Kapitel 11: Himmelstor

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„Es ist verboten, Nummern einen Spitznamen zu geben oder sie in irgendeiner Form zu benennen. […] Spitznamen für Namen dürfen den ersten Namensteil verkürzen, aber nicht verfälschen. Spitznamen, die keine Namen sind, sind jedoch nach Belieben verwendbar.“ (Auszug aus dem Regelbuch für Spitznamen)

An die Reise nach Ebistal erinnere ich mich nicht gerne zurück. Ich war ein nervliches Wrack. Es hätte mir peinlich sein müssen, wie ich mich an Rustan klammerte und nicht aufhören konnte zu zittern, sobald er mich losließ.

Zum Glück war Nelia und Allira nichts passiert. Es dauerte aber ein paar Stunden, bis die beiden wieder zu sich kamen und unsere schlaflose Wache beendeten. Nicht dass einer von uns in dieser Nacht noch hätte schlafen können. Sobald ich die Augen schloss, sah ich wieder die Männer vor mir, die ich getötet hatte. Ich aß die nächsten beiden Tage keinen Bissen, weil mir sonst übel geworden wäre.

Es erschreckte mich, wie sehr sich Baros und Alliras Verhalten mir gegenüber nun änderte. Sie musterten mich stets wachsam und respektvoll. Baro hatte den beiden Frauen erzählt, was passiert war, da weder Rustan noch ich uns hatten überwinden können, über die Ereignisse der Nacht zu sprechen.

Allira, die mich anscheinend zuvor nie als ebenbürtig wahrgenommen hatte, lächelte mich nun an und war nett zu mir, auch wenn sie, seitdem sie mit Baro zusammen war, mit keinem anderen Mann mehr flirtete. Keiner von uns erwähnte die Beziehung der beiden oder dass sie sich jetzt nachts ein Zimmer teilten.

Ja, ein Zimmer. Rustan hatte beschlossen, dass die Zeit der Zelte von nun an vorbei war. Ab sofort wollte er nachts Mauern um uns wissen und Schlösser an den Türen, die man abschließen konnte, damit es weitere mögliche Attentäter nicht so leicht haben würden, zu uns zu gelangen. Wir übernachteten nun nur noch in größeren Dörfern oder Städten, die eine Stadtwache hatten. Und das auch nur, nachdem Rustan sich vergewissert hatte, dass keine Kurbabus in der Nähe oder gesichtet worden waren.

Die Reise von Grobiere nach Ebistal hätte drei Tage dauern sollen. Wir brauchten sechs. Die ersten beiden Tage nach dem Angriff der Kurbabus stand ich unter Schock und hatte panische Angst. Auch wenn ich mich in Rustans Armen noch am sichersten fühlte, so war mir auch klar, dass er nicht kämpfen konnte, wenn er mich tragen musste. Und außerdem kamen wir auf diese Weise nicht weit voran, so dass ich am dritten Tag darauf bestand, wieder selbst zu laufen.

Ich aß nur wenig und an Schlaf war kaum zu denken. Ich wirkte hager und fing an, jeden Spiegel zu meiden, an dem ich vorbeikam. Rustan und Nelia machten sich Sorgen, das sah ich, aber ich fühlte mich nicht imstande, mit ihnen zu reden.

„Tir?“, fragte mich Rustan irgendwann. Auf Tirasan reagierte ich längst nicht mehr. Ich hasste meinen Namen. „Wir haben im Dorf gerade ein paar Pralinen gekauft, möchtest du welche probieren?“

Er sah mich so hoffnungsvoll an, dass ich tatsächlich eine probierte. Sie schmeckte nach nichts, was eine Verbesserung im Vergleich zu den ersten Tagen war, denn da war mir bei jedem Bissen, den meine Freunde mir aufgedrängt hatten, übel geworden.

Am Abend des sechsten Tages seit Grobiere erreichten wir Ebistal und es war hier, dass ich zum ersten Mal wieder mit den anderen sprach.

„Nein!“, sagte ich entsetzt zu Allira.

„Aber, Tir“, sagte sie, inzwischen nannten mich alle nur noch bei meinem Spitznamen, „willst du dir es nicht wenigstens einmal anhören?“

„Ich will kein Lied über mich hören, egal, wer es geschrieben hat, oder ob es gut ist! Verstehst du das denn nicht?“

Wie sie überhaupt auf die Idee hatte kommen können, ein Lied über mich zu schreiben, verstand ich nicht. Ich wollte nicht hören, wie sie mich in den Himmel lobte und noch einmal unseren Kampf gegen die Kurbabus erwähnte.

Die Magie der NamenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt