Das schrille Geräusch der Sirene des Krankenwagens durchbrach die stille Nacht. Vorsichtig öffnete ich meine Augen. Wider meiner Erwartungen saß ich nicht wie zuvor am Beifahrersitz von Renés Auto, sondern lag auf dem kalten und harten Asphalt.
Alles um mich herum bewegte sich in Zeitlupe. Die Sanitäter näherten sich mir, doch ich konnte sie nicht richtig erkennen.
Mein Körper fühlte sich schwer und nutzlos an. Der Scheinwerfer des Krankenwagens leuchtete genau in meine Richtung und bot mir etwas, auf das ich mich fokussieren konnte, und was mir Hoffnung gab.
Die durch die Scheinwerfer leuchtenden Jacken der Sanitäter traten immer schärfer in mein Sichtfeld und am liebsten wäre ich ihnen entgegengerannt, doch es war, als hätte mein Kopf vergessen, wie mein Körper funktionierte.
Irgendetwas schien jedoch nicht richtig zu sein, denn als die Sanitäter bei mir ankamen, gingen sie an mir vorbei. In diesem Moment funktionierte plötzlich wieder jede meiner Muskeln, sodass ich mich mühevoll aufrichtete.
Gegenüber dem Krankenwagen konnte ich Renés Auto ausfindig machen. Demoliert stand es vor dem Baum. Von dem Reh war keine Spur mehr zu sehen.
In dem Moment, in dem mein Sichtfeld wieder klar wurde, fing auch die Zeit wieder im normalen Tempo an zu laufen. Vorsichtig holten die Sanitäter René aus dem Auto. Bewusstlos legten sie ihn auf die Trage.
Aus dem Augenwinkel erkannte ich einen mir bekannten roten rostenden Truck. Im selben Moment, in dem ich mich in seine Richtung drehte, sah ich Coach Stevenson, der mit einem Erste-Hilfekasten in der Hand in meine Richtung rannte.
Kurz bevor er bei mir war, rief ich ihm verzweifelt entgegen: "Coach, bitte sagen Sie mir, was hier los ist!"
Auch er lief an mir vorbei in Richtung des Autos. Während er die Hintertür öffnete, brachten die Sanitäter René zum Krankenwagen. Er öffnete die Tür und half Nate beim Aussteigen.
Vorsichtig näherte ich mich ihnen und hörte Nate verzweifelt und mit Tränen in den Augen brüllen: "Nein, helfen Sie erst ihm Coach! Bitte helfen Sie ihm!"
Ich verstand seine Worte nicht. René war doch bereits im Krankenwagen und er selbst sah übel aus. Eine Platzwunde zierte seine Stirn und tränkte seine Kleidung leicht mit Blut.
Der Coach kümmerte sich dennoch stur um Nate, während die Sanitäter mit der Trage zurückgerannt kamen. Sie gingen jedoch nicht zu Nate, sondern öffneten hektisch die Beifahrertür. Irritiert folgte ich ihnen. Einen leblosen Körper holten sie aus dieser Tür hervor, dessen Arme und Stirn blutverschmiert waren.
Das wahrhaft erschreckende daran war jedoch, dass ich diese leblose Person kannte.
Ich selbst war es, der auf die Trage gelegt und hektisch zum Krankenwagen gebracht wurde.
"Könnten Sie mit dem Jungen ins Krankenhaus nachfahren? Wir haben zu wenig Platz", fragte einer der Sanitäter in Eile unseren Coach.
Dieser nickte schnell und wendete seinen Blick, von dem noch recht jung aussehenden Sanitäter ab und sah stattdessen mitleidig zu meinem Körper.
Stur folgte ich meinem Körper in Hoffnung Antworten über all das bekommen zu können. So folgte ich auch meinem Körper in den Krankenwagen.
Einer der Sanitäter blieb bei René und meinem Körper. Die ganze Zeit über hing er über meinem Körper und versuchte mich wiederzubeleben. René hatten sie auf einen der an der Seite befestigten Stühle gesetzt.
Er sah lange nicht so schlimm aus wie mein Körper und dennoch tat er mir leid. Sein Gesicht schien ganz blass und seine Lippe war aufgeplatzt.
Ziemlich schnell kamen wir beim Krankenhaus zwischen Harvestfall und der nah gelegenen Nachbarstadt, Lakewood, an.
Die Türen des Krankenwagens öffneten sich und augenblicklich erschienen mehrere Ärzte um uns herum. Ein paar packten René auf eine Trage und brachten ihn weg, der Rest fuhr mit mir in eine andere Richtung.
