08.

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Nachdem wir also mit den Hausaufgaben fertig sind, packt Kyran seine Sachen zusammen und stellt seinen Rucksack im Haus ab, bevor er zurück zu mir in den Garten kommt. Er grinst breit. Fast so, als habe er etwas geplant. Ich ahne nichts Gutes und verziehe angesichts dessen das Gesicht.

»Schau mich nicht so an, Mia«, lacht er, als er schließlich vor mir steht. Ich muss den Kopf heben, um ihm in die Augen blicken zu können. »Ich habe mir etwas überlegt.«

Ich schüttele den Kopf, bevor er weitersprechen kann. »Ich habe genug von deinen Überlegungen«, sage ich und stehe auf. »Das letzte Mal, als du eine ach-so-tolle Überlegung hattest, hast du Tess erzählt, wir hätten beinahe miteinander rumgemacht. Weißt du wie schrecklich diese Situation für mich gewesen ist?«

Kyrans Mund verzieht sich zu einem breiten Grinsen, bevor er sich auf den Stuhl fallen lässt. Er schaut zu mir auf und kneift dabei die Augen zusammen, weil ihm die Sonne ins Gesicht strahlt. »Keine Angst, Mia. Ich werde schon nichts tun, das du nicht willst.« Er lächelt und obwohl ich diesen Jungen vielleicht einmal eine Woche kenne - ich meine richtig kenne - glaube ich ihm, vertraue ich ihm und bin mir sicher, dass er diese Situation nicht schamlos ausnutzen wird.

Ich seufze und setze mich ihm gegenüber. »Okay, was hast du dir überlegt?«

»Ich habe doch letztens gesagt, dass wir das Ganze Schritt für Schritt angehen werden oder?« Ich nicke, woraufhin er weiter redet: »Wir beginnen einfach bei den Grundlagen. Zum Beispiel deiner Haltung und deinem Gesichtsausdruck.«

»Meinem... Gesichtsausdruck?« Ich starre ihn an. Will er mir gerade ernsthaft erklären, dass mir meine Haltung und mein Gesichtsausdruck dabei helfen werden, einen Freund zu finden?

Kyran lächelt und nickt. »Du glaubst gar nicht, wie viel das ausmachen kann. Mia, Schönheit kommt mit der Ausstrahlung. Das hat nichts damit zu tun, wie groß deine Nase oder deine Augen sind, ob du die richtigen Kurven an den richtigen Stellen hast, es kommt viel mehr von da drinnen.« Er bohrt mir seinen Finger in die Brust. »Und weißt du, was ich total sexy finde? Wenn Mädchen lachen. Ich meine so richtig lachen. Es muss nicht schön aussehen, sie können dabei aussehen wie ein Nilpferd oder Geräusche wie ein Walross machen, es kann noch so lächerlich aussehen. Ein schönes Lachen kannst du mit keinem Geld der Welt kaufen, es muss ehrlich und aufrichtig sein und dann ist es egal wie du aussiehst, es wird die Menschen umhauen.«

Ich sehe ihn unsicher an. Was er sagt, klingt viel zu schön, um wahr zu sein. Ich will ihm glauben, aber ich schaffe es nicht. Ein Blick auf die Gesellschaft um mich herum reicht, um mich vom Gegenteil zu beweisen. Die Welt ist voller Menschen, die andere Menschen nach ihrem Aussehen beurteilen.

»Hör mal, Mia, du musst dir bewusst werden, was für einen Typen du suchst. Es gibt da draußen verdammt viele oberflächliche Menschen, die glauben, dass diese Fassade«, sagt er und deutet auf meinen gesamten Körper, er zieht einen imaginären Strich von meinem Kopf zu meinen Füßen, »alles ist, dass ein hübsches Gesicht ausreicht, um schön zu sein. Aber ihnen ist nicht klar, wie gegensätzlich diese Wörter eigentlich sind. Etwas, dass schön ist, ist auch hübsch, aber etwas, dass nur hübsch ist, kann niemals schön sein.« Und plötzlich werden seine Züge ganz weich, er beugt sich zu mir vor und nimmt meine Hand in seine. »Aber es gibt auch andere Menschen da draußen. Menschen, die hinter diese Fassade blicken, die sich für den Menschen interessieren, der hinter alldem steckt. So einen Jungen solltest du finden.«

»Wow«, sage ich irgendwann. Nicht mehr. Nur dieses eine Wort. Ich schaffe es nicht, mehr zu sagen. Mein Kopf ist voll mit Fragen und Antworten, Anmerkungen und Meinungen, aber ich schaffe es einfach nicht, sie zu einem Satz zusammenzufügen, schaffe es nicht, den Mund zu öffnen und etwas zu sagen. Kyrans Worte haben mich so sehr berührt, dass ich befürchte, ihm gleich um den Hals zu fallen. Ich möchte ihm sagen wie sehr mich seine Worte berührt haben, wie glücklich mich das, was er gesagt hat, gemacht hat.

