17. Kapitel

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Da war gar nichts. Keine Sirene. Kein Blaulicht. Es passierte nichts, und obwohl ich wusste, dass das Drücken des Knopfes die Polizei alarmierte, fühlte es sich unwirklich an. „Was ist los, Babe? Willst du nicht wieder zu uns kommen? Du kannst uns helfen." Timo griff sich lachend in den Schritt. „Da hast du doch Erfahrungen mit. Also verschaff mir Abhilfe." Kimi leerte seine Bierflasche, bevor er sie vor meinen Augen auf den Boden fallen ließ. Grüne Scherben. Überall.
„Ungeschickter Trottel." Jari schubste seinen Freund, doch er hob bloß die Schultern. „Dann kann sie sich bücken", grinste er. Mittlerweile zitterten meine Hände so sehr, dass ich sie gegen meine Seiten pressen musste. Sie waren feucht.

Fünf Minuten.

Die Polizei brauchte nicht länger als fünf Minuten. Herr Koskinen hatte mir das so oft gesagt. Scheu dich nicht, den Knopf zu drücken, wenn dir etwas komisch vorkommt, Allison. Sie sind in fünf Minuten hier.
Ich hatte den Knopf gedrückt und es sollte mir Sicherheit geben. Warum fühlte ich mich dann, als würde ich die nächste Katastrophe damit heraufbeschwören? Jari's schamloses Grinsen lähmte mich. Timo machte noch weiter all die obszönen Sprüche, aber ich starrte bloß auf die Fensterfront. Sie grapschten sich Schokoriegel, warfen sie mir entgegen und lachten. Und alles, was ich konnte, war, dazustehen und sie weitermachen zu lassen. „Wieso ist sie so prüde? Tut so, als wäre sie die Jungfrau Maria und nicht eine von den kleinen Schlampen", zischte Timo und deutete auf mich. „Du hast gesagt ..."
Blaulicht. Überall war Blaulicht. Erst jetzt merkte ich, dass ich die Luft angehalten hatte. „Mach keinen Fehler, Allie", warnte mich Jari. „Wir wollen doch nicht, dass das alles über dir zusammenbricht." Seelenruhig zog er fünfzehn Euro aus der Hosentasche. Legte sie auf den Tresen, als die beiden Polizisten mit erhobenen Waffen in die Tankstelle stürmten und sagte laut: „Tut mir echt leid, mein Freund ist einfach betrunken. Ich ersetz natürlich den Schaden. Ist kein Problem."
„O ja. Ich habe einfach nicht aufgepasst", säuselte Kimi und versuchte schwankend, seine Brieftasche herauszuziehen. Jari legte ihm die Hand auf die Schulter. „Ich mach das schon. Nicht dass du noch mehr kaputt machst, was?" Jari zwinkerte ihm zu.

„Geht es Ihnen gut?", fragte der jüngere Polizist von beiden. Er und sein Kollege, ein rundlicher Mann mit ausladenden Schultern, musterten mich. Ich wusste, dass ich etwas sagen musste. Irgendwas. Aber ich schaffte es nicht. „Es war nur ein Missverständnis." Jari drehte sich um. „Mein Freund ist betrunken, er hat nur Spaß gemacht. Das habe ich der Dame auch gesagt, aber scheinbar hat es ihr Angst gemacht."
Es war ein Spiel – ich wusste das. Ich war der Einsatz, und ich könnte es beenden. Ich brauchte nur zu sagen:

Sie lügen.
Sie bedrohen mich.
Sie fassen mich an.
Sie wollen mir wehtun.

Aber ich war feige und lächelte. Ich bestätigte, was Jari sagte. Ich bestätigte es mit einem erzwungenen Lächeln und Worten voller Lügen, die sich schwer auf mich legten und versuchten, mich zu erdrücken. Es sah nicht aus, als würden die Polizisten mir glauben. Aber weil ich der Aussage zustimmte, nahmen sie nur die Personalien der drei auf, dann konnten sie gehen. Sie stiegen zurück in ihren Wagen und fuhren davon.