Während die Ärzte mit mir durch die Notaufnahme rannten, hörte ich einen Arzt den Sanitäter fragen: "Welche Symptome?"
Dieser antwortete ihm: "Kein Lebenszeichen."
Augenblicklich beschleunigten alle ihren Schritt und durchquerten eine große Tür für einen Operationssaal. Ich versuchte, panisch mit ihnen Schritt zu halten, doch bei der letzten Tür war ich zu langsam, sodass ich in einem kleinen Raum vor einer Glaswand stand und zusehen musste.
Ängstlich zog ich an der Tür in Hoffnung die Gespräche dann mitbekommen zu können, doch nichts tat sich. Verzweifelt lehnte ich mich zusammengekauert an die Wand und sah mit an, wie sie versuchten, mein Leben zu retten.
Sterben hatte ich mir immer anders vorgestellt. Ich dachte immer, man schließt die Augen und ist dann weg. Ich dachte, man befindet sich in einer schwarzen Leere, doch ich saß hier und musste mir ansehen, wie ich sterbe.
Im selben Moment sah ich aus meinem Augenwinkel jedoch ein Zeichen der Hoffnung. Auf dem Monitor war nicht mehr nur noch eine lang gezogene Linie, sondern mein Puls, zu sehen.
Genauso wie ich jubelten auch die Ärzte. Glücklich stand ich auf und legte meine Hand an die Glasscheibe. Währenddessen sah ich zu, wie sie letzte Maßnahmen ergriffen, bis sich die große Tür wieder öffnete und sie mich auf einem Bett liegend rausfuhren. Wie zuvor folgte ich meinem Körper, bis sie mich in einem leeren Zimmer abstellten.
Als die Ärzte verschwanden, strich ich meinem Körper ruhig über das Gesicht. Ich spürte nichts und jetzt, wo mein Körper doch lebte, warum stand ich dann hier und war nicht in meinem Körper?
Kurz darauf platzte auch schon der Coach in mein Zimmer, dicht gefolgt von einem misstrauischen Arzt.
"Was wollen Sie hier? Sind Sie der Vater?", fragte ihn der Arzt ernst.
Selbstbewusst und erschüttert starrte er ihm in die Augen und erklärte: "Ich bin sein Coach. Ich habe die Jungs am Straßenrand entdeckt und bin mit dem dritten hinterhergefahren. Also, was ist mit ihm?"
Eine Weile schien der Arzt zu überlegen, doch dann erläuterte er: "Nun gut, eigentlich dürfte ich Ihnen das nicht sagen, aber er hatte innere Blutungen. Wir konnten das Problem beheben, doch er ist ins Koma gefallen."
Der Coach wendete sich nun wieder mir zu und stellte sich an das Bett, während der Arzt verschwand.
Es war mehr ein Flüstern, was er von sich gab: "Was hast du nur angestellt? Ich habe dir doch gesagt, dass du vor Montag keine Dummheiten machen sollst."
Während der Coach traurig auf das Bett starrte und ich ihn dabei musterte, betrat Nate das Zimmer. An seiner Stirn hing nun ein Verband und ein Pflaster zierte seinen Arm.
"Wie geht es ihm?", fragte ihn der Coach. "René ist stabil. Sie untersuchen ihn gerade und wie geht es David?", meinte er und sah verzweifelt zu mir.
"David liegt fürs Erste im Koma. Eure Eltern wissen bereits von dem ganzen Bescheid. Sein Vater und Renés Eltern sind bereits auf dem Weg hierher. Deine Eltern wollen, dass ich dich zurückbringe, bevor wieder etwas passiert."
Stumm nickte Nate und wendete seinen Blick nicht von mir ab. Zu gern hätte ich gewusst, was gerade in seinem Kopf vor sich gehen mag. Er starrte nur stur zu meinem Körper und machte einen bereuenden Blick.
Der Coach packte ihn vorsichtig an den Schultern und zog ihn aus dem Zimmer. Kurz bevor sie aus der Tür verschwanden, drehte er sich noch ein letztes Mal um und sah reuevoll meinen Körper an. Dann waren sie auch schon aus der Tür verschwunden und ich stand hilflos und allein neben meinem Körper in dem Zimmer.
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Die Stadt, in der es mich nicht gibt
Teen FictionFür David gab es immer nur ein Ziel: so schnell, wie möglich aus Harvestfall entkommen und das am besten noch mit einem Footballstipendium. Dies soll sich jedoch schnell ändern, als eine ereignisreiche Party die Wahrheit über seine Freunde offenbart...