Kapitel 13

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An diesem Nachmittag machten sie sich dann doch nicht mehr auf nach Malfoy Manor, sondern verbrachten die Zeit bis zum Abendessen eng umschlungen auf der Couch. Lucius hatte eine Macht über Hermine, die sie selbst nicht greifen konnte. Er ließ sie jeden Zweifel und jede Vorsicht über Bord werfen, löste in ihr Reaktionen aus, die sie von sich gar nicht kannte. Konnte er all das einfach spielen? Das was er sagte, wie er sie berührte, sie küsste, konnte das wirklich nicht echt sein? Und wenn, warum sollte er das tun? Was könnte er davon haben? Es musste eine einfache Erklärung für all das geben. Es musste einfach.
Hand in Hand gingen sie später hinunter zum Abendessen. Es machte keinen Sinn, so zu tun, als stünden sie sich nicht nahe. Ganz ein Gentleman rückte Lucius ihr den Stuhl zurecht, als sie sich setzte.

„Guten Abend", sagte die Schulleiterin. Außer ihr waren noch Horace und Hagrid anwesend, die in ein Gespräch vertieft waren und den Neuankömmlingen nur kurz zunickten. Minerva fragte lächelnd: „Haben Sie gefunden, wonach Sie gesucht haben, Hermine? Irma erzählte mir, dass Sie in der Bibliothek waren."

Lucius sah sie überrascht an und Hermine antwortete: „Oh, ich habe mich nur ein wenig umgesehen. Die Bibliothek war schon immer mein Lieblingsort in Hogwarts und ich wollte ausnutzen, sie für mich zu haben. Außerdem war ich ganz neugierig auf die verbotene Abteilung."

„Und wie hat sie Ihnen gefallen?"

„Ich habe sie mir... geheimnisvoller vorgestellt."

Lucius lachte und Professor McGonagall schmunzelte: „Es sind eben trotz allem nur Bücher."

Die Schüsseln und Kelche vor ihnen auf dem Tisch füllten sich mit Speisen und Getränken und sie alle taten sich großzügig auf, als Madam Hooch und Sybill Trelawney hereinkamen. Letztere wirkte wie immer wie eine übergroße Libelle durch die vielen flatternden Tücher und die dicken Brillengläser.

„Warum isst Madam Pince eigentlich nicht mit uns?", fragte Hermine, der nach einer Weile auffiel, dass die Bibliothekarin nicht anwesend war.

„Irma und Argus bleiben lieber für sich. Ich muss sagen, dass ich auf das Gezeter unseres lieben Hausmeisters gut verzichten kann", antwortete Madam Hooch, „die Schüler, Peeves, Peeves, die Schüler. Immer die gleiche Leier."

„Sind die beiden...?", es gab unter den Schülern schon lange Gerüchte, dass Madam Pince und Mr. Filch ein Paar sein könnten.

Rolanda zuckte mit den Schultern und sagte: „Gut möglich."

Als sie fertig gegessen hatten, machten sich Minerva McGonagall, Madam Hooch und Hermine auf, um in den Drei Besen wie verabredet etwas zu trinken. Da die beiden älteren Hexen sich bisher so offen mit ihr unterhalten hatten, fühlte sie sich nicht unwohl in deren Gesellschaft. Sie hatte befürchtet, dass der Altersunterschied und die Tatsache, dass sie noch nicht allzu lange keine Schülerin mehr war, eine unbehagliche Stimmung entstehen lassen würden.

Sie nahmen an einem Tisch in einer Ecke der Drei Besen Platz und bestellten bei Madam Rosmerta, einer wohlproportionierten, aber in die Jahre gekommenen Hexe, zwei Goldlackwasser und einen Cider. Die Wirtin kam mit den Getränken zurück und gesellte sich bald darauf zu ihnen. Im Pub war nicht viel Betrieb, ein ziemlich heruntergekommen aussehender Zauberer saß allein rauchend an einem dreibeinigen Tisch neben den Toiletten und ein Kobold debattierte hitzig mit einer rundlichen Hexe an der Bar.