Mein Kollege kam und übernahm seine Schicht, während die Beamten mich an einem der Stehtische befragten. Immer wieder sah ich auf die Uhr. Betete, dass die Befragung endete und die beiden einfach verschwinden würden. Aber ich hatte kein Glück, sie stellten wieder und wieder dieselben Fragen, als wollten sie mich enttarnen. Bis Samu auftauchte.
Er blieb nicht vor der Tür, wie er es sonst tat. Das Blaulicht musste bis an den Rand des Parkplatzes gedrungen sein, denn er rannte durch die Tür, direkt auf mich zu und als er bei mir ankam, riss er mich fast um. Er zog mich in seine Arme und als er mich ansah, wusste ich genau, was er sah: verwischtes Make-up. Spuren von Tränen. Angst, die offensichtlich in mein Gesicht geschrieben sein musste. „Und Sie sind?", fragte einer der Polizisten. „Samu Haber." Er streckte ihm seine rechte Hand entgegen. „Was ist passiert?"
„Der Alarm wurde vor etwa zwanzig Minuten ausgelöst. Wir fanden Frau Tanner mit drei Männern vor, von denen einer behauptete, es hätte bloß ein Missverständnis gegeben. Frau Tanner hat dies bestätigt." In seinen Worten klang meine Version noch unwahrscheinlicher. Sie klang dumm. Falsch. Gelogen. „Lassen Sie mich ehrlich sein. Fälle wie diese haben wir oft. Wir kommen in Wohnungen, in denen Frauen ganz offensichtlich bedroht wurden und uns trotzdem versichern, dass alles in Ordnung ist. Sie sehen nicht aus, als würde es sich hier um ein bloßes Missverständnis handeln. Ich kann verstehen, wenn Sie Angst haben, aber es bringt niemandem etwas, aus Angst einen Täter zu schützen." Sein Blick durchbohrte mich. „Allie ..." Samu wollte, dass ich die Wahrheit sagte. Er glaubte, es würde alles ändern. Er glaubte, wenn sie auffliegen, wenn sie bestraft werden, hören sie damit auf. Aber sie werden nicht aufhören. Es wird sie wütend machen. Es würde alles nur noch schlimmer machen. Deshalb wollte ich weiterlügen, sagen, was sie von mir verlangten, doch jetzt war Samu hier. Er umfasste mein Kinn und zwang mich, ihn anzusehen. „Es wird niemals aufhören, wenn du sie davonkommen lässt." Er hatte recht, irgendwo in mir wusste ich das. Eine kleine Stimme, die sagte, dass sie in ihre Schranken zu weisen die einzige Chance war, dass es endete. Und ich wollte, dass es endete. „Ich ... Sie haben mir gedroht und Dinge gesagt – Sachen nach mir geworfen. Sie wollten mir Angst machen. Sie wollten mir immer Angst machen." Samu atmete neben mir auf.
„Also kennen Sie die Männer?"
Ich nickte. „Ja. Wir sind zusammen zur Schule gegangen."
„Anfang Mai haben sie ihr im Park aufgelauert, sie bestohlen und ihre Absichten waren eindeutig", fügte Samu hinzu. Der Polizist wischte sich über das Gesicht. „Ich nehme an, Sie haben keine Anzeige erstattet." Ich blinzelte die Tränen weg und schüttelte nur meinen Kopf. Samu drückte mich fester an sich, während ich bestätigte, was er erzählt hatte. Ich fügte das Mobbing in der Schule hinzu, aber was ich nicht erwähnte, waren die Briefe. Auch Marty erwähnte ich mit keinem Wort. Bevor der Polizist wieder ging, überreichte er mir seine Karte. Er bat mich darum, morgen auf das Revier zu kommen, um die Aussage zu bestätigen. Danach riet er Samu, mich auch weiterhin zu begleiten.

Weil ich dich braucheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt