Mit den Gedanken allein

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Henry stolperte in den Raum, im Schwitzkasten eine kleine Gestalt, die verzweifelt um sich schlug. Er warf die Person über seine Schulter und ließ sie dort weiterstrampeln. Allerdings schien Henry Mühe zu haben, die Person zu halten, so sehr schüttelte sich diese.
Ich zog die Augenbraue hoch.
"Boss, hier ist ein Spion. Ich hab ihn erwischt, als er um das Fabrikgebäude geschlichen ist. Was sollen wir mit ihm tun."
"Zeig her.", murmelte ich.
Henry schmiss die Person unsanft auf den Boden und hob den Kopf an, das diese gezwungen war, mich anzuschauen.
Die schwarze Mütze rutschte vom Kopf und ich schaute in zwei helle, leicht grünlich schimmernde Augen. Sie kamen mir bekannt vor, und doch hatte ich sie noch nie gesehen. Dunkle Haare kamen zum Vorschein.
Ich drehte mich zu Mary, die ungeduldig am Schreibtisch stand.
"Geh. Ich werde nachher kommen. Henry, du auch. Das erledige ich.", befahl ich und grinste. Mary schaute das Mädchen beleidigt an und verließ den Raum, Henry ging schweigend. Die Tür viel ins Schloss.

"Du du du...", brummte ich,
"Wer bist du?"

Die junge Frau presste die Lippen zusammen und schwieg. Sie schaute an mir vorbei.

"Ahh... nicht wegschauen. Das ist unhöflich. Das weißt du doch!", ich war immer lauter geworden.
Keine Reaktion.
"Soso... du möchtest also nichts sagen. Ich verstehe.", lächelte ich.

"Weißt du, was mit Spionen passiert?", ich zückte ein Messer, "Sie verlieren ein Ohr...", erzählte ich leise.

Sie erwiderte nichts.

"Nicht sehr gesprächig, was?", grinste ich, und stieß sie auf den Boden. Ich mochte es nicht, wenn jemand keine Angst vor mir hatte. Dann beugte ich mich über sie und strich ihre Haare aus dem Gesicht.
"Du erinnerst mich an jemanden...", überlegte ich.
Sie kam mir bekannt vor und das verunsicherte mich. Woher sollte ich dieses Mädchen kennen? In meinem Kopf spielten sich verschiedene Bilder ab, woher ich sie kennen könnte. Eine frühere Affäre? Bestimmt nicht. Ich beließ es dabei und überlegte erstmal nicht weiter. Wichtiger war, weshalb das Mädchen hier war und herumschlich.
Ich merkte, dass sie mir nichts mitteilen würde, zumindest nicht heute. Warum musste man Leuten immer erst wehtun, bevor sie überhaupt mit einem redeten?
Ich seufzte. Eigentlich hatte ich im Moment gar keine Nerven für sowas.
"Henry!", rief ich ungeduldig. Ich hatte im Moment andere Dinge im Kopf, als mich mit der jungen Frau zu beschäftigen.
"Bring die Frau nach unten. Falls sie sich wehrt, töte sie."
Der braunäugige Mann mit den harten Gesichtszügen nickte und zog die Frau hoch, um sie wegzubringen. Sie schien es über sich ergehen zu lassen. Vielleicht hatte ich in ein paar Tagen für sie Zeit. Wenn nicht, würde jemand anders sie beseitigen. Nutzlose Gefangene konnte ich nicht brauchen.

Sicht Shadow

Dieser Henry oder wie er hieß zerrte mich unsanft eine Treppe runter. Ich wehrte mich nicht, denn ich traute ihm zu, mich bei einem Fehltritt zu töten und das käme mir sehr ungelegen.
Eigentlich war ich nur hier gewesen, um zu sehen, wie es dem Joker, Jack, ergangen war. Ich wollte nicht einfach in sein Leben treten, ohne zu wissen, auf welche Art und Weise er sich verändert hatte. Wie ich gerade am eigenen Leib erfahren musste, war er wie damals. Ich wusste nicht, wie ich so doof sein konnte, mich erwischen zu lassen. Aber plötzlich war dieser Henry da gewesen, als ich unbemerkt durch eine Hintertür schleichen wollte. Dann hatte ich ihn kurzerhand gesehen. Und er mich auch. Er hatte mich nicht erkannt. Einerseits gut, andererseits war ich etwas enttäuscht. War ich wirklich gar nicht wiederzuerkennen, oder einfach aus seinem Kopf verbannt?
Henry schubste mich durch eine kleine Tür in einen kleinen Raum, der einer Abstellkammer ähnelte. Ich fiel gegen ein Metallrohr, von denen sich viele über die niedrige Decke zogen. Henry zog mich hoch und fixierte meine Hände hinter dem Rücken mit Handschellen, die er durch eine Kette oben an einem Metallrohr festkettete. Ich konnte gerade stehen, mich allerdings nicht setzen. Ich hoffte, der Joker würde sich bald hier blicken lassen, um nicht länger in dieser Position verharren zu müssen. Henry hatte den Raum noch nicht verlassen. Er grinste mich an. Ich kniff die Augen zusammen.
"Was meinst du, hm? Willst du mir nicht verraten, wer du bist?"
Ich ahnte Schlimmes. Der Joker würde sich hier vermutlich erstmal lange nicht blicken lassen und ich musste mit einem seiner Lakaien vorlieb nehmen.

Ich schnappte nach Luft. Das eiskalte Wasser, was er mir eben ins Gesicht geschüttet hatte, brannte auf der Haut. Ich spürte seine Blicke. Er schien schon jetzt Spaß zu haben. Das Wasser durchnässte meine Kleidung und rann mir kalt den Körper hinunter. Ich tröstete mich mit dem Gedanken, dass der Joker, wenn er wollte, noch viel grausamer sein konnte, und das auf psychische Weise. So machten mir physische Schmerzen nicht so viel  aus.
Damals, als ich mich schon einmal in Jokers Gefangenschaft befunden hatte, war alles viel schlimmer gewesen. Ich hoffte, das wiederholte sich jetzt nicht. Vielleicht würde er mir nicht einmal glauben, wenn ich meine richtige Identität preisgäbe.
Aber wusste ich das überhaupt selbst? War ich mir wirklich sicher, wer ich war, und wer ich nun bin? Isabella Wayne, zu der ich doch fälschlicherweise gemacht wurde, oder  die Geliebte des Jokers, die ich gewesen war? Oder war ich doch eigentlich ein ganz neuer Mensch, der im Inneren kaputt, und deshalb nichts von all dem war? Ich war mir selbst unsicher, was ich sagen sollte, wenn er nach meinem Namen fragen würde. Aber dieser Moment schien ohnehin noch entfernt.
Die Tür war zu. Ganz in Gedanken hatte ich nicht bemerkt, wie Henry den Raum verlassen hatte. Ich kannte diesen Mann nicht von damals. Vermutlich war er recht neu. Umso schlechter für mich. Ich ließ den Kopf hängen. Langsam wurde die Position, in der ich mich befand, unangenehm. Vermutlich ein Mittel, um mich schneller einknicken zu lassen, im wahrsten Sinne des Wortes.
Was sollte ich aus dieser Situation mitnehmen? War es gut, dass es so gekommen war, oder vielleicht mein Todesurteil, wenn der Joker mich nicht erkennen, und mir nicht glauben würde? Hoffentlich musste ich nicht zu lange in Ungewissheit hier unten verbringen, wo mich keine Menschenseele hören konnte. Es hatte mich sprachlos gemacht, als ich ihn nach so langer Zeit gesehen hatte. Ich war nicht in der Lage, etwas zu sagen.
Ein leiser Seufzer entwich mir. Warum machte ich mir überhaupt Hoffnung? Ich kannte den Joker gut genug um zu wissen, dass er sich hier lange nicht blicken lassen würde, denn ich war uninteressant und vermutlich wenig unterhaltsam für ihn.

Weil ich dich liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt