65.

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»Meine Eltern«, sagt Kyran und dreht die Musik in seinem Zimmer ein wenig lauter, »haben sich damals auf einem Festival kennengelernt.«

Ich hebe den Blick, um ihn ansehen zu können und wippe mit dem Fuß zum Takt der Musik, die mir immer mehr zu gefallen scheint.

Wir liegen nebeneinander auf dem Boden in seinem Zimmer, während aus den Boxen Tim McIlraths Stimme dröhnt. Auch wenn es früher nicht wirklich meine Musik war, ist sie es doch irgendwie über die letzten Wochen und Monate hinweg geworden. Nachdem mir aufgefallen ist, wie besessen Kyran von dieser Band zu sein scheint, habe ich mich an den Computer gesetzt und mir vorgenommen, mehr über sie zu erfahren. Und nun sitze ich hier und bewege meine Lippen, um den Text lautlos mit zu singen.

Sein Arm liegt unter mir, er hat ihn um meine Hüfte geschlungen, mein Kopf liegt auf seiner Brust die sich ruhig hebt und senkt. Das Gefühl von seinem Körper an meinem fühlt sich unbeschreiblich an. Ich lächle und lege meine Hand auf seinen Bauch, der von einem schwarzen T-Shirt bedeckt wird.

Am liebsten würde ich unter den dünnen Stoff fahren und seine warme, weiche Haut an meiner spüren, aber ich weiß nicht, wann Kyran dazu bereit ist, denn die letzten Wochen, nach dem Tod seiner Mutter, scheinen ihm immer noch zu zu setzen und ich bin traurig darüber, dass dieser Schmerz vermutlich nie verschwindet, aber ich wünsche mir, dass es besser wird mit der Zeit. Ich wünsche es mir natürlich für ihn und auf eine verdammt egoistische, aber ehrliche Art und Weise auch für mich, für unsere Beziehung.

Meine Augen wandern zu dem Bild von seiner Mutter, das er auf seinen Schreibtisch gestellt hat, nachdem ich ihn stundenlang dazu überreden musste. Er wollte es anfangs partout nicht machen. Ich glaube ihr Anblick tut ihm immer noch weh, aber ich glaube auch, dass es ihm ein bisschen helfen wird, die Wunden zu heilen. Sie aus seinem Leben zu drängen und vergessen zu wollen, ist meiner Meinung nach nicht der richtige Weg, stattdessen sollte er daran denken, dass es ihr, da wo sie jetzt ist, besser geht, dass sie auf ihn warten wird, mit offenen Armen und einem breiten Lächeln. Ob ich wirklich daran glaube, ist nur zweitrangig. Ich will es glauben, aber vor allem will ich, dass Kyran es glaubt.

»Mein Vater hat es mir damals erzählt, nach dem Unfall. Sie waren beide noch jung. Ich glaube, meine Mutter ist achtzehn gewesen und mein Vater kaum viel älter. Als er sie zum ersten Mal gesehen hat, war sie mit Bier überschüttet und total besoffen«, erzählt er. Ich spüre das leichte Vibrieren in seiner Brust, als er lacht. Ich liebe es, wenn er lacht. Lächelnd schmiege ich meine Wange noch mehr an seine Brust. Ich liebe alles an ihm. »Sie sind nach diesem Festival miteinander ausgegangen, zusammen gekommen und haben ein Jahr später geheiratet.«

»Das klingt toll«, sage ich mit einem verträumten Lächeln im Gesicht, während ich Kyran mit dem Finger kleine Kreise auf Bauch und Brust male. Auch wenn ich sein Gesicht nicht sehe, bin ich mir sicher, dass er in diesem Moment lächelt. »Sie müssen sich wirklich geliebt haben.«

Nachdem Kyran mir vor einigen Wochen die Wahrheit über seine Familiengeschichte erzählt hat, sind wir zurück zu seinem Haus gefahren. Kyran hat sich bei seinem Vater entschuldigt, für das, was er ihm an den Kopf geworfen hat. Die ganze Zeit über haben ihn seine Schuldgefühle aufgefressen. Das habe ich gesehen. Ihm tat wirklich leid, was er seinem Vater da unterstellt hat.

Er war einfach so verzweifelt, dass er nicht wusste, wo er seine Wut herauslassen soll und wie die Menschen nun mal sind, suchen sie für alles und jeden einen Sündenbock. In Kyrans Fall ist das Jace gewesen. Ein Mann, der seine geliebte Frau verloren hat. Ein Mann, der seine Tochter und beinahe auch seinen Sohn verloren hätte. Auch wenn Jace mir manchmal ziemlich sonderbar vorkommt, kann man doch nicht leugnen, dass er seine Familie liebt und alles für sie tun würde. Entgegen dem Rat der Ärzte hat er all die Jahre die Hoffnung gehabt, dass seine Frau aus dem Koma erwachen wird, bis die Realität ihn ausgespuckt und die Wahrheit sehen lassen hat.

KyranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt