Kapitel 2

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Die Vorstellung zieht sich länger als der Karamel in meinen alten Bonbons. Das Thema ist wirklich unnötig und der bestimmt 80jährige Professor hat eine Stimme zu der man höchstens schlafen könnte. Aber nicht lernen. Zudem macht es dieser Typ neben mir nicht viel angenehmer. Er ist fokussiert auf die Vorlesung. Es sieht fast so aus, als hinge er an den Lippen des Kauzes. Unvorstellbar, denn eigentlich sieht er eher aus wie jemand, der bis 8Uhr morgens feiert und jeden Morgen neben einer anderen aufwacht. Jedenfalls hätte er mit diesem Aussehen die Möglichkeit dazu. Die Augen gehen mir nicht mehr aus dem Kopf. Jedes Mal, wenn sein Stift über das Papier kratzt auf dem er sich Notizen macht, sieht man die Adern seiner Muskeln. Durchtrainiert. Ich sollte ihn nicht so anstarren. Am Ende bemerkt er mich noch...
Die Vorlesung neigt sich dem Ende hin. Endlich. Ich hätte es nicht viel länger hier ausgehalten. Ich laufe raus und schwinge mich auf mein Fahrrad. Die nächste Station ist ausnahmsweise nicht mein Bett, sondern der Supermarkt. Als ich eintrete weht mir die kühle Brise der Klimaanlage entgegen. Mein Lieblingspart des Einkaufens. Endlich kann ich meinen Hoodie anhaben, ohne vor Hitze zu schmelzen. Diese Abkühlung ist genau das, was ich brauche. Ich bleibe extra lange vor dem Kühlregal stehen und genieße die frische Luft. Als ich weitergehe und vor den Nudeln zum stehen komme spüre ich Augenpaare auf meinem Rücken. Ich habe mir mit der Zeit angeeignet es zu spüren, wenn ich angeschaut werde. Mich überkommt ein Schauer und ich kralle mich an der Nudelpackung fest. Ich wünsche mir so sehr, diese Augen würden von mir losgehen. Ich weiß, dass ich keinen Hoodie bei 28°C tragen sollte. Und diese Blicke machen es nicht besser. Ich trete langsam einen Schritt zurück und bewege mich Richtung Ende des Regals um die Reihe zu wechseln. Ich weiß nicht von wo der Blick kommt und von wem, aber ich muss hier weg. Ich laufe quer durch den Supermarkt, bis das Stechen in meinem Rücken langsam aufhört. Vor den Broten komme ich zum Stehen. Mit einem Blick in den Wagen vor mir fällt mir auf, dass ich alles habe und ich gehe zur Kasse. Vor dem Laden räume ich alle Waren in meinen Fahrradkorb und fahre, diesmal konzentriert und langsam, zu meiner WG zurück. Janet müsste schon warten, ob Timothy und Cate schon da sind weiß ich nicht. Die beiden gehen häufig nochmal etwas trinken oder setzen sich in ein Cafe. Janet dagegen ist wie ich nicht besonders extrovertiert und bleibt auch meistens in der Wohnung. Seit ich in der Wg vor einem Jahr eingezogen sind, sind wir gute Freundinnen geworden. Durch sie fühle ich mich nicht so alleine und bei ihr kann ich ich selbst sein. Oder wenigstens die Version von mir selber, die ich vor meinem 16. Lebensjahr und vor Chris war. Offen, freudig und lebensfroh. Janet ist mittlerweile meine beste Freundin und die einzige die mich kennt wie ich bin. Doch auch Janet weiß nichts von Problemen, die mich quälen. Auf die Frage, warum ich nur Pullis anhabe, antworte ich immer, dass ich total Kälteempfindlich sei und ziemlich schnell friere. Bis jetzt kauft sie mir es immer mit einem schiefen Blick ab. Die Messersammlung in meinem Zimmer habe ich natürlich nur zum Kochen, für Sushi und Brot, das hart geworden ist. Versteht sich. Auch sonst weiß sie nicht mehr als andere über mich und das soll auch so bleiben. Ich weiß zu gut, was passiert ist, als ich das letzte Mal jemanden an mich rangelassen habe und ich weiß, dass mir das nicht nocheinmal passieren wird. Chris war ein Fehler und ich werde keinen Menschen so tief in mein Inneres blicken lassen wie ihn. Ich bin zu verletzlich. Und noch ein Schlag in die Magengrube überlebe ich nicht. Meine Fassade ist in den letzten 4 Jahren perfekt geworden. Und ich werde alles dafür tun dass das so bleibt. Die letzten zwei Jahre in der Schule waren schlimm genug. Nachdem mich alle Freundinnen und Bekannte fallen gelassen hatten musste ich mich mit fiesen Kommentaren im Internet und im Gang abgeben. Und mit Blicken. Wie ich Blicke hasse. Blicke sagen mehr als tausend Worte. Und diese Blicke damals haben zu viele Worte gesagt. Janet ist der Mensch der seitdem am meisten von mir erfahren hat. Und trotzdem weiß sie nichts. Ich parke das Rad und trete ein. Janet begrüßt mich grinsend und ich laufe lachend auf sie zu. Sie trägt ein buntes Hawaii T-Shirt, das ihr so semi-gut steht. Bei ihrem Anblick ziehe ich meine Fassade hoch und bringe ein Lachen hervor. "Schicker Style" werfe ich ihr zu und hänge meine Jacke auf. "Wie war dein Tag bis jetzt?", frage ich sie beim Schuhe ausziehen. Janet gibt ein "öde, die vorlesung war gräßlich" zurück und ich stimme zu. Das trifft ziemlich gut auf meinen Tag zu. Aber solche Vorlesungen sind leider nicht selten. Der Studiengang war zwar ohne Zweifel die richtige entscheidung, aber einige Vorlesungen würde ich gerne einfach überspringen. An sich tu ich das auch nicht selten. Aber bei Pflicht Vorlesungen geht das leider schlecht. Ich setze ein Lächeln auf, breit und mittlerweile ziemlich echt aussehend und frage Janet, was sie denn schon zu Essen gemacht habe. Sie schaut mich entschuldigend an und murmelt, dass sie es noch nicht geschafft hat. Ich nehme es ihr nicht übel, das passiert häufig. Janet hat häufig nicht viel Hunger und kocht deshalb meistens kein Mittagessen. Aber an Tagen an denen sie früher schon zurück ist ist trotzdem oft schon Essen fertig. Ich schaue sie aufmunternd an. "Nicht schlimm. Ich habe eben ein paar Nudeln gekauft. Die koche ich mir einfach schnell. Den Rest braten wir uns dann morgen an, dann musst du morgen auch nichts machen, okay?" Sie nickt und ich bücke mich zu meiner Tasche und hole die Nudeln raus.
Der Timer piept penetrant und ich öffne den Deckel des Topfes. Mit der Gabel fische ich geschickt eine Nudel heraus und probiere vorsichtig. "Verdammt" zische ich, als ich meine Zunge an der Nudel verbrenne. Kein Wunder, die kommt ja auch aus kochendem Wasser. Ich tropfe die Nudeln ab und nehme auch die Tomatensauce aus dem Glas vom Herd und gebe sie in eine Schüssel. Nachdem beides auf dem Tisch steht rufe ich Janet. "Essen fertig, willst du mitessen? Ist genug da." Doch aus der Ecke ihres Zimmers kommt nur ein bestimmtes "ne danke, keinen Hunger"

hoping for sunlightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt