„Namen haben Macht. Manche sind so gefährlich, dass wir es nicht wagen, sie laut auszusprechen oder sie auch nur zu flüstern, aus Angst ihre dunkle Magie zu wecken. Nur Narren fürchten sich nicht vor einem Namen."
An meinem ersten Morgen in Himmelstor erwachte ich mit neuer Energie. Über Nacht war mir endlich klar geworden, dass die Antworten auf all meine Fragen nun zum Greifen nahe waren. Zwar wusste ich bislang nicht, wer mein Feind war und mich tot sehen wollte, aber zusammen mit meinen Freunden würde ich jedes Problem bewältigen und endlich die Wahrheit über meinen Namen erfahren.
Meine gute Laune schien ansteckend zu sein, denn beim Frühstück lachten wir wie Nummern und spielten uns gegenseitig kleine Streiche. Zum Glück hatten wir wieder ein privates Speisezimmer, sonst hätte es wohl schiefe Blicke gehagelt, aber keiner von uns konnte seine Aufregung verbergen, nun endlich das große Namensarchiv zu sehen.
Als wir nach dem Frühstück durch die Straßen gingen, war Rustan der einzige, der nicht neugierig und staunend durch die Gegend starrte. Mit einer Hand auf dem Schwertgriff begleitete er uns zum Büro eines Nivian, wo ich meinen Brief an Gerunder aufgab.
Das große Namensarchiv lag auf der dritten Terrasse von unten, was bedeutete, dass wir zwei Terrassen hinaufklettern mussten. Ich fragte mich, wie die Bewohner von Himmelstor die Höhenunterschiede in der Stadt jeden Tag bewältigten. Ob sie sich daran gewöhnt hatten? Oder hielten sie sich überwiegend nur auf einer Terrasse auf?
Auffällig war, dass die Terrassen anscheinend verschiedene Funktionen erfüllten. Ganz unten lag der Hafen zusammen mit den Lagerhäusern und Geschäftshäusern der Ipsos, Deradas und anderen Händlern.
Auf der Terrasse darüber hatten sich viele kleine Geschäfte angesiedelt, die direkt oder indirekt mit dem Hafen zu tun hatten. Hier fanden wir auch den Nivian, der Gerunders Brief transportieren sollte.
Und auf der dritten Terrasse dominierten die öffentlichen Gebäude. Hier befanden sich das große Namensarchiv von Himmelstor, die Erbverwaltung, das Rathaus, das Gerichtsgebäude, das Gefängnis und viele weitere größere und kleinere Ämter.
Das größte Gebäude auf dieser Ebene war das große Namensarchiv, das seinen Namen zu Recht trug. Es war riesig und bestand aus vielen Stockwerken über und unter der Erde und unzähligen Gebäuden. Da das Namensarchiv jedes Jahr wuchs, wurde auch momentan wieder angebaut und ein neuer Gebäudeflügel wurde gerade ausgehoben.
„Beeindruckend", musste selbst Rustan zugeben, der bislang als einziger von uns noch nicht mit offenem Mund auf etwas gezeigt hatte.
Der Besuchereingang des großen Namensarchivs war zum Glück nicht schwer zu finden. Das ganze Gelände, auf dem das Archiv stand, war nämlich von hohen Zäunen und Wachtürmen umgeben. Nur ein einziges großes Tor bot Besuchern Einlass.
Die Grekasols unter der Leitung eines Pollianders beobachteten uns misstrauisch, als wir näher kamen. Ich wusste nicht, woran sie sahen, dass wir bewaffnet waren. Der Polliander kam uns entgegen und musterte Rustan eindringlich.
„Biras Polliander", stellte er sich vor.
„Rustan Polliander."
Wie auf ein unsichtbares Zeichen hin lächelten sich die beiden Krieger plötzlich an.
„Deine Schützlinge?"
„Ja, zwei von ihnen. Und zudem meine Freunde", sagte Rustan.
„Ich muss dich nicht darauf hinweisen, dass Kämpfen auf dem Gelände des großen Namensarchivs streng verboten ist, oder? Ich würde dir ungern die Waffen abnehmen müssen", sagte Biras Polliander ernst.
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Die Magie der Namen
FantasyIn einer Welt, wo nur der Name darüber bestimmt, wer du bist, welchen Beruf du ausübst, ob du Vermögen hast und zu welcher Dynastie du gehörst, ist der Name Macht und Magie zugleich. Der Außenseiter Nummer 19 aus dem kleinen Ort Tummersberg träumt d...