Kapitel 4: Verlorenes Gesprächspotenzial

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Eine neue Nachricht erreicht mein Handy. Sie ist von meinem Vater. ,,Hat sich die Versicherung schon gemeldet?" Schnell antworte ich: ,,Nein noch nicht." Als Antwort bekomme ich ein ,,Okay" zurück. Die Konversation endet. Ein Gespräch, welches uns beiden vielleicht zwei Minuten unseres Lebens gekostet hat. Doch ich sehe da noch einen weiteren Verlust. Ich sehe meinen Vater jeden Abend und wir beide sind häufig erschöpft und haben so viele Gedanken, die in unserem Kopf kreisen. Immer wenn wir abends aufeinander treffen, haben wir das Problem, dass wir keine Gesprächsthemen haben, einfach, weil wir ungeschickt miteinander kommunizieren. Ich habe Angst meine Liebe durch die Kommunikation zu zeigen, er hat Angst mich zu verletzen und von sich weg zu stoßen, weil er ebenfalls weniger Zeit mit mir verbringen darf, als es noch damals der Fall war. Die Lösung von uns beiden lautet also, lieber weniger zu kommunizieren, als etwas Falsches zu sagen. Und jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, merke ich, wie lächerlich das eigentlich ist.

Aus diesem Grund genieße ich unsere seltenen, langen Gespräche, die nicht das Grundthema Kritik beinhalten, sondern ein lockeres Gespräch über die Welt und unser Wohlbefinden. Es ist wirklich schade, dass er durch Telefonate und Nachrichten unser Gesprächspotenzial am Abend verringert. Er holt sich meistens Vorabinformationen ab und verbraucht somit das mögliche Gesprächsthema des Abends. Ich mache ihn aber keinen Vorwurf. Er macht sich Sorgen. Er ist schließlich mein Vater.

Fernab von Familiengesprächen fällt mir das ebenso bei Freundschaften auf. Wir Menschen werden immer ungeduldiger und wollen am liebsten Mitteilungen unserer Freunde als Breaking News bekommen. Da gibt es kein geduldiges Abwarten bis zum nächsten Treffen. Man fühlt sich manchmal sogar vernachlässigt, wenn man nicht als erste Person die neusten News gehört hat. Ich habe eine beste Freundin und sehe sie vielleicht einmal im Monat. Früher haben wir uns jeden Tag gesehen, doch kaum wird man erwachsen, steckt man in Beziehungen, hat mehrere gute Freunde und der Beruf nimmt einen die meiste Zeit weg. Im Gegensatz zu anderen Bekanntschaften melde ich mich bei ihr nur noch über den Messenger, wenn ich etwas wirklich Wichtiges kommunizieren muss. Wir kommen damit gut zurecht, denn wenn wir uns treffen, vergeht die Zeit, wie im Flug, einfach, weil wir uns austauschen können, Gesprächspotenziale ausnutzen und Informationen nicht über Messenger eingeholt haben, sondern über ein echtes Gespräch im echten Leben.

Konträr dazu agiert mein einer Kumpel. Er hat momentan so viel Langeweile in seinem Leben, sodass er mir auch mitteilen würde, wenn das Nudelwasser übergekocht ist. Wenn wir uns sehen, reden wir über Themen, die wir bereits im Messenger besprochen haben. Aus den Treffen nehme ich meistens keine neue Erkenntnis mit. Wenn man so möchte, werde ich zeitlich doppelt mit dem Inhalt belastet, ohne wirklich vorangekommen zu sein. Aus diesem Grund habe ich mich entschieden die Kommunikation einer besonderen App (ich weiß nicht, ob man hier Werbung markieren müsste) mit einem grünen Symbol auf das Minimum zu reduzieren und lieber zu telefonieren oder Sprachnachrichten auszutauschen. (wobei das ebenso ein Zeitdieb ist, aber dazu kommen wir noch, versprochen!)

Ich bin immer seltener auf der App. Denn antwortest du seltener, dann melden sich auch die Menschen weniger. Die Kommunikation lebt also von dem Austausch von Reaktionen. Wenn eine Seite der Kommunikation also ruhiger wird, wird es die andere ebenso. Und was soll ich sagen, irgendwie funktioniert es von selbst, dass sich Menschen nur noch mit wichtigen Anliegen melden und ihr Gesprächspotenzial für das nächste Treffen mitnehmen.

An dieser Stelle möchte ich vielleicht eine schreckliche Wahrheit aussprechen. Wenn ich mich mit einem Menschen treffen möchte, dann möchte ich, dass das Treffen Vorteile bringt. Das kann einerseits sein, sich gegenseitig zu inspirieren, auszutauschen, füreinander da zu sein oder ein geiles Essen zu zelebrieren. Es gibt viele Vorteile. Sollte das Treffen aber nur aus dem Aufwärmen der Nachrichten des Messengers bestehen, gewinnen wir beide nichts davon. Das Treffen hat als Basis also einen Zwang, in welchem jegliches Gesprächspotenzial schon im Voraus verbraucht wurde. Wir verschwenden unsere Zeit und hätten vielleicht etwas Anderes, Neues erleben können, was unser Leben voranbringt, statt Altes nochmal aufzuwärmen.

Also Leute, denkt an das Gesprächspotenzial! Treffen sollen doch magisch bleiben. Kommuniziert nur das Wichtigste oder denkt ihr, Datenkraken, wie die Apps, wollen wirklich wissen, dass ihr euch letzte Nacht übergeben musstet? 

Ist das noch Kommunikation?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt