42.

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Ich schaue Kyran noch hinterher, bis er durch seinen Vorgarten und in sein Haus gelaufen ist. Und selbst dann, als er schon längst im Haus verschwunden ist, starre ich immer noch auf den Fleck an dem er noch eine Sekunde zuvor gestanden hat.

Die ganze Zeit über verfolgt mich die Frage, wen er wohl gemeint hat, als er behauptete, es gäbe noch mehr Jungen, die ich schon nervös gemacht habe, ohne es zu wissen. Während ich alle Jungs in meiner Stufe durchgehe und überlege, wen von denen er wohl gemeint hat, kommt mir ein kleiner, unglaublich lächerlicher Gedanke.

Was ist, wenn Kyran damit sich selbst gemeint hat?

Doch so schnell dieser Gedanke gekommen ist, verschwindet er auch wieder. Ich wische ihn mit einem lauten Lachen weg. Alleine die Tatsache, dass ich so etwas in Erwägung ziehe, zeigt schon, dass ich den Verstand komplett verloren habe. Wie zum Teufel komme ich auf die Idee, dass ich einen Jungen wie Kyran nervös machen könnte?

Ein Junge wird nicht einfach so nervös, wenn er ein Mädchen sieht. Es müsste schon einen triftigen Grund dafür geben, aber welcher sollte das sein? Er...er müsste irgendetwas für mich empfinden. Etwas, das weit über Freundschaft geht und ich könnte meine dafür Hand ins Feuer legen, dass Kyran nichts für mich empfindet.

Nachdem ich einfach keine Antworten auf meine ganzen Fragen finde und mich in einem unendlichen Kreis aus Verwirrung befinde, seufze ich, drehe mich um und renne auf mein Zuhause zu, bevor diese Fragen drohen, mich zu ersticken.

»Mom, ich bin zurück«, rufe ich, als ich schließlich die Haustür hinter mir zu schlage und mich erschöpft gegen die Tür fallen lasse.

Die letzten Tage waren viel zu nervenaufreibend und actionreich für meine sonstigen Verhältnisse. Zuerst der Kuss mit Kyran und dann Elijahs Bemühungen, mich um ein Date zu bitten. Ich bin das alles nicht gewohnt. Mein sonst so ruhiges und unauffälliges Leben fehlt mir so langsam aber sicher. Diese ganze Sache mit dem Date und Elijah zerrt an meinen Nerven. Ich weiß nicht, ob es die richtige Entscheidung gewesen ist, mich auf ihn und dieses Treffen einzulassen.

Kyran hält offensichtlich nicht viel von diesem Jungen. Und irgendwie habe ich das seltsame Gefühl, dass Elijah Kyrans und meine Freundschaft kosten könnte. Und was passiert, wenn das Date am Ende super verläuft? Wird Kyran überhaupt noch ein Wort mit mir wechseln? Unser Deal wäre damit jedenfalls aufgelöst, oder nicht? War das nicht mein Ziel?

Und obwohl ich weiß, dass Elijah ein toller Junge ist und ich mir damals, als Kyran einfach so in mein Zimmer gestiegen ist, genau so einen Freund gewünscht habe wie ihn, macht es mich unendlich traurig. Ich will weiterhin mit Kyran lachen können, mit ihm im Gang in der Schule reden und nach der Schule mit ihm nach Hause gehen können.

Meine Mutter ruft irgendetwas aus der Küche zurück. Vielleicht ist sie gerade am Backen, wer weiß. Schließlich liebt sie das Backen. Aber ich bin einfach viel zu müde und kaputt, um mir darüber noch Gedanken zu machen.

Ich gebe ihr kurz Bescheid, dass ich mich nicht wohl fühle und mich lieber hinlege.

Im ersten Moment wirkt sie überrascht, als sie mich sieht. Sie stellt sich auf die Zehenspitzen und sieht sich kurz um, bevor sie die Stirn runzelt. »Wo ist Kyran? Ich dachte, er kommt heute auch.« Sie schmollt und zeigt auf den dunklen Teig, der in einer Schüssel auf dem Tisch legt. »Ich war gerade dabei einen Schokoladenkuchen zu backen. Nur für ihn.«

Als ich an Kyran denke, wird mir schlecht. Ich schüttele bloß den Kopf und drehe mich um, weil ich das Gefühl bekomme, ich könnte jeden Augenblick umfallen.

»Mom«, stöhne ich genervt. »Ich bin wirklich sehr müde. Die Schule ist momentan wirklich hart und ich glaube Kyran braucht auch mal ein paar Tage für sich.«

Meine Mutter wirkt enttäuscht, aber darum kümmere ich mich vorerst nicht. Ich habe momentan genug andere Probleme zu lösen, als ihre kleine Kyran-Besessenheit zu stillen.

Ich gehe rauf auf mein Zimmer und als ich einen Motor von unten aufheulen höre, renne ich ans Fenster. Doch als ich vor der Scheibe stehe, kann ich nur noch die Rücklichter von Jace' Auto sehen. Ob Kyran mit ihm gefahren ist? Vermuten tue ich es schon, immerhin hatte er es ziemlich eilig nach Hause zu gehen. Was wohl so wichtig war, dass es nicht hatte warten können?

Es dauert tatsächlich nicht lange, bis ich in einen tiefen, traumlosen Schlaf abdrifte, denn so ausgelaugt wie an diesem Tag war ich wohl schon lange nicht mehr. Sobald ich mich ins Bett lege, fallen meine Augen fast schon wie von selbst zu.

-

Als ich spät am Abend die Augen wieder aufschlage, höre ich Kyran lachen. Ich setze mich so ruckartig auf, dass mir schwindelig wird und ich kurz wieder die Augen schließen muss, um mich zu beruhigen.

Im ersten Moment glaube ich, ihn in meinem Zimmer stehen zu sehen, doch dann wird mir klar, dass das Lachen nicht aus dem Haus kommt, sondern von draußen. Überrascht schaue ich zu meinem Fenster rüber. Worüber lacht Kyran? Und wieso ist sein Lachen so laut? Sitzt er in seinem Garten? Ich werfe einen kurzen Blick auf den Wecker neben meinem Bett und schüttele den Kopf. Kyran wird wohl kaum um diese Uhrzeit im Garten sitzen und über irgendetwas lachen. Erst recht nicht, wenn morgen Schule ist.

Ich schlage die Bettdecke zur Seite und warte eine Sekunde, bevor ich aufstehe um ans Fenster zu gehen. Zuerst zögere ich, ohne überhaupt zu wissen, wieso genau ich zögere. Doch als ich am Fenster stehe, wünschte ich mir, ich wäre einfach im Bett liegen geblieben. Vielleicht hätte ich gar nicht erst die Augen öffnen sollen. Ich hätte das Fenster nicht auf Kippe stellen sollen, dann hätte ich Kyrans Lachen vermutlich nie gehört und wäre auch nicht aufgewacht.

Kyran liegt auf seinem Vordach. Was natürlich nicht so schlimm wäre, wenn er alleine wäre. Aber das ist er leider nicht. Neben ihm liegt ein Mädchen. Es ist nicht Anne. Ihre roten Haare würde ich sofort erkennen, aber das Mädchen, das in Kyrans Armen liegt, hat nichts mit Pumuckl gemein.

Ich reibe mir kurz über die Augen, um sicherzugehen, dass ich auch richtig sehe, doch als ich dieses Mal hinschaue, liegen sie immer noch da. Immer noch nebeneinander. Und Kyrans Arm liegt immer noch unter dem Kopf des blonden Mädchens neben ihm.

Es ist offensichtlich, dass die beiden sich kennen, denn die Art wie sie nebeneinander liegen, ist einfach viel zu vertraut, als dass, sie es zum ersten Mal tun.

Ihre Hand liegt auf seiner Brust, während er ihr gedankenverloren durch die Haare streicht. Sein Blick ist nach oben gerichtet und trotz der Dunkelheit kann ich sehen, dass sich sein Mund bewegt. Ich wüsste zu gerne worüber sie reden. Am liebsten würde ich mein Fenster komplett aufreißen und ihm irgendetwas zu rufen. Irgendetwas, dass sie auseinander reißt. Denn zu sehen, dass sie so nah und vertraut miteinander umgehen, tut mir sehr weh.

Und weil ich es nicht länger aushalte, die beiden da liegen und miteinander reden zu sehen, ziehe ich die Gardinen zu und werfe mich auf mein Bett. Ich weiß, dass ich kein Recht habe, eifersüchtig zu sein und ich weiß auch, dass ich mich für Kyran freuen sollte, dass er ein Mädchen gefunden hat, das er mag, aber ich weiß auch, dass das saure Gefühl in meinem Magen nichts damit zu tun hat, dass ich heute Mittag nichts gegessen habe, nein, es ist pure Eifersucht.

KyranWo Geschichten leben. Entdecke jetzt