22. Kapitel

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Samu lehnte an der Bar und sah noch genauso blass aus wie vorhin. In seiner Hand hielt er ein Glas Wasser und sein Blick schweifte ziellos durch den riesigen Raum. Ohne all den Sand, die Strandkörbe und die Lampen sah der Bereich ganz anders aus. Tische und Stühle in den unterschiedlichsten Farben standen verteilt. An manchen von ihnen saßen Leute, aber die meisten waren leer. Ebenso wie die Bühne, auf der nur eine alte Anlage stand. Ein Song von Pink Floyd wehte zu uns herüber. Als Samu mich sah, stellte er sein Glas ab und lief auf mich zu. Er zog mich in seine Arme, viel fester als ich erwartet hatte. Als er mich schließlich losließ, war die Blässe aus seinem Gesicht verschwunden. „Onkel Ed, das ist Allie", stellte er mich dem älteren Mann vor, der hinter der Bar stand und Gläser polierte. Samu's Onkel sah aus wie einer dieser alten Rocker. Unzählige Tattoos schmückten seinen Körper. Ein breites Lederarmband lag um sein Handgelenk, und über seiner Brust spannte sich ein Bandshirt von Pink Floyd. Er schenkte mir ein Lächeln, ebenso warm wie das von Samu. „Freut mich, dich kennenzulernen." Er streckte mir die Hand entgegen. „Wie wäre es, wenn ihr die neuen Cocktails testet? Dann gehen sie aufs Haus." Bevor wir zustimmen konnten, fing er schon an, verschiedene Säfte und Sirups aus den Schränken zu ziehen. „Aber ohne Alkohol, ich muss noch fahren." Ich setzte mich auf den Barhocker, direkt neben Samu, während Riku auf der anderen Seite von ihm Platz nahm. „Für mich kannste welchen reinmachen, Eddy. Mit dem Trinken kann man nie früh genug anfangen." Nicht lange nachdem Ed angefangen hatte zu mixen, stand vor mir ein Old Sunrise Adventure. Vorsichtig nippte ich an dem blauen Strohhalm: süß, fruchtig und überraschend frisch. „Das macht die Minze", erklärte er und griff nach den nächsten Gläsern, um sie zu polieren. „Eve hast du noch nicht kennengelernt, oder Allie?"
Samu's Mutter hieß Eve.
„Nein." Er rieb sich freudig die Hände. „Dann werde ich sie gleich mal anrufen und ihr sagen, dass das ein Punkt für mich ist."
Riku lachte. „Ernsthaft, Ed? Seid ihr zwölf, oder was?" Ed deutete mit dem Finger auf ihn. „Komm du erst mal in mein Alter, dann nimmst du auch jeden Spaß mit, den du haben kannst."
„Das macht er jetzt schon", warf Samu ein, und ich wusste, er meinte die unzähligen Frauen, die er in sein Bett gezogen hatte. Dann drehte er sich zu mir und erklärte: „Meine Mutter und Ed führen eine Liste. Wer am Ende des Jahres mehr Punkte hat, bezahlt den Urlaub des anderen. Scheinbar dachte sie, dass ich sie dir zuerst vorstelle."
„Nicht nur scheinbar. Sie war sich absolut sicher, Junge. Also entschuldigt mich kurz." Er zog eine Zigarette aus einer Schublade und verließ mit seinem Handy den Bar-Bereich. Riku lachte leise. „Dein Onkel ist so ein Vogel, Alter."
„Wird deine Mutter böse sein, weil sie mich nicht zuerst kennengelernt hat?"
„Was? Quatsch." Samu legte seine Hand auf meine und schüttelte den Kopf. „Auf so eine Idee würde sie nicht mal im Traum kommen." Er zog mich dichter an sich heran. „Sie wird dich lieben, Allie." Riku's leeres Glas knallte zu laut auf den Tresen. „Wahrscheinlich wird sie dich gar nicht mehr weglassen und wenn sie dann noch erfährt, dass du Parks Schwester bist, ist es vorbei." Riku grinste in sich hinein. Was auch immer das heißen sollte. Er führte es nicht weiter aus. Ich warf Samu einen ängstlichen Blick zu. „Sie sagt ständig, dein Bruder wäre ihr verlorener Sohn. Sie liebt ihn, was bedeutet, sie wird dich genauso lieben." Oder ich werde sie bitterlich enttäuschen, so wie ich jeden Menschen bisher enttäuscht hatte. Besonders Eltern. Es war eine seltsame Vorstellung, dass Jamie so tief mit Samu's Familie verbunden war, dass seine Mutter ihn wie einen Sohn behandelte. Emmas Mutter war eine Zeit lang wie eine Mutter für mich, aber irgendwann hatte ich solche Angst sie zu enttäuschen, dass ich mich zurückgezogen hatte.

Gerade als wir das Rebelz verlassen wollten, kam Ed zurück. Statt einen Handschlag zu bekommen – wie zu Anfang – landete ich zum Abschied in einer festen Umarmung. Wir liefen auf die Tür zu, als Ed rief: „Und ruf deine Schwester an, Junge. Sie wird sich freuen."
Riku sah ihn an: „Ist Sanna zurück?" Wir traten nach draußen. Samu nickte. „Seit heute Mittag. Ed hat es mir vorhin erzählt." Sanna. Seine kleine Schwester. Die, die einen ganzen Geburtstag lang nur U-Bahn fahren wollte. „Also fahrt ihr am Wochenende zu ihr?"
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Mum und sie kommen Freitag her."
Riku grinste. „Kommt Tessa mit?"
„Nicht, wenn ich es verhindern kann", brummte Samu neben mir, als er den Autoschlüssel aus der Tasche zog. Riku stemmte die Hände in die Hüften. „Schon mal darüber nachgedacht, dass sie und ich füreinander bestimmt sein könnten?", sagte er mit gespielter Empörung. Statt einer Antwort verdrehte Samu die Augen. Er öffnete nacheinander alle Türen des Autos und kurbelte die Fenster herunter. Obwohl es schon spät war, war es viel zu heiß. Er nahm meine Tasche und legte sie in den Kofferraum. „Wir sollten es Park erzählen. Er steht auf deine Schwester – was bedeutet, er kriegt sich vielleicht mal wieder ein."
„Ehrlich gesagt, interessiert mich nicht, wer von euch meine Schwester heiß findet."
Riku grinste. „Schade eigentlich. Weil, ich habe mir gerade überlegt, dass die beiden jetzt noch perfekter füreinander wären, und es wäre nur fair."
„Was soll das jetzt wieder heißen?", fragte Samu. In seiner Stimme schwang ein Hauch Gereiztheit mit. Riku deutete kurz auf mich. „Na ja, ist doch logisch: Immerhin krallst du dir auch seine Schwester." Er sah schuldbewusst aus, besonders, nachdem Samu ihn böse anfunkelte. „Sorry, Prinzessin, das war nichts gegen dich", sagte er. „Aber es ist doch echt so: Beide haben ein Problem damit, wenn der andere was mit seiner Schwester anfängt. Und Park und Sanna – die beiden waren echt kurz davor, ein Paar zu werden, bis ..." plötzlich stoppte Riku, als hätte er was Falsches gesagt. Er senkte den Blick. „Eigentlich sollte es nur spaßig sein", erklärte er kleinlaut. „Kam Scheiße rüber, tut mir leid, Mann. Keine Witze über deine Schwester. Ist angekommen." Samu wischte sich über das Gesicht, dann nickte er. „Schon gut. Steig ein. Ich fahr dich kurz rum, bevor wir zu Allie fahren."

Weil ich dich braucheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt