Kapitel 8

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  " was machst du denn hier so alleine bei diesem Mistwetter?", dringt seine Stimme an mein Ohr.
Ich setze mein Lächeln auf und antworte
"hatte grade meine letzte Vorlesung und jetzt gehts in die WG, und du?"
"So ungefähr genau das gleiche", gibt er zurück und lacht. Ich stimme kurz mit ein. Smalltalk. Eine Sache, auf die ich liebend gerne für immer verzichten würde. Menschen reden über solch belanglose Dinge. Es interessiert keinen wirklich wie es jemandem geht. Jeder antwortet 'gut', weil man muss. Antwortet man was anderes muss der andere nachfragen, obwohl er es gar nicht will. Keinen interessiert das Wetter. Keinen interessiert, was man heute schon gemacht hat.
"Wie geht es dir? ", fragt er. Oh Gott. Nicht schon wieder. Er ist ein Mensch für Smalltalk. Ich verabscheue ihn jetzt schon. " Gut, und selber? ", antworte ich selbstbewusst und schaue ihm in die Augen.
" Auch gut. Hast du etwas Zeit? Ich könnte dich nach Hause begleiten. " bietet er mir mit einem verschmitzten Lächeln auf sen Lippen an.  Bitte nicht. Bitte einfach nicht. Ich will keine Gesellschaft. Aber wie mache ich ihm das deutlich? Ich muss alleine sein. Ich will keine Menschen sehen. Mir macht es Angst. Mir machen Menschen Angst. Mich versetzt es in Panik mit Menschen zu reden. Oder nur daran zu denken. Und noch weniger will ich Smalltalk in der WG. Mit ihm.
"Ach, das musst du nicht, du hast doch bestimmt selber was zu tun, sonst wärst du ja nicht unterwegs hier. ", winke ich ab.
" Nee, ich war nur ein bisschen draußen, frische Luft schnappen und so", gibt er zurück. Kann er nicht locker lassen? Ich kann jetzt gerade wirklich alles außer Gesellschaft gebrauchen. Warum will er mich überhaupt nach Hause bringen? Wir kennen uns nicht einmal.
"Du musst wirklich nicht, ich komme super alleine nach Hause. Immer hin bin ich den Weg schon tausende Male gefahren. "
Wenn er jetzt nicht locker lässt gehen mir die Ausreden aus. Ich beginne zu zittern und kralle mich in den Lenker meines Fahrrads. Ich muss nach Hause. Jetzt.
"Tja, wenn du meine Anwesenheit nicht willst... Ich kann dich ja nicht zwingen. Bis irgendwann mal", sagt er und ich kann in seinen Augen einen leicht enttäuschten Blick erkennen. Vermutlich bilde ich mir das aber nur ein.
" Sorry, vielleicht ja demnächst mal", sagt irgendetwas in mir und ich zwinge mir ein Lächeln auf. Er strahlt aus seinen mandelbraunen Augen zurück und muss nicht einmal nicken, damit ich erkenne, dass er einverstanden ist. Schnell drehe ich mich wieder um, schwinge mich auf meinen mittlerweile ganz nassen Sattel und fahre in Höchstgeschwindigkeit zur Wohnung. Ich merke, wie ich immer mehr die Kontrolle über meine Handlungen verliere. Mein Bauch grummelt. Meine Hände zittern am Lenker und mein Kopf scheint nur noch vernebelt zu funktionieren. Heute war einfach zu viel. Es war nichts los. Es war kein Trigger da. Es war ein normaler Tag.  Und trotzdem bin ich mental wie so oft überfordert und hilflos. Diese Tage passieren viel zu häufig. Viel zu häufig. Und wieso? Ich weiß es nicht. Wieso stoße ich alle Menschen von mir weg? Wieso hat mein Körper bei jedem kleinen Kontakt mit anderen Ausfallerscheinungen als wäre ich ein sozial nicht kompatibles Wesen. Eigentlich bin ich das auch. Ich hänge seit vier Jahren in der Vergangenheit. Ich habe mich nicht im Griff. Wieso kann ich nicht einfach funktionieren wie alle anderen Menschen?
Wieso bekomme ich Angst, wenn ich Menschenmassen sehe. Wenn ich mit Kommilitonen in einer Vorlesung sitze. Wieso kann ich nicht normal sein? Wie jeder andere essen gehen, mit Menschen reden.
Wieso kann ich nicht mit Liz in der Stadt normal essen gehen?
Wieso kann ich nicht einfach normal mit Sam reden, ihn mit in die WG einladen?
Wieso ist da diese Stimme in meinem Kopf, dieses Gefühl, das die Kontrolle hat und mich nicht selber handeln lässt?
Und wieso sagt mir dieses Gefühl noch während ich endlich die Tür zur WG öffne, dass ich Sam vielleicht doch nicht so verabscheue, wie ich eben noch dachte?

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 17, 2020 ⏰

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