12. Kapitel

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Acht.
Nichts weiter als ein kleines Stück Papier mit meinem Namen. Aber die Worte darauf warfen mich zurück zu dem Abend im Park. Zurück auf den Flur meiner alten Schule.
Ich musste es jemandem sagen.
Das wusste ich. Ich wusste, dass ich es tun musste. Aber ein kleiner Teil in mir weigerte sich, dieser Sache eine Bedeutung zuzumessen. Es waren nur Zettel. Nichts als Worte. Niemand hatte mich bedroht oder mir noch mal aufgelauert.
Ich warf den Zettel zu den anderen in der untersten Schublade meines Nachttisches. Dann ging ich in die Küche. Emma saß am Tisch, über eines ihrer Bücher gebeugt. Als sie mich bemerkte, schob sie ein Lesezeichen zwischen die Seiten und musterte mich. „Geht es dir gut, Süße?"
„Du meinst, weil Samu gerade mit meinem Bruder rumhängt?" Ich zog das Kaffeeglas aus dem Regal. „Ich versuche, nicht so viel darüber nachzudenken." Seit seinem Liebesgeständnis waren sechs Tage vergangen, genauso lange, wie es her war, dass ich Jamie begegnet war. Was sich im Übrigen immer noch wie ein böser Traum anfühlte. Samu war die gesamte Zeit bei mir, erst gestern Abend war er zurück in seine Wohnung gegangen.
Einerseits wollte ich, dass er seine Freunde sehen konnte und sein Leben hatte, aber gleichzeitig war es furchtbar.
Ich kippte erst Espresso, dann aufgeschäumte Milch in mein Glas, bevor ich mich zu Emma an den Tisch setze. „Du musst nicht die Starke spielen, Allie. Schon vergessen? Ich war dabei, als du ihn damals verloren hast. Das war die Hölle für dich und ich weiß, dass es das immer noch ist." Emma strich über das Buchcover. „Hör zu, wenn du willst ... Ich könnte versuchen, mit Jamie zu reden. Ich hab es ja noch nie probiert, weil du es nie wolltest, aber ..."
„Ich will es auch jetzt nicht, Em. Du hast ihn nicht gesehen ... Er will mich nicht. Er hasst es, dass ich in seinem Leben aufgetaucht bin. Ich weiß, du hast ihn gern und ihr wart Freunde, aber gerade deshalb will ich dir das nicht antun." Emma hatte ihn auch verloren. Er war ihr Freund. Sie mochten sich. Der Gedanke, er könnte sie mit seiner Ignoranz, seiner Kälte ebenso verletzen wie mich, war unerträglich. Sie war meine beste Freundin. „Außerdem wird Samu garantiert versuchen, etwas aus ihm herauszubekommen. Und damit alles schlimmer machen." Ich hob mit dem Löffel den Milchschaum aus der Tasse und ließ ihn zurückfallen. „Ich habe Angst, ihn zu verlieren. Und ich habe Angst, dass er dadurch seinen Freund verliert. Aber das lässt sich nicht ändern, oder? Er und ich, das ist ..."
„... perfekt?", schlug sie lächelnd vor. „Zumindest würde ich es so bezeichnen." Sie hatte recht. Es war perfekt. Es war das Perfekteste, was ich je hatte. Wahrscheinlich hatte ich deshalb Angst. Samu wusste das. Wir hatten nicht nur an dem Abend, an dem er mir den Songtext auf den Arm geschrieben hatte, darüber geredet – sondern die ganzen restlichen Tage. Er kannte meine Angst, ich seinen Standpunkt – trotzdem oder gerade deshalb waren wir zusammen. Ich wollte es genießen, es nehmen, wie es kam – aber jetzt, wo er seit gestern Abend zu Hause war, schweiften meine Gedanken ab. Jamie würde es ihm nicht einfach machen. Er wird es hassen. Es konnte sein, dass sie streiten oder dass er ihre Freundschaft beendete. Und was dann? Wie viel wird Samu für mich ertragen? Wie viel war zu viel?

„Ich glaube immer noch nicht, das J dich hasst, Allie. Es gibt nichts, was du getan haben könntest, womit du diesen Hass verdient hättest. Er hat dich geliebt. Immer. Aber aus irgendeinem Grund will er, dass du glaubst, er würde dich hassen." Das hatte Emma schon ein paar Mal gesagt, aber wenn mein Bruder sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, dann blieb er dabei. Es war egal, ob er mich hasste oder sich einredete, mich zu hassen. Denn die Liebe zu mir, das, was wir hatten, war darunter begraben und er hatte nicht vor, es wiederzubeleben. „Selbst wenn, es ändert nichts." Emma zog die Unterlippe zwischen die Zähne, während ihre Finger auf den Buchrücken eintrommelten. „Vielleicht schon. Mir kam da ein Gedanke", erklärte sie. „Du willst Samu nicht verlieren, er will sich nicht entscheiden müssen. Jamie hat dich jahrelang systematisch aus seinem Leben ausgeschlossen, bis es nichts mehr gab, was euch verbunden hat. Aber jetzt ist das anders: Samu ist euer Berührungspunkt. Und das könntest du nutzen."
„Nutzen?"
Emma nickte. „Mal im Ernst: Wenn du dich nicht in diese Ecke drängen lässt, in der er dich haben will, sondern präsent bleibst oder wieder bist: Er wird sich unweigerlich damit auseinandersetzten müssen. Vielleicht passiert dann endlich etwas und er öffnet sich. Aber selbst, wenn es nichts ändert: Du hast schon so oft zurückgesteckt. Nicht nur wegen ihm, sondern wegen deiner Mutter und Marty, und jetzt bist du glücklich und hast es verdient. Samu ist verrückt nach dir, und er macht dich glücklich. Und deshalb hat Jamie nicht das Recht, euch zu trennen. Wenn es ihn stört und er ein Problem damit hat, dann kann er sich fernhalten. Aber deshalb solltest du trotzdem ein Teil des Lebens deines Freundes sein können, oder?" Sie sah mich an. „Tu mir wenigstens den Gefallen und denk darüber nach, okay?" Sie schob das Buch in ihren Rucksack und stand auf. „Wir müssen übrings gleich los."

Weil ich dich braucheWo Geschichten leben. Entdecke jetzt