„Ein neues, altes Gesicht", sagte Rosmerta lächelnd und prostete Hermine zu.

„Vor Ihnen sitzt die neue Lehrerin für Zauberkunst", sagte Minerva.

„Willkommen zurück."

„Warten Sie nur, bis Sie den anderen Neuzugang sehen", raunte Madam Hooch.

„Wer ist es?"

Die Wirtin beugte sich verschwörerisch nach vorne und sah sie mit großen Augen neugierig an.

„Lucius Malfoy."

„Nein!"

„Doch", Minerva hatte einen Schluck Goldlackwasser getrunken und stellte das Glas ab, „er wird Alte Runen unterrichten."

„Lucius Malfoy? Lehrer in Hogwarts? Das ist ja unglaublich", Rosmerta sah die Schulleiterin entgeistert an, „und das haben Sie zugelassen, Minerva?"

„Ich habe es sogar vorgeschlagen. Es gab gute Gründe dafür und ich denke wir belassen es dabei", sie warf Madam Hooch einen viel sagenden Blick zu und diese sah ein wenig betreten zur Seite.

Die Wirtin sah zwischen den Dreien hin und her und zog eine ihrer akkurat nachgemalten Augenbrauen hoch. Es war nicht zu übersehen, dass da mehr dahintersteckte, als sie zugeben wollten.

„Dann lasse ich Sie mal wieder allein. Darf ich noch etwas bringen?"

Sie schüttelten den Kopf und beobachteten Madam Rosmerta dabei, wie sie auf ihren hohen Schuhen zu dem Zauberer hinüber stöckelte und eine Bestellung aufnahm. Rolanda Hooch trank ihr Goldlackwasser aus und fixierte dann Hermine über den Tisch hinweg.

„Ich möchte Ihnen nicht zu nahe treten, Hermine, aber Sie sollten sich vor diesem Mann in Acht nehmen. Ich weiß nicht, was er Ihnen erzählt hat und was genau zwischen Ihnen vorgefallen ist. Das möchte ich auch gar nicht wissen. Aber lassen Sie sich von mir gesagt sein, dass man Lucius Malfoy nicht trauen kann. Alles, was er tut, hat einen tieferen Sinn. Verzeihen Sie mir, aber Sie sind noch jung. Und egal, was Sie in Ihrem kurzen Leben bereits erlebt haben, er ist Ihnen in allem weit voraus. Unterschätzen Sie ihn niemals!"

„Rolanda...", sagte Professor McGonagall mit einem warnenden Unterton.

„Ich möchte nur sagen: Passen Sie auf sich auf!"

Hermine wusste nicht, was sie darauf antworten sollte, daher nickte sie nur stumm und trank etwas von ihrem Cider. Als sie später am Abend zurück in ihre Wohnräume kam, wartete Alva bereits in ihrem Käfig auf sie. Die kleine Eule schuhute zur Begrüßung und flatterte kurz aufgeregt mit den Flügeln. Hermine ging sofort hinüber und kraulte das Tier am Köpfchen. Sie schloss das Fenster und stieg die Steintreppe hinauf in ihr Schlafzimmer, wo sie sich kurz darauf müde in ihr Bett fallen ließ.

Sie erwachte, als Alva fröhlich zwitschernd eine Runde über ihr drehte. Draußen schien bereits die Sonne und sie fühlte sich frisch und ausgeruht. Nach einer ausgiebigen Dusche ging sie hinunter zum Frühstück, wo nur Madam Hooch und Lucius saßen und sich anschwiegen. Dem abgeräumten Geschirr zu folgen, hatten die anderen bereits gegessen.

„Guten Morgen", sagte Hermine gut gelaunt und schenkte sich eine Tasse Tee ein.

„Guten Morgen", erwiderten die anderen beiden.

Lucius las den Tagespropheten und Madam Hooch blätterte durch die Hexenwoche.

„Gibt es etwas Neues?"

„Was meinst du?", Lucius sah hinter der Zeitung hervor.

„Über die Suche nach den Werwölfen."

Er schüttelte den Kopf und sagte: „Zumindest schreiben sie nichts. Vielleicht wollen sie nicht zu deutlich machen, dass sie nach dem Rudel suchen. Sie in Sicherheit wiegen, weißt du?"

„Möglich."

Hermine beschmierte sich eine Scheibe Toast mit Butter und Honig und begann zu essen. Es war eine merkwürdige Atmosphäre mit den beiden, die sich hinter ihren Zeitungen versteckten. Sie fragte sich, ob Madam Hooch als Anstandsdame dageblieben war.

„Wann möchtest du aufbrechen?", fragte sie leise.

„Sobald du bereit dazu bist", antwortete er, „aber lass dir ruhig Zeit, die Bücher laufen dir nicht davon."

„Bücher?", fragte Rolanda, „Haben Sie beide gestern in der Winkelgasse nicht alles bekommen, wonach Sie gesucht haben?"

„Doch, aber ich möchte mir gerne einmal die berühmte Bibliothek von Malfoy Manor ansehen. Ich habe schon so viel davon gehört und bin ganz gespannt darauf", sagte Hermine betont unschuldig.

„Sie wird dich sicher nicht enttäuschen."

„Die Bibliothek vielleicht nicht", nuschelte Madam Hooch in ihre Zeitschrift.

Sie aß schweigend ihren Toast und als sie von ihrem Teller aufsah, bemerkte sie, dass die Besenflug-Lehrerin sie über den Rand der Hexenwoche hinweg beobachtete. Die ältere Frau hatte die Stirn besorgt in Falten gelegt und Hermine dachte daran, was sie am Abend zuvor zu ihr gesagt hatte.

Nach dem Frühstück brachen die beiden auf. Sie liefen über das Schlossgelände bis zu dem Punkt, von dem aus man apparieren konnte und standen Sekunden später auf dem Kiesweg zum Haus der Malfoys. Es war, wie die letzten Tage auch, ein strahlend schöner Sommertag und Vögel zwitscherten ringsum von den Büschen und Bäumen des parkähnlichen Gartens zu ihnen hinab. Einige Fenster standen offen und als sie auf den Eingang zugingen, öffnete sich auch die beeindruckende Tür wie von selbst. Als sie hineingingen, stand eine zierliche Hauselfe dahinter und verbeugte sich zur Begrüßung. Sie trug eine traditionelle Hausmädchen-Uniform mit weißem Spitzenhäubchen, unter dem ihre langen Ohren hervorragten, und eine blitzsaubere Schürze über einem schwarzen Kleidchen.

„Beedy, ist deine Herrin zu Hause?", fragte Lucius im Vorbeigehen.

„Nein, Sir, sie ist den jungen Herrn besuchen und wird wohl nicht vor heute Abend zurück sein."

„Gut."

Die Elfe schloss die Tür hinter ihnen und Lucius schritt eilig durch die Eingangshalle und vorbei an der Treppe, die zu den Schlafzimmern der Familie führte. Vor der Flügeltür auf der rechten Seite blieb er stehen und wartete auf Hermine, die ihm langsam gefolgt war und sich dabei umgesehen hatte. Bisher sah alles so aus, wie in ihrem Traum und auch als er die Tür öffnete und ihr den Blick auf den Saal mit den aberhunderten von Büchern freigab, erkannte sie die Szene wieder. Trotzdem staunte sie, als sähe sie diese Pracht das erste Mal. Regale aus dunklem Mahagoni-Holz füllten jeden freien Zentimeter der Wände und reichten bis unter die Decke, die, wie Hermine nun auffiel, magisch verändert worden war, denn das obere Stockwerk lag gar nicht so hoch, wie es hier den Anschein hatte. An der Wand gegenüber der Tür thronte ein mächtiger Kamin, in dem magisches Feuer prasselte, und davor luden Sessel und Schemel zum Entspannen ein. Einige hohe Fenster hätten viel Licht hereingelassen, wenn sie nicht mit schweren, blickdichten Vorhängen bedeckt gewesen wären, um die Kostbarkeiten, die hier aufbewahrt wurden, zu schützen. An den Wänden links und rechts befanden sich Durchgänge in andere Räume. Jeder der Türbögen war in einem anderen Stil gestaltet und vermutlich auch in einer anderen Zeit gebaut worden. Hermine schätzte, dass die Bibliothek über die Jahre immer wieder erweitert worden war.

„Soll ich dir eine kurze Führung geben oder möchtest du sofort allein stöbern?", fragte Lucius, der sie amüsiert und nicht ohne Stolz ansah.

„Ein Überblick wäre sicher hilfreich."

„Dann beginnen wir dort drüben", er deutete nach rechts und ging durch einen Bogen im Tudorstil, einen sehr flachen Spitzbogen, voran in einen angrenzenden Raum, der um einiges kleiner und nicht so hoch war, wie der Hauptsaal.

„Hier findest du alles Wissenswerte über magische Pflanzen, insbesondere Heilkräuter und Zaubertrankzutaten, dort sind Brauanleitungen zu einfachen Giften und Gegengiften, aber auch zu komplexeren Heiltinkturen und gefährlichen Tränken."

Hermine erkannte in dem Regal, auf das Lucius zuletzt gedeutet hatte, eine Ausgabe von „Höchstpotente Zaubertränke" und schmunzelte in Erinnerung an ihr zweites Schuljahr. An den verschiedenen Fächern waren Schilder angebracht, die genau angaben, was man darin finden konnte - sie las zum Beispiel Arzneien, Wasserpflanzen oder auch Exotische Zutaten.

Er war bereits wieder hinaus gegangen und wartete an einem weiteren Durchgang, einem klassischen, schlichten Rundbogen. In dem sich dahinter befindenden Raum lagerten unter anderem Bücher über die frühe Zaubereigeschichte, sowie Abhandlungen, die sich kritisch mit Muggelschutzabkommen der neueren Zeit befassten. Es dauerte eine ganze Weile, bis er ihr einen Überblick über alle Ecken und Nischen der Bibliothek gegeben hatte, doch endlich standen sie im letzten Nebenraum. Die Bücher hier handelten von der Kunst des Duellierens, von Flüchen und Gegenflüchen, Schutzzaubern im Speziellen und anderen nützlichen magischen Tricks bei der Verteidigung gegen die Dunklen Künste und deren Anwendung. Lucius zückte seinen Zauberstab und steckte ihn in ein unscheinbares Loch in einem der Regale, wodurch dieses sanft zur Seite glitt und den Weg in eine verborgene Kammer gab. Hermine glaubte zu wissen, was sich dahinter verbarg, doch zu ihrer großen Überraschung befanden sich dort keineswegs Bücher von Muggelautoren, sondern: „Die private Sammlung der Malfoys über die dunkelste Magie, verbotene Rituale und experimentelle Zauber", wie Lucius es formulierte.

„Ich gehe davon aus, dass ich auf deine Diskretion vertrauen kann. Diese Werke sind nicht gerade für die Augen des Ministeriums bestimmt und ich wüsste nur ungern, dass jemand Kenntnis hiervon erlangt, der es... falsch verstehen könnte."

Sie versuchte ihre Überraschung und Verwunderung zu verbergen und war gleichzeitig ziemlich beeindruckt. Ein oder zwei der Bücher hatte sie schon einmal gesehen, doch die meisten waren ihr vollkommen fremd. Manche Einbände waren mit alten Runen beschrieben, andere sahen aus, als wären sie aus menschlicher Haut. Aus einem Buch drang ein leises Murmeln und einige mussten durch Ketten davon abgehalten werden, sich auf die Eindringlinge zu stürzen. Auf einem Tischchen lagen ein in zerfetztes Leder gebundenes Buch und mehrere bekritzelte Pergamentrollen. Neugierig las sie den Titel des Buches. Es hieß „Wolfsbrut".

Lumine II - WolfsbrutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt