Kapitel 2: Gesprächskonsum

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Zugegeben hat es mir in der Vergangenheit total weh getan, wenn ich sah, dass Nachrichten von mir gelesen wurden aber ich keine Antwort erhalten hatte. Man selbst denkt über seine Worte nach, überliest nochmal seine Worte und anstatt sein Leben weiterzuleben und die Sache abzuhaken, verfasst man eine weitere Nachricht aus der die ganze Verbitterung rauszuhören ist. ,,Störe ich?''

Ich habe es nie verstanden, wie man auf sozialen Medien Nachrichten lesen kann, ohne darauf zu antworten. Wenn ich das mit echten Gesprächen vergleiche, erhielt man doch wenigstens eine Antwort. Das ist doch total respektlos. Diese Ansicht habe ich jahrelang vertreten. Binnen weniger Sekunden antwortete ich immer auf die verschiedenen Nachrichten, bis ich selbst bemerkte, wie ich mich überfordert fühlte. Mein Herz klopfte schnell, ich fühlte mich erschöpft und Nackenschmerzen machten sich immer mal wieder bemerkbar.

Pro Tag bekomme ich Nachrichten von ungefähr 30 unterschiedlichen Personen, was gar nicht viel klingen mag. Nun stell dir aber mal vor, du brauchst ca. zwei Minuten zum Lesen und Antworten der Nachrichten. Plötzlich fehlt dir eine ganze Stunde deines Tages. Ich verstand, weshalb Menschen meine Nachrichten ignorierten, einfach, weil diese Nachrichten für sie keine Priorität aufwiesen. Das ist traurig zu wissen und tut im ersten Moment weh, doch wenn man selbst in der Situation ist, macht man nichts anderes. Man filtert. Wir sind Menschen, keine Chatbots.

Das wesentliche Problem an diesen vielen Nachrichten ist, dass es nur eine falsche Reaktion braucht, um eine minutenlange Auseinandersetzung im Messenger zu verursachen. Dabei soll Social Media doch vieles erleichtern, oder? Ehrlich gesagt, glaube ich, dass viele von uns süchtig nach diesen kleinen virtuellen Briefen sind. Und wenn ich noch ehrlicher bin, bin ich es auch.

12.01.2020

Ich war Besitzer einer Datingapp und im Gegensatz zu vielen gescheiteren, vorherigen Versuchen, schien dieses neue Profil Erfolg zu haben. Ganze zwölf Matches konnte ich aufweisen. Ich textete begeistert mit den unterschiedlichen Personen. Die Gespräche liefen ziemlich ähnlich ab, man tastete sich etwas ab, fragte nach Hobbys und Interessen. Als ich eine Stunde später wieder am Handy war, konnte ich mich kaum mehr an die einzelnen Gespräche erinnern. Ich verwechselte sogar Hobbys meiner Chatpartnerinnen. Das war absolut peinlich. ,,Warst du heute mit deinem Pferd draußen?", fragte ich. ,,Ich habe doch gar kein Pferd.", antworte sie. Peinlich berührt, versuchte ich mich irgendwie aus der Affäre zu reden, doch spätestens jetzt wusste ich, dass mein Gehirn mit Reizen überflutet war. Das Kennenlernen war doch gar nicht mehr authentisch. Ich schloss die App und schaute auf neue Benachrichtigungen der anderen Messengerapps. ,,Wie geht's dir?'', fragte eine Nummer, die ich nicht eingespeichert hatte. Dies war meistens ein Indiz dafür, dass mich Gespräche dieser Art nervten und ich deshalb nicht den Sinn darin sah, diese Nummer unter meinen Kontakten einzuspeichern. Auch ich begann zu filtern, antwortete Stunden später, einfach weil ich überfordert war.

Was viele vielleicht nicht verstehen, ist, dass Nachrichten kein Gespräch im echten Leben ersetzen werden. Die Menschen versuchen es immer wieder aber Nachrichten sind nur eine eindimensionale Kommunikation mit sekundenlanger Verzögerung der Antworten. Nicht mal mehr Emotionen stecken in diesen Zeilen.

Erschöpft nahm ich auf meiner Couch platz. So richtig glücklich war ich nicht. Ich fühlte mich müde und irgendwie niedergeschlagen. Die vielen Nachrichten setzten mir zu. Ich schaute nochmal durch die einzelnen virtuellen Gespräche. Viele negative Nachrichten erreichten mich an diesem Tag. Doch es waren nicht meine Probleme. Sie wurden nur zu meinen, weil ich es zugelassen habe und sie zu meinen gemacht habe, indem ich den ganzen Tag darüber nachdachte. Ich war ein Filter negativer Nachrichten und das, obwohl es mir persönlich gar nicht schlecht ging.

Das musste aufhören. Und so begann ich Kontakte aus meinem Handy zu streichen, einfach, weil diese Menschen keine Freunde waren, sondern höchstens Schreibbekannschaften. Klar brauchen diese Menschen Aufmerksamkeit. Das Problem ist nur, dass ich jahrelang das Auffangbecken negativer Nachrichten war und nicht für jeden Menschen da sein kann. Ich habe auch Gefühle. Ich habe auch das Recht auf Freizeit und stillen Momenten. Ich möchte mich manchmal auch auskotzen. Und das kann ich eben nur bei meinen Freunden, die ich durch diese vielen Nachrichten mit unbedeutsamen Kontakten vernachlässigt habe.

Denn am Ende des Tages habe ich nur 24 Stunden Zeit. Und diese sollte so positiv, wie möglich sein. Auch wenn ich Menschen gerne helfe, ich kann es nicht jede Minute tun. Denn am Ende bestimmt mein Gesprächskonsum, was ich denke. Und wenn mich viele positive Nachrichten erreichen, habe ich positive Gedanken. Wenn ich viel negativen Kontakt habe, geht's mir auch dementsprechend. So einfach ist das.

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