Kapitel 21

254 21 6
                                    

Das neue Schuljahr hatte inzwischen begonnen und Hermine hatte sich nach anfänglicher Nervosität an ihren neuen Beruf mehr als nur gewöhnt. Sie versuchte ihren Schülern ihre eigene Begeisterung zu vermitteln und freute sich immer über die strahlenden Gesichter, wenn die Kinder einen neuen Zauber sahen und dann auch selbst vollbrachten. Gerade die Faszination der muggelstämmigen Erstklässler erinnerte sie stark an sich selbst. Sie wusste noch genau, wie überwältigt sie von der magischen Welt gewesen ist. Der Trubel in Hogwarts ließ die Strapazen der vorangegangenen Monate schnell verblassen und es fiel ihr leicht, nach vorne und nicht mehr zurück zu blicken.

Lucius hatte überraschenderweise an der Idee, Alte Runen zu unterrichten, festgehalten. Auch wenn inzwischen klar war, dass das in erster Linie dazu gedacht gewesen ist, ihn unter die Aufsicht von Minerva zu stellen. Nachdem nun den Werwölfen der Prozess gemacht worden und klar war, dass er nicht hinter dem Komplott steckte, war das aber natürlich hinfällig. Die Reaktionen der Eltern waren eher gemischt, doch im Großen und Ganzen gab es keine nennenswerten Probleme. Spätestens als klar wurde, dass er tatsächlich eine Koryphäe in seinem Fach war, und er den Schülern auf eine neuartige, lebendige Weise die Bedeutung und regelrecht Kunst der Alten Runen beibrachte, waren die kritischen Stimmen verstummt. Auch das übrige Kollegium, das inzwischen natürlich vollzählig in Hogwarts anwesend war, hatte ihn nach anfänglicher Skepsis in ihre Mitte aufgenommen.

Narzissa hatte sich dem Urteil entzogen - sie war eines Morgens tot in ihrer Zelle aufgefunden worden. Die Presse rätselte, wie es dazu gekommen sein konnte, und hinter vorgehaltenen Händen munkelte man, dass ihr jemand Gift geschickt hatte, doch die Untersuchung verlief ins Leere. Lucius beteuerte, dass er nichts damit zu tun hatte, und sie glaubte ihm. Sie war sich dessen bewusst, dass er ihr mehr als einmal Grund genug gegeben hatte, das nicht zu tun, doch er trauerte ehrlich um Narzissa.

Hermine war selten so erleichtert gewesen, wie an dem Tag, als er endlich aus seinem Dornröschenschlaf erwachte. Wobei er natürlich durch den Kuss der bösen Hexe eingeschlafen und nicht durch den Kuss der Prinzessin aufgewacht war. Eigentlich hatte sie ihm Vorwürfe machen wollen, weil er verschwiegen hatte, dass Draco ein Werwolf war, und wegen seines Verhaltens die Wochen zuvor, doch das erschien ihr alles unwichtig - sie war einfach froh, dass er am Leben und bei Bewusstsein war.

Sie sprachen sehr lange über alles, was gewesen ist, vor allem über die Tatsache, dass sie beide Opfer einer Geistmanipulation geworden waren, und was das jetzt für sie bedeutete. Da sie jedoch beide der Ansicht waren, dass Witherforks Machenschaften niemals die gleiche Wirkung erzielt hätten, wenn nicht schon eine gewisse Zuneigung in ihnen gesteckt hätte und sie beide nicht mehr als bereit gewesen wären, dieser Zuneigung eine Chance zu geben, beschlossen sie, nicht weiter darüber nachzudenken. Sie würden einen Neuanfang wagen - ohne Geheimnisse, ohne Dramen, ohne Hinterhalte.

Als um den Nikolaustag herum der erste Schnee fiel, zogen sie aus Hogwarts aus. So erheiternd und schön der Lärm der vielen Kinder und Jugendlichen anfangs gewesen ist, so sehr sehnten sie sich nach ein wenig Ruhe. Hermine wollte nicht nach Malfoy Manor ziehen und sorgte sich ein wenig darüber, wie Lucius deswegen reagieren würde, doch er war sofort einverstanden und gemeinsam suchten sie sich ein geräumiges Cottage an der schottischen Küste. Es war deutlich kleiner als das Haus in Wiltshire, doch es war immer noch übertrieben groß für zwei Personen und mit jedem denkbaren Komfort ausgestattet. Geld war etwas, worüber sie sich keine Gedanken machen mussten.

Natürlich war nicht alles heiter Sonnenschein zwischen ihnen, ab und zu rieben sie sich aneinander wegen Kleinigkeiten, die jedoch nie zu ernsthaften Streitigkeiten führten und meistens im Schlafzimmer endeten, mit Versöhnungssex, wie Harry es einmal so schön gesagt hatte.

Hermine war sehr froh, Harry und Ron wieder in ihrem Leben zu haben. Sie rechnete es den beiden hoch an, dass sie an ihre Seite geeilt waren, als sie in Schwierigkeiten steckte. Harry hatte ihr erzählt, dass er gerade mit Ginny im Fuchsbau zu Besuch gewesen ist, als Minervas Hilferuf ihn erreichte und dass sowohl Ron als auch seine Eltern sich nicht davon haben abbringen lassen, mit ihm zu kommen. Sie fühlte sich von Molly und Arthur wirklich geliebt und es war nicht unbedingt selbstverständlich, dass sie sich auch noch nach der Trennung so verhielten, wenn man bedenkt, dass Hermine schon einmal mit Liebesentzug von Mrs. Weasley bestraft worden war, als diese in ihrem vierten Schuljahr dachte, sie betrüge Harry mit Viktor Krum. Oder anders herum. Sie wusste es nicht mehr. Das alles machte ihr jedoch immer deutlicher, wie sehr ihr ihre eigenen Eltern fehlten. Jeder Versuch, sie aufzuspüren, war bisher ergebnislos geblieben und so langsam verlor sie die Hoffnung auf ein Happy End. Lucius hatte ihr bei der Suche seine Hilfe angeboten, doch seit das Schuljahr begonnen hatte, blieb ihnen kaum Zeit dafür.

Familie war ohnehin ein schwieriges Thema. Er sprach zwar nicht oft darüber, aber Lucius litt sehr unter Dracos Verhalten, das sich leider nicht gebessert hatte, sondern nach Narzissas Tod noch erbarmungsloser geworden war. Er verachtete seinen Vater mit jeder Faser seines Körpers und zeigte ihm das auch mehr als deutlich. Wenn sie nicht durch einen starken Schutzzauber voneinander getrennt gewesen wären, wäre Draco ihm bei der Verhandlung ohne Weiteres an die Gurgel gesprungen. Hermine hoffte, dass es mit der Zeit besser werden würde, denn sie sah, wie weh es Lucius jedes Mal tat, wenn die Sprache auf seinen Sohn kam. Sie selbst war wütend auf Draco, denn es war ließ ihn scheinbar kalt, dass sein Vater fast für ihn gestorben wäre. Er machte Lucius für alles verantwortlich, was in seinem Leben schief gelaufen war, gekrönt nun auch noch durch den Tod seiner geliebten Mutter. Er war natürlich überzeugt davon, zu wissen, wer letztendlich die Schuld daran trug.

Was ihre eigene Planung anging, so hatten sie zwar beschlossen noch eine ganze Zeit lang zu warten, doch Hermine hatte eine Möglichkeit gefunden, die sehr viel versprechend war, um das Ritual zu gegebener Zeit zu umgehen. Mit etwas Ruhe hatte sie noch einmal versucht, etwas darüber herauszufinden und war fündig geworden. Das Ritual verhinderte, dass im Körper einer muggelstämmigen Hexe eine Befruchtung stattfinden konnte. Sie empfand es als Ironie des Schicksals, dass gerade die Muggel eine Möglichkeit erfunden hatten, dieses Hindernis zu überwinden. Denn außerhalb des Körpers hatte der Fluch keine Wirkung, wie sie schon von einem Arzt bestätigt bekommen hatten. Ob sie sich nun irgendwann dazu entschieden eigene Kinder zu bekommen oder nicht, die Möglichkeit bestand immerhin, was ein beruhigendes Gefühl war.

Fürs Erste hatten sie sich eine Katze angeschafft. Hermine hatte anfangs ein schlechtes Gewissen gegenüber Krummbein, denn ihn hatte sie damals Molly und Arthur überlassen, doch der große rote Streuner liebte den Fuchsbau und war ihr deswegen wohl nicht böse. Die British-Shorthair Katze, die sie sich aus der magischen Menagerie holten, war ebenfalls ziemlich groß und schwer, doch bei weitem nicht so riesig wie Krummbein. Ihr Fell war hellgrau, nur die Pfoten und Ohrenspitzen waren etwas dunkler und ihre Augen strahlten blau. Sie stolzierte ziemlich erhaben in ihrem neuen Zuhause herum und erhielt deshalb bald den Namen Madame Pompadour.

Sie hatten beide viel zu tun und daher waren sie froh über jeden Abend, den sie in Ruhe miteinander verbringen konnten. Hermine liebte es, auf dem Sofa in eine Decke gekuschelt Lucius Klavierspiel zu lauschen. Er hatte ihr verraten, dass er mit einem Zauber nachhalf, um nicht aus Versehen daneben zu greifen, auch wenn er natürlich auch ohne Hilfe sehr gut spielen konnte. Er wollte nur verhindern, die Atmosphäre durch einen disharmonischen Akkord zu zerstören.

Da sie beide leidenschaftlich gerne in Büchern schmökerten, hatten sie sich ein Lesezimmer eingerichtet. Es war natürlich deutlich bescheidener als die Bibliothek auf Malfoy Manor, aber die Sammlung war für einen privaten Haushalt immer noch sehr stattlich.
Der Neujahrsball rückte immer näher und Hermine freute sich sehr darauf. Da sie im Festkomitee saß, hatte sie tatkräftig dabei mitgeholfen, das ganze Schloss winterlich zu schmücken. Die Girlanden aus Eiskristallen, die im Licht in allen Farben strahlten und melodisch klimperten, waren ihr schönstes Werk, doch auch die tanzenden und singenden Schneemänner fanden viel Anklang, vor allem unter den jüngeren Schülern.

Am Abend des Festes schlüpfte Hermine in ihr rot-goldenes Ballkleid und drehte sich glücklich vor dem Spiegel. Lucius lehnte wie in Madam Malkins Laden am Türrahmen und bewunderte sie.

„Ich habe dir schon einmal gesagt, in diesem Kleid siehst du aus wie eine Königin. Wie meine Königin."

„Du alter Charmeur", grinste Hermine.

„Das hab ich jetzt überhört."

„Was? Den Charmeur?"

Er kniff sie in die Seite und sagte: „Wir sollten los, sonst verpassen wir noch den Eröffnungstanz. Und ich habe mich auf deiner Tanzkarte eingetragen, wenn du dich erinnerst."

Er zog eine selbstgeschrieben Karte hervor, auf der ganz deutlich „Alle Tänze" reserviert worden waren. Hermine lachte und legte sich den Umhang um die Schultern.

„Wenn wir nachher zurückkommen, wartet eine Überraschung auf dich", flüsterte Lucius, als sie den fackelerleuchteten Weg zum Schloss hinaufspazierten.

„Du weißt, dass ich Überraschungen hasse", beschwerte sie sich und überlegte fieberhaft, was es sein könnte.

Der Ball war ein voller Erfolg. Die älteren Schüler tanzten ausgelassen und auch die Lehrer hatten viel Spaß. Hermine ließ es sich nicht nehmen, auch einen Tanz mit Hagrid zu tanzen, obwohl Lucius noch einmal augenzwinkernd darauf hinwies, dass er sie für den ganzen Abend reserviert hatte. Minerva McGonagall und Horace Slughorn tanzten bedächtig und auch Argus Filch wiegte seine Mrs. Norris im Arm.

Hermine war noch immer nicht ganz darüber hinweg, dass der Hausmeister an der Schule bleiben durfte. Im Zuge der Ermittlungen war herausgekommen, dass Filch, wohl unwissentlich, die Werwölfe unterstützt hatte. Narzissa hatte ihm irgendeine Geschichte erzählt, die ihn davon überzeugt hatte, dass Lucius der Teufel in Person sei und gegen alles und jeden intrigiere. Er hatte beflissen alles beobachtet und an sie weitergegeben und vor allem auch die Nachricht, die er an die Schulleiterin überbringen sollte, gerade nicht überbracht. Es war Madam Hooch zu verdanken, die ihre Rolle als Geheimaurorin gewissenhaft ausgeführt hatte, dass dennoch Hilfe in den Wald beordert worden war. Minerva war der Ansicht, dass Filch, der vom Ministerium nicht verurteilt worden war, in der Schule noch immer den geringsten Schaden anrichten würde, da er hier unter nun deutlich strengerer Aufsicht stand. Hermine versuchte einfach, dem Hausmeister, so weit es jedenfalls möglich war, aus dem Weg zu gehen.

Es blieb nicht aus, dass viele der Eltern, die am Neujahrsball teilnahmen, neugierig die Köpfe nach ihnen umwandten. Sie hatten sicher schon von ihren Kindern gehört, dass die Professoren Granger und Malfoy ein Paar waren, doch es war wohl etwas anderes, das dann mit eigenen Augen bestätigt zu sehen. Hermine war es egal. Sie konnte verstehen, warum die Zauberer und Hexen so reagierten, immerhin war ihre Beziehung tatsächlich ziemlich ungewöhnlich.

Als der offizielle, gediegene Teil der Feier vorüber war und die Schüler die Tanzfläche stürmten, machten sie sich auf den Heimweg. Hermine konnte es nicht lassen, Lucius bei dieser Gelegenheit einmal mehr im Scherz sein Alter vorzuhalten, doch insgeheim fühlte sie sich selbst zu alt für dieses Gehopse. Vielleicht hatte sie in ihrem Leben schon zu viel erlebt, um so ausgelassen feiern zu können.
Sie apparierten vor ihr Gartentürchen und liefen über den mondbeschienen Kiesweg zum Cottage. Im Hintergrund glitzerte das Meer und sie hörten leise die Brandung gegen die Felsen rauschen. Alva erschreckte sie, als sie aus der Nacht auftauchte und fröhlich schuhuend über sie hinweg flog. Plötzlich blieb Hermine stehen und packte Lucius am Arm. Eines der Fenster war hell erleuchtet.

„Da ist jemand im Haus!", flüsterte sie nervös, „Wir sollten..."

„Das hat schon seine Richtigkeit", sagte Lucius lächelnd, „ich habe dir doch gesagt, dass eine Überraschung auf dich wartet, wenn wir nach Hause kommen. Außerdem hätte es genauso gut Beedy sein können. Du musst dich langsam daran gewöhnen, einen Hauselfen im Haus zu haben."

„Das wird noch eine Weile dauern", murmelte Hermine und trommelte aufgeregt mit den Fingern.

„Nach Ihnen, Madame."

Er verbeugte sich galant und hielt ihr die Tür auf.

„Vielen Dank, Monsieur."

Lucius schloss die Tür hinter ihnen und nahm Hermine ihren Umhang ab.

„Du bist ganz kalt. Ich werde Beedy darum bitten, uns noch einen Tee zu kochen. Geh am besten in den Salon und wärme dich auf."

„Und was ist mit meiner Überraschung? Willst du sie mir nicht zeigen?"

„Ich komme gleich nach. Geh ruhig schon einmal vor."

Er nahm ihre Hand und strich sanft mit dem Daumen darüber. Mit der anderen zog er sie an sich und in einen langen Kuss. Stirn an Stirn hielten sie inne und er flüsterte: „Ich liebe dich, Kleine", bevor er verschwand, um den Tee zu bestellen. Es war nicht das erste Mal, dass er ihr das sagte, doch ihr Herz tanzte noch immer vor Freude, wenn sie diese Worte aus seinem Mund hörte, konnte sie es doch manchmal noch immer selbst kaum glauben.

Sie schlüpfte noch geschwind aus ihren hohen Schuhen und war froh, sie endlich los zu sein. Madam Pompadour streifte zur Begrüßung kurz an ihren Beinen vorbei und ließ sich kraulen. Hermine nahm sie auf den Arm und ging ins Wohnzimmer, oder in den Salon, wie Lucius es hochtrabend zu nennen pflegte. Sie blieb wie angewurzelt stehen und schüttelte fassungslos den Kopf.

„Hallo mein Schatz."

Dort neben dem Kamin standen ihre Eltern und warteten mit ausgebreiteten Armen auf sie.

ENDE.

Lumine II - WolfsbrutWo Geschichten leben. Entdecke jetzt