut genug oder zu schwach für die ANBU gewesen war. Sein emotionaler Zustand war nach dem Unfall nicht der Beste gewesen, was hauptsächlich an seinem geschundenen Körper gelegen hatte, der sein bereits sehr geringes Selbstwertgefühl gegen Null hatte sinken lassen, aber er hatte sich bereit für die ANBU gefühlt. Und Kakashi hatte ihn sogar noch unterstützt! Warum war er ihm dann so in den Rücken gefallen und hatte ihn in den tiefen Abgrund gestoßen, aus dem Obito nie vollständig wieder herausgefunden hatte?

Mit zitternden Fingern umschloss Obito das kleine Kästchen, das sich schon seit einigen Tagen in seiner Hosentasche befand. Er war versucht, es gegen die nächstbeste Wand zu werfen.

Er hatte vorgehabt, Kakashi an seinem Geburtstag zu fragen, ob er ihn heiraten wollte.

Doch jetzt war der Traum endgültig vorbei, aus dem er viel zu abrupt und unsanft gerissen worden war.

Wie hatte er je glauben können, dass er Kakashi wirklich etwas bedeutete?

Kakashi war nicht besser als alle anderen ANBU. Er hatte nur nie den Mumm gehabt, Obito ins Gesicht zu sagen, wie sehr er ihn bemitleidete für sein elendes Dasein. Vermutlich war er nur mit Obito zusammen gekommen, um nach seiner Rehabilitation lachend seinen Kameraden erzählen zu können, wie leicht es gewesen war, den Uchiha-Krüppel herumzukriegen.

Dieser Gedanke schmerzte Obito so sehr, dass er einen verzweifelten Schrei nicht unterdrücken konnte und schließlich schluchzend an der Hauswand zusammenbrach.

If I Told YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt