37.

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»Was wolltest du vorhin eigentlich sagen, bevor dein Dad gekommen ist?«, frage ich, als Kyrans sich seufzend auf sein Bett fallen lässt, nachdem sein Vater das Zimmer wieder verlassen hat. Ich bezweifle, dass ich es je wieder schaffen werde vor Jace zu stehen, ohne an diese peinliche Situation zu denken. Er muss das Ganze wahrscheinlich komplett falsch verstanden haben. Ich meine, das ist ziemlich verständlich, denn unsere Umarmung war keine normale Umarmung, sie hatte irgendetwas besonderes an sich, etwas unglaublich schönes. Sie war inniger und viel intensiver.

»Ist nicht so wichtig«, murmelt er. Er liegt immer noch auf dem Bett, die Arme hinter dem Kopf verschränkt und auf die Decke starrend. Und während ich ihn beobachte, frage ich mich, woran er wohl denken mag, aber ich schiebe diesen Gedanken ganz schnell beiseite, denn diese Fragen bringen mir am Ende nichts.

Er stemmt sich leicht vom Bett ab, mit den Ellenbogen auf dem Bett und sieht mich an. Sein freches Grinsen verheißt nichts Gutes, es verheißt nie etwas Gutes. »Hast du Morgen Zeit? Nach der Schule?«

Ich denke nach, was logisch betrachtet ziemlich lächerlich ist, denn ich habe immer Zeit. Tessa ist eine wirklich tolle Freundin, aber wir treffen uns ziemlich selten, vor allem in letzter Zeit, in der sie einige neue Typen kennenlernt, aber das nehme ich ihr nicht übel. Wir sind alle verschieden und ich weiß, dass wenn es hart auf hart kommt, sie immer für mich da ist. Und ehrlich gesagt, verhalte ich mich momentan nicht besser. Manchmal lasse ich sie einfach alleine in der Cafeteria sitzen (natürlich nicht ganz alleine, sie hat ja einige Verehrer), um mich zu Kyran auf die Bank zu setzen. Ich schätze das gehört zur Freundschaft dazu, dass sie stark genug ist und hält, auch wenn man mal mit anderen Leuten was macht und nicht mehr jeden Tag aneinander klebt. Dass man selbst in solchen Momenten weiß, dass man auf den anderen zählen kann.

»Ja«, antworte ich schließlich und werfe ihm dabei einen misstrauischen Blick zu, doch sein Grinsen wird nur noch breiter. »Dann gehen wir Morgen zusammen nach Hause, nach der Schule. Zu dir.«

»Zusammen nach Hause?« Ich sehe ihn verwirrt an. Das haben wir ja noch nie getan, doch aus irgendeinem Grund macht es mich glücklich. Zusammen mit Kyran die Straßen entlang zu laufen und zu wissen, dass ich den ganzen Nachmittag mit ihm verbringen werde. Keine Anne. Keine Tessa. Niemand, nur Kyran und ich.

»Und vielleicht«, sagt er und lächelt mich an, »verrate ich es dir.«

Ich hebe fragend eine Braue.

»Ich verrate dir, was ich dir heute sagen wollte.«

»Was denn? Nur vielleicht?«

Er grinst, fast schon boshaft.

»Kannst du es mir nicht jetzt sagen?«, frage ich und sehe ihn mit großen, bettelnden Augen an. »Bitte. Ich halte das doch gar nicht aus bis Morgen.«

Aber Kyran schüttelt lachend den Kopf. »Nicht, wenn mein Dad unten steht.«

-

Ich sitze etwas unbehaglich zwischen Kyran und seinem Vater, während er mir noch mehr Salat auf meinen sowieso schon überfüllten Teller packt. Mein Blick wandert zu Kyran. Ihm scheint der panische Ausdruck in meinem Gesicht aufzufallen, denn er zuckt nur mit den Schultern. Na super, ich habe das Gefühl, ich sitze in einer Prüfung. Jede Bewegung, die ich mache, wird genaustens analysiert, jedes Wort, das ich sage, wird ins kleinste Detail auseinander genommen und alleine, wenn ich nur atme, löchert Jace mich mit Blicken durch.

Er lehnt sich seufzend in seinem Platz zurück. »So, Mia«, meint er und lockert seine Krawatte, bevor er mich genau unter die Lupe nimmt. »Stehst du auf meinen Sohn?«

Die Gurkenscheibe, die ich mir gerade eben versucht habe, in den Mund zu schieben, fällt wieder heraus und landet vor mir auf dem Teller. Für einige Sekunden starre ich Kyrans Vater einfach nur an. Ich blinzle, versuche den Mund zu schließen, der fassungslos offensteht und frage:»Wie bitte?«

»Dad«, stöhnt Kyran neben mir, aber ich kann ihn nicht ansehen. Ich kann mich nicht einmal bewegen, stattdessen schrumpfe ich in meinem Stuhl und werde zudem auch noch knallrot. Kyran schnaubt wütend. »Das reicht, Dad. Sie ist nur zum Essen hier.«

»Ob du meinen Sohn liebst, will ich wissen«, wiederholt er, als wäre ich schwer von Begriff, dabei bin ich einfach nur geschockt, dabei ignoriert er seinen Sohn vollkommen.

»Wir sind nur Freunde«, sagt Kyran neben mir, wofür ich mehr als dankbar bin, denn ich kriege in dem Moment kein Wort aus meinem Mund. Jace lächelt, sein Blick fällt wieder auf mich und es ist, als hätte er sich von der einen Sekunde zur anderen in einen komplett anderen Menschen verwandelt, als er mir zuzwinkert und flüstert:»Freunde. Mmnh, verstehe. Solche Freunde hatte ich auch mal. Wirklich sehr tolle Freunde

Ich drehe mich um und sehe Kyran verwirrt an, doch der verdreht nur die Augen und schüttelt den Kopf. »Ignorier ihn einfach. Mein Vater ist manchmal ziemlich...sonderbar«, sagt er, aber er kann sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ich schätze, wir haben alle irgendwo Eltern, die peinlich sind und uns in unangenehme Situationen bringen, aber am Ende lieben wir sie trotzdem, immerhin sind es unsere Eltern.

»Ich kann dich hören«, flötet Jace fröhlich neben mir. Ich lache und drehe mich zu ihm um und dieses Mal lächelt er wirklich und wirkt erfreut. Gerade eben noch, als es so wirkte, als säße ich in einer Prüfung, habe ich mich unglaublich unwohl gefühlt, doch jetzt fällt diese schwere Last endlich von mir und ich kann durchatmen.

Während es ruhig zwischen uns dreien ist, fällt mein Blick auf ein Bild, das an der Wand im Esszimmer hängt. Auf dem sind deutlich Kyran und Jace zu erkennen, als sie noch jünger waren, aber neben ihnen lacht eine Frau in die Kamera. Eine Frau, die ich nicht kenne und von der ich mir ganz sicher bin, dass ich sie noch nie gesehen habe. Kyran sitzt auf den Schultern von Jace, während sie beide in die Kamera gucken, hinter ihnen erkenne ich ein Gehege mit Nashörnern. Ob sie an dem Tag wohl im Zoo gewesen sind?

Mein Blick fällt wieder auf die hübsche Frau, die neben Jace steht und strahlt. Ihr Haar ist dunkel, so dunkel wie Kyrans, aber ihre Augen sehen nicht aus wie die von ihm, nein, ihre Augen sind genauso dunkel wie ihre Haare.

»Das auf dem Foto da«, sage ich zu Kyran und deute auf das Bild, das über Jace an der Wand hängt, »ist das deine Mom?«

Kyran schaut von seinem Essen auf, folgt meinem Zeigefinger und als sein Blick auf das Bild fällt, lächelt er und nickt.

Ich halte kurz inne, als Kyran sich wieder seinem Essen widmet und räuspere mich, bevor ich meine nächste Frage stelle, von der ich nicht weiß, ob ich sie wirklich stellen sollte. »Wo ist sie jetzt?«

»Nicht da«, sagt er bloß, aber er wirkt dabei weder sonderlich unglücklich, noch glücklich. Um ehrlich zu sein, zeigt er gar keine Emotion in diesem Moment. Ich starre ihn an, weiß nicht, was er mit nicht da genau meint. Ob sie im Moment nicht da ist oder überhaupt nicht mehr da, denn seit die beiden vor einigen Jahren hierher gezogen sind, habe ich diese Frau auf dem Foto noch nie in dieses Haus gehen sehen. Ich schlucke und weil mein Mund manchmal schneller reagiert, als mein Verstand platze ich mit der nächsten ziemlich unsensiblen Frage heraus:»Ist sie...tot

Kyran hält inne, die Gabel, die er mit seinen Fingern festhält schwebt vor seinem Mund und dann, ganz langsam dreht er den Kopf in meine Richtung und starrt mich an, bevor seine Mundwinkel sich langsam heben. »Musst du immer sofort vom Schlimmsten ausgehen?« Er lacht leise. »Sie ist nicht tot. Sie kommt bald wieder.«

Sie kommt bald wieder? Kyrans Antwort erweckt nur noch mehr Fragen in mir. Wann ist bald? Und wieso habe ich sie noch nie gesehen? Oder habe ich sie noch nie gesehen, weil sie noch nie hier war? Ich will ihm diese Fragen stellen und noch viel mehr, weil ich das Gefühl habe, dass ich kaum etwas über Kyran weiß, aber dieses Mal ist mein Verstand schneller, als mein Mund und ich schweige. Stattdessen drehe ich mich zu Jace um, doch dieser weicht meinem fragenden Blick bloß aus und schluckt schwer.

KyranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt