chap 6'

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×××

Bjarka.

Mit einer Hand strich er eine Strähne hinter mein rechtes Ohr. Seine Finger waren immer noch eiskalt, weshalb mich die kurze Berührung schon fast erschaudern ließ. Ich drückte mich noch näher an die Wand, was eigentlich gar nicht möglich war. Aber mir blieb nichts Anderes übrig.

Ich hatte Angst.
Ach was.
Ich spürte sie förmlich.
So wie er da vor mir stand.
Einen eisernen Käfig bildend, in dem ein grün blinkendes Notausgang-Schildchen fehlte.

Erst jetzt hatte ich einige kleine Fetzen von dem, was er vorher nur so herunterratterte, verstanden.

Er wusste mein Geburtsdatum mit genauer Zeit. Mein Lieblingsessen. War da noch was? Ach ja.

Meinen richtigen Nachnamen.

Bjarka.

Es war zwar nur mein alter Name, aber niemand. Wirklich niemand kannte meinen wahren Nachnamen. Also den meiner Monster-Eltern. Bei meiner Ankunft im Heim hatte ich einen neuen Namen auf's Papier bekommen, Leroy. Nicht mal Taddl, Ardy, Tara und Robin kannten den wahren. Außer Luca zumindest. Der einzige, der mich ja hier vor dem Heim kannte. Und er würde niemals einem wildfremden, ekelhaft gestörten Typen meine ganzen Daten verraten. Glaubte ich. Hoffte ich.

War auch so.

"Was ist denn los, kleine Bjarka? Wo ist denn den großes Maul geblieben..?", nuschelte er immer noch direkt in mein Ohr.

Ich sah mich um. Keine Menschenseele weit und breit. Nur er und ich, an der Wand angelehnt, die in einen kleineren Flur in Richtung der Turnsäle war. Es waren bestimmt noch eine Viertelstunde bis es muhte und somit die ganzen Schüler herausstürmten. Mir war jetzt schon bewusst, dass das noch sehr, sehr lange dauern würde.

Hätte es sich etwas gebracht, wenn ich zum Schreien oder dergleichen angefangen hätte? Schwer vorstellbar. Vielleicht hätte er es sowieso irgendwie mit seinem Gesicht vor meinem Mund abblocken können. Bei ihm hätte es mich nicht gewundert. So psycho wie der drauf war, hätte es mich nicht mal überrascht, wenn er jetzt seine Alien-Armee mit seiner Snapback hergezaubert hätte.

Mir war mittlerweile schon fast so kalt wie seine Hand. Ich hielt es hier nicht aus. Ich hatte Heidenangst. Und das ausnahmsweise nicht wegen meines Images, welches er innerhalb von Sekunden hätte one-hitten können. Nein.

Tausende Fragen spamten meinen Kopf voll.

Woher wusste er das alles?
Wer hatte es ihm gesagt?
Was führte ihn denn eigentlich dazu, mir das jetzt einfach alles so zu sagen?

Und meine Fresse, wer war er überhaupt?

Aber nein. War ja klar. Ich kam nicht mal ansatzweise dazu, auch nur ein kleines bisschen mein ach so großes Maul zu öffnen und ihm irgendetwas davon an den Kopf zu werfen. Traurig, dass ich ihm sogar jetzt noch in der Situation Recht gab.

Ich zählte seine Atemzüge. Wie ein Countdown. Seitdem ich mit der Wand hinter mir so dermaßen intim geworden war und er meinen Nachnamen erwähnte, hatte ich angefangen zu zählen. Immerhin konnte ich sie ja auch schlecht ignorieren, da er ja die ganze Zeit in mein Gesicht pustete. Und wie. Mit vollster Absichtlichkeit. Zu 101%.

Vierundzwanzig.

Nicht, dass er Mundgeruch hatte oder so. Ganz im Gegenteil, sein Atem roch nach irgendwelchen sauren Süßigkeiten und Pfefferminz. In einem. Mit diesem fruchtigen Prickeln und so, in Richtung Gummibärchen mit Sauerzucker, - oder wie das auch heißt -, drauf. Nicht, dass ich extra geschnüffelt hatte oder so. Aber sowas konnte einem ja schlecht entgehen, wenn er so direkt vor deiner Nase heruntergebeugt stand.

Wo blieb denn der allseits bekannte Held, der immer im richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort war?

Dreißig.

Ich wusste die Antwort. Naja. Bei mir zumindest.

Kiffend sitzt er auf dem Eiffelturm des da obens, was die meisten wohl als Himmel bezeichneten, die Asche des gedrehten Joints am Aschenbecher schnippend, nebenbei eine Seifenoper der 90er im Hintergrund laufend und zu mir herabblickt, um mich auszulachen.

Darf ich vorstellen? Mein persönlicher Held. In Hilfssituationen. Nur für mich. Ganz allein. Wie ein Spiegelbild meiner Wenigkeit.

Neununddreißig.

Karma.

"Hab' ich dir die Sprache verschlagen", setzte er an, "oder warum sagst du plötzlich nichts mehr?"

Während er mich immer wieder schon bei allem, was er auch nur tat, so dermaßen aufregte, versuchte ich ihm eine zu Wischen. Bis jetzt hatte ich meine beiden Hände einfach nur so auf der Wand liegen lassen und zupfte an meiner Nagelhaut herum. Eine schlechte Gewohnheit, das geschah aber nur immer, wenn ich traurig, nervös oder wütend war. Nehmen wir mal Letzteres. Und das passierte nicht allzu selten, da momentan die empfindliche Haut schon aufgekratzt und blutig war.

Aber hey, wieso wunderte es mich nicht, dass mein ach so toller Plan, der aus wischen, ablenken und abhauen bestand, mal wieder ein Schuss in den Ofen war? Nein, nein, es kam sogar noch besser.

Danke.
Danke, Universum.

Im letzten Moment, als meine Handfläche schon praktisch seine Wange berührte, hielt er mich fest. Einfach so, ohne auch nur einen kleinen Funken von Schreck oder Ähnlichem zu zeigen. Als ob er das schon gewusst hatte. Als ob er meine Gedanken gelesen hatte. Als ob er schon alles vorausgeplant hatte, mit all meinen einzelnen Reaktionen.

Ich konnte meinen ganzen Arm wegen seiner festen Haltung nicht bewegen, trotzdem fühlte es sich nicht so an, dass er mein Handgelenk zerdrückte.

Sechsundvierzig.

Wie ich es so abartig hasste, so schwach gewesen zu sein.

"Werden wir jetzt auch noch gewalttätig, kleine Bärin?", lächelte er nur unschuldig so vor sich hin, wie bei einem Kaffeekränzchen, bei dem man sich über die neue Staffel von Grey's Anatomy unterhielt.

Ich stand so kurz davor, in seine Hand zu beißen.

"Wärest du mal so nett und würdest mich aufklären? Ich hab' kein Bock solche Spielchen.", versuchte ich so gelassen wie möglich anzufangen.

Betonung auf versuchte. Immerhin platzte ich ja eigentlich so vor Neugier. Obwohl, Neugier konnte man es nicht richtig bezeichnen. Sagen wir mal, dass er mir eine Aufklärung schuldig war. Und verdammt nochmal, das war er.

Er grinste. Grinste wie so ein dreckiges, perverses Schwein. Ohne auch nur ansatzweise mir antworten zu wollen, packte er aus heiterem da oben, - also Himmel -, meine beiden Hände, warf sie daraufhin gegen die Wand und hielt sie, genauso wie vorhin,
eisern fest. Musste wohl sehr eigenartig ausgesehen haben, so, wie er da zu mir herabsehend, - Arsch -, mich an die Wand kettete.

Einundfünfzig.

Aber das waren ja nicht mal meine größten Sorgen. Ich befürchtete eher, dass meine Hände bis dahin einfach schon vor Kälte abgebrochen waren, da seine, der Temperatur nach, wahrscheinlich aus der Tiefkühltruhe stammten.

Vierundfünfzig.

Er berührte meine Stirn mit seiner. Musste wohl wie so ein zu groß geratener Zwerg ausgesehen haben, da er bestimmt wegen meiner Kleinheit einen richtigen Buckel hatte. Eigenartig, dass mir mein nicht vorhandener Humor bis jetzt noch hinter mir stand.

Neunundfünfzig.

Seine Nase verschwand wieder entlang meiner Wange zum Ohr. Ich fühlte an meinen Haaren, wie er den Mund leicht öffnete und ansetzte.

Sechzig.

Und dann kam das Unerwartetste.

×××

Bin zwar nicht ganz sooo zufrieden, aber ja. Ein typisches #ichkannnichtschlafen-Kapitel eben!

Anmerkung: Es ist gerade 02:02 also mhmmm.

Oh, und falls es wen interessiert: Bjarka heißt nordisch soviel wie kleine Bärin. Und ja, das ist eigentlich ein weiblicher Vorname, aber ich weiß auch nicht, wie ich jetzt drauf gekommen bin. ^^

meow~
nebenexistenz ♥

×××

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