»Ich will dir damit nicht sagen, dass du dich gehen lassen sollst, denn das Aussehen ist vielleicht nicht der Punkt, der einen zusammenhält, aber ein Mickey Mouse BH würde wohl jeden Kerl abschrecken. Naja, wenn dir dieser BH so sehr gefällt, dass du ihn unbedingt behalten willst, dann tu das. Wenn ein Kerl dich wirklich liebt, dann muss er dich so nehmen. Mit oder ohne Mickey Mouse BH«, sagt er und ganz plötzlich, fast als hätte man eine Seifenblase platzen lassen, ist die Stimmung zwischen uns eine ganz andere. Kyran lacht, aber ich schaffe es nicht, mich zu bewegen, stattdessen starre ich ihn an und frage mich, wo dieser Junge mein ganzes Leben gewesen ist. Er hat all die Jahre neben mir gewohnt, aber gleichzeitig war er unsichtbar. Wie schafft es dieser Junge von einer Sekunde auf die andere total umzuschwenken? Von traurig, zu wütend und dann lacht er plötzlich.

»Wenn wir schon einmal dabei sind, hast du ihn entsorgt?«

Ich schrecke auf und schaue Kyran in die himmelblauen Augen, die so weit und klar sind, dass ich das Gefühl habe, mich in ihnen wiederspiegeln zu können. Er grinst mich frech an und als mir klar wird, dass er immer noch über meinen peinlichen BH spricht, werde ich knallrot. »N-noch nicht. Ich... Ich kam noch nicht dazu.«

»Trägst du ihn gerade? Oh Gott, Mia, bitte sag mir, dass du nicht-«

»Spinnst du?«, kreische ich, als Kyran an meinem T-Shirt zieht, um es anzuheben. Ich schlage seine Hände weg, bevor er noch auf die Idee kommt, weitermachen zu dürfen. Verdammter Junge, er kann doch nicht einfach so mein T-Shirt anheben, um zu sehen, was für einen BH ich trage! Er lässt den Saum meines T-Shirts lachend los. »Du bist viel zu versteift.«

Ich werfe ihm einen wütenden Blick zu und zische: »Vielleicht bist du auch einfach nur zu locker. Ich... Ich bin das nicht gewohnt.«

»Was bist du nicht gewohnt?«, fragt er und streckt seine langen Beine aus. Sein Oberschenkel berührt leicht meinen und obwohl unsere Haut mit Stoff bedeckt ist, habe ich das Gefühl, dass sanfte Stromstöße durch meinen Körper jagen. Ich beiße mir auf die Unterlippe und kaue darauf herum. »Dass du so direkt bist. Ich bin keine direkten Menschen gewöhnt.«

Ich schließe die Augen, hoffe, dass Kyran nicht abhaut, dass ihn mein seltsames Verhalten nicht abschreckt und er das Weite sucht. Aber er bleibt neben mir sitzen, beugt sich vor und stützt die Arme auf den Knien ab, während er nachzudenken scheint.

»Okay, okay. Tut mir leid, ja?« Er sieht mich an und schmollt dabei. »Ich hätte zuerst fragen sollen. Wenn ich gewusst hätte, dass es dir so viel ausmacht, dann hätte ich es nicht getan.«

Ich vergrabe mein knallrotes Gesicht in meinen Händen und versuche an irgendetwas anderes zu denken, um mich zu beruhigen. Vielleicht an Katzenbabys? Ja, Katzenbabys sind immer gut. Ich stelle mir also ein Katzenbaby vor, während ich die Augen geschlossen halte und mein Gesicht weiterhin bedecke, bis sich meine Temperatur wieder normalisiert und ich nicht drohe, an zu hohem Fieber zu sterben.

KyranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt