Kapitel 6: Wiedergeben, statt erleben

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Wenn ich mir so die Posts und Videos auf den sozialen Medien anschaue, fällt mir auf, dass ich viele dieser Inhalte in meinem Kopf speichere und in Gesprächen wiedergebe. Gefallen sie mir sogar ausgesprochen gut, teile ich sie sofort oder zeige sie Freunden, wenn ich sie treffe. Es kommt sogar vor, dass ich mir Videos doppelt anschaue, weil ich einfach den Moment mit der Person neben mir teilen möchte. Auch das ist eigentlich pure Zeitverschwendung, da ich aus einer doppelten Wiedergabe keine neuen Informationen mitnehme.

Und ich glaube, das ist ein springender Punkt in unserer heutigen Kommunikation. Wir reden mehr über Dinge, die andere Menschen erlebt haben und auf sozialen Medien teilen, statt einfach selbst Dinge zu erleben und diese Erlebnisse in Gespräche zu verpacken. Wir werden Kommentatoren von dem Leben anderer, statt unseres aktiv zu leben. Falls du diese These überprüfen möchtest, solltest du bei deinem nächsten Gespräch mal darauf achten, wie häufig die Person über andere Menschen und andere Sorgen redet.

Ich höre mir sehr gerne Informationen zu dem Leben anderer an. Wenn ich jedoch einen Menschen treffe, möchte ich mit ihm Zeit verbringen und teilen und mich nicht so fühlen, als würde irgendwo noch eine dritte Person neben uns gehen, die gar nicht mit uns verabredet war. Über andere Menschen zu sprechen, ist sowieso so eine Sache, die ich nie verstehen werde, die ich dennoch trotzdem selbst mache. Auch wenn ich unsere Gesellschaft so häufig kritisiere, bin ich manchmal kein Stück besser. Die Texte dienen also ebenso der Selbstreflexion.

,,Hast du schon gehört, was X wieder gemacht hat?" Durch Gespräche wie solche weiß ich zwar mehr über X Bescheid aber weniger von meinem Gegenüber. Dabei liegt mir das Wohlbefinden von ihm doch viel mehr am Herzen, als irgendwelche Infos zu einer Person, die ich seit Monaten nicht mehr gesehen habe. Doch warum tun wir das so häufig?

Ich glaube das liegt daran, dass wir nicht über unsere Gefühle und Gedanken sprechen möchten. Wir laufen in diesen Phasen von ihnen weg, schauen auf das Leben anderer und nehmen uns das Recht raus, dieses zu kommentieren, obwohl unser Leben ebenso verkorkst läuft. Ist das fair?

Ich habe deshalb viel mehr Respekt vor Menschen, die ihr Leben auf die Reihe bekommen haben, obwohl es viele Gegenstimmen oder ,,Kommentatoren" gab und sie sich davon nicht beeinflussen lassen haben, als vor Menschen, die motiviert und unterstützt wurden. Stell dir mal vor, du möchtest einfach nur in Ruhe in deinem Leben klarkommen und sorgst dich schon genug um deine Zukunft und dann kommen Menschen, die du nicht kennst und die dich gar nicht richtig kennen. Dennoch hörst du von ihnen Kommentare und sie geben dein Leben wieder, obwohl sie nicht einmal Teil davon sind und waren. Klingt das fair?

Da diese Menschen eben keine Bedeutung in deiner Vergangenheit und Gegenwart haben, sollten sie ebenso keine Bedeutung in deiner Zukunft haben. Stell dir vor, ich picke mir einen Menschen aus einem fremden Land raus, der ein Foto von dir bekommt und er soll dich beurteilen. Ist es dir wichtig, wie ein Fremder dein Äußeres empfindet? Du kennst ihn noch nicht einmal und ihr werdet euch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ein einziges Mal im Leben begegnen.

Wozu ich also aufrufen möchte, ist aktiv dein Leben zu leben und ebenso andere Menschen ihr Leben leben zu lassen. Jede Sekunde, die du mit der Wiedergabe von Momenten anderer Menschen verbringst, ist eine verbrauchte Sekunde deines Lebens. Das mag wenig klingen. Wenn am Ende deines Lebens aber die Jahre gefühlt schneller schwinden, wirst du diese Sekunden bereuen. Verschwende also deine Zeit nicht mit konsumieren von Inhalten, sondern erschaffe eigene!

Ich werde das ebenso lernen müssen.

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