3. Der kleine Junge

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Wir hatten bereits Anfang Juli, weshalb die Sonne um diese Uhrzeit die Umgebung enorm erhitzte. In der Innenstadt wäre es um diese Uhrzeit draußen kaum auszuhalten gewesen, doch hier, am Waldrand, warfen die Bäume riesige Schatten. Nur am stark erhitzten Asphalt erkannte man, dass wir uns bereits im Sommer befanden.

Dies war auch die Jahreszeit, in der Modest Tree begann die letzten Bäume dieses Jahres zu fällen. Im Herbst würden sie die neuen Sprösslinge einpflanzen und im Winter läge ihr Fokus nur noch auf der Holzverarbeitung.

Doch, nicht nur Modest Tree hatte, um diese Jahreszeit immer viel zu tun, auch die Werkstatt meines Vaters überlief förmlich im Sommer. In Massen kamen Einwohner her, um ihr Auto oder Motorrad für den Sommerurlaub noch einmal überprüfen zu lassen. Aus diesem Grund ertönten auch die Geräusche der Werkzeuge meines Vaters aus der Garage.

Ich zog mir den Träger meines Rucksacks enger über die Schulter und lief dann die paar Meter über den erhitzten Asphalt unserer Einfahrt zu der Garage.

Mein Vater hatte zwar eine unordentliche Werkstatt, doch gerade das ließ sie um einiges sympathischer erscheinen. In einem geordneten Chaos, sodass sich niemand, außer meinem Vater, zurechtfand, lagen die Werkzeuge in der gesamten Werkstatt verteilt. Der weiße Putz an den Wänden bröckelte langsam ab und die blauen kleinen Werkbänke versperrten den Weg zu dem kleinen Büro. In der Mitte befand sich gerade ein dunkelgrüner Jeep. An der Wand neben dem Garagentor lehnte ein schwarzes Motorrad. Vor diesem erstreckte sich der zwei Jahre alte Ölfleck, den mein Vater und ich nicht ganz entfernen konnten.

Mit einem metallenen Rollbrett lag mein Vater unter dem dunkelgrünen Jeep. Lediglich seine Beine ragten unter dem Auto hervor. Langsam rollte er unter dem Auto hervor und erschrak, als er mich im Eingang erblickte.

"Da bist du ja mein Junge. Wie war es in der Schule?", fragte er mich liebevoll.

"Wie immer", brummte ich kurz und zuckte mit den Schultern.

Enttäuscht, dass ich ihm nicht mehr erzählte, seufzte er: "Nun gut, kannst du mir wenigstens eine der Werkbänke hierherschieben?"

Genervt nickte ich und steuerte auf die blauen Werkbänke vor der Bürotür zu. Meinen Rucksack stellte ich neben der Tür ab und zog dann eine der Werkbänke auf dem Weg zu meinem Vater hinter mir her.

Mein Vater lag schon wieder halb unter dem Auto und meinte: "Reichst du mir mal den Drehmomentschlüssel?"

Verzweifelt durch das, selbst in der Werkbank vorhandene, Chaos öffnete ich, wie eigentlich jedes Mal, jede der Schubladen, bis ich den Drehmomentschlüssel zwischen meinen Fingern hielt. Mein Vater hatte keine Anstalten gemacht auch nur ein bisschen unter dem Auto hervorzukommen. Er streckte nur die Hand aus, sodass ich ihm den Drehmomentschlüssel in die Hand legen konnte.

Während mein Vater fleißig am Schrauben war, drückte ich die Feststellbremse der Werkbank mit meinem Fuß runter, sodass ich mich an diese lehnen konnte, ohne dass sie wegrollte.

Eine Weile sah ich ihm nur stumm zu und reichte ihm ab und zu ein paar Werkzeuge, bis ich dann schließlich das ansprach, das ich schon längst hätte ansprechen sollen: "Dad, können wir mal kurz reden?"

Mein Vater rollte wieder unter dem Auto hervor. Seine Hände waren ölverschmiert und auch auf seinem grauen T-Shirt strahlte einem der ein oder andere Ölfleck entgegen. Sein blauer Overall, den er aber nur bis zur Hüfte trug, da er ihn lieber hinten baumeln ließ, als unter Hitzewallungen zu sterben, schien noch gänzlich sauber. Dies lag aber wahrscheinlich nur daran, dass wir gestern Waschtag hatten. Er ergriff den bereits schmutzigen weißen Lappen auf der Werkbank, um seine Hände ein wenig von dem Öl zu befreien.

"Du weißt doch, dass du immer mit deinem alten Herrn reden kannst", entgegnete er und lächelte mir mit seinen warmherzigen hellblauen Augen entgegen.

Da ich noch nicht fortfuhr, veränderte sich seine Miene schlagartig. Sein Gesichtsausdruck schien verlegen, als er fragte: "Müssen wir jetzt etwa das Mädchengespräch führen, denn weißt du, ich bin ganz schlecht darin. Ich würde dir ja vorschlagen, dass du deine Mutter anrufst und mit ihr darüber redest, doch, wenn ihr neuer Mann das mitbekommt, denkt er, ich wäre ein unbegabter Vater, also ... "

Mit einer Hand nervös durch sein dunkelbraunes Haar gleitend meinte er: "Mit Mädchen ist das so ..."

"Stopp!", rief ich dazwischen, "Dad, was glaubst du eigentlich, wie alt ich bin? Ich bin siebzehn Jahre alt. Dieses Gespräch kommt ein paar Jahre zu spät oder glaubst du etwa, ich hätte noch keine Erfahrungen mit Mädchen gemacht. Ach ja stimmt, für dich bin ich ja noch ein kleines Kind. Eigentlich wollte ich dich fragen, ob ich morgen mit meinen Freunden den vierten Juli feiern könnte, aber ich weiß auch nicht, was ich mir dabei gedacht habe. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, warum ich das schon seit Wochen aufschiebe, denn mir war klar, dass du mich noch für das kleine naive Kind hältst. Weißt du was? Vergiss es einfach. Vergiss einfach unser ganzes Gespräch, so wie du auch, seit Mom vor zehn Jahren ging, vergessen hast, dass dein sieben Jahre alter Sohn älter wird."

Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte ich zu den Werkbänken, um meinen Rucksack zu holen, und verließ anschließend wütend die Garage.

Als ich kurz vor unserer Haustür stand, hörte ich meinen Vater rufen: "David, komm jetzt hier her. Lass uns über das ganze reden."

Ich ignorierte seine Worte. Ich wollte nicht mit ihm reden. Jedes Mal, wenn ich versuchte, das Thema anzusprechen, wich er mir aus. Es schien, als wäre seine Zeit vor zehn Jahren stehen geblieben, als lebe er seither in einer Blase, die ihn von dem Rest der Welt abschottete.

Hastig öffnete ich die Haustür und schlug diese sofort wieder hinter mir zu, da ich die Schritte meines Vaters auf mich zugehen hörte. Da unser Haus nicht besonders groß war, stand ich sofort im Wohn- beziehungsweise Esszimmer, denn die beiden Räume waren zusammengelegt. Der Raum war recht rustikal gehalten. Dunkle rustikale Möbel aus Holz waren im Raum verteilt. Die Wände waren in einem schlichten Weiß verputzt und mit Familienfotos bestückt. Unter den Familienfotos waren nur ein Familienbild väterlicher Seite, Bilder aus der Jugend meines Vaters mit seinem Motorrad auf seinen Roadtrips und ein paar Bilder von mir bis zu meinem siebten Lebensjahr. An manchen Stellen hingen noch die Nägel, die einst Bilder von meiner Mutter trugen. Bei alten Familienbildern mit meiner Mutter, meinem Vater und mir hatte mein Vater die Fotos so gefaltet, dass meine Mutter nicht mehr zu sehen war.

Noch immer wütend durchquerte ich den dunkel gehaltenen Raum und betrat den engen Flur, der in die restlichen Räume dieses Hauses führte. Meinen Vater hörte ich bereits die Haustür öffnen und erneut meinen Namen rufen. Daraufhin beschleunigte ich meinen Schritt und steuerte meine Zimmertür an. Unter Schwung öffnete ich diese und schloss sie rechtzeitig hinter mir ab, sodass mein Vater nun vor einer abgeschlossenen Tür stand.

"David, mach die Tür auf und lass uns reden", bat mich mein Vater traurig.

"Reden wir dann etwa so wie sonst? Ich rede und du hörst nicht zu, da die Autos wichtiger sind?", schrie ich durch die geschlossene Tür.

"Ich kann verstehen, dass du sauer bist, aber du bist doch mein kleiner Junge und das wirst du auch immer bleiben. Und genau deshalb wünsche ich mir, dass du morgen hier bei mir bist und wir uns gemeinsam einen schönen Tag machen, so wie früher", sprach er hoffnungsvoll.

Wieder einmal schrie ich ihn an: "Nichts wird so sein wie früher. Ich bin verdammt noch mal keine sieben Jahre mehr alt und genau deshalb verstehst du mich auch nicht!"

Die Hand meines Vaters legte sich sachte an die Tür und, auch wenn ich ihn nicht sehen konnte, wusste ich, dass er seine Hand so an der Tür positionierte, dass ich meine Hand theoretisch auf seine legen konnte.

Erst wollte ich dies auch machen, doch dann sprach er seinen nächsten Satz aus: "Wenn du der Meinung bist, dass ich dich nicht verstehe, dann tue ich das jetzt auch nicht. Ich verbiete dir, morgen zu der Party zu gehen."

Daraufhin entfernten sich seine Schritte und mit jedem Schritt, den er sich von mir entfernte, wurde die Wut in mir nur umso größer.

Meine Hand formte sich zu einer Faust, als ich ihm noch hinterherschrie: "Ich hasse dich!"

Die Stadt, in der es mich nicht gibtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt