Kapitel 4

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Mein Blick erstarrte. Nein, nicht nur mein Blick. Auch mich konnte man gerade mit einem ausgestopften Vogel verwechseln. Der Falke, der mich gerettet hatte war mein Onkel?! Ich wusste nicht ganz, was ich gerade fühlen sollte. Das alles ging mir zu schnell.
"Gerne kannst du unsere Schule besuchen. Wir sind zwar sehr wenige, aber das sollte kein Problem sein. Vertraust du mir?", redete Liam weiter und ich brachte nicht mehr als ein unsicheres Nicken zustande.
"Und... du bist sicher, dass...?" Ich brauchte nicht weiterzureden, da sein Blick mir alles verriet.
"Komm, ich bring dich in die Halle.", meinte er und deutete mir mit seinem Schnabel, ihm zu folgen. Und das tat ich auch. Wie ein Gefangener stalkste ich hinter ihm her und wie so oft in letzter Zeit sah ich mich um, als befände ich mich in einer Fantasy-Welt.
Wir kamen in den breiten Gang, der nach Links führte. Er war nicht sehr lang, wir gingen höchstens zehn Meter geradeaus.
"Diesen Weg nennen wir 'Höhlenstraße'. Warum, wissen wir auch nicht so genau. Eine Schwalben-Wandlerin hat diesen Ausdruck gern benutzt und irgendwamn nannten alle diesen Gang 'die Höhlenstraße'." Mein Onkel lachte leise und blieb nach einigen Augenblicken am Ende des Gangs stehen.
Vor uns führte eine in den Fels gemeißelte Treppe in einen riesigen, sehr hohen Raum, dessen Decke aus einer Glaskuppel bestand. Überall wuchsen Eichen, Kiefern und Sträucher - sie nahmen etwa die Hälfte der Halle ein.
In den Wänden befanden sich so etwas wie Terassen, die mit weiteren Steintreppen verbunden waren. Jede dieser Terasse war etwas anders eingerichtet, aber auf fast allen standen Tische und Stühle aus altem Kiefernholz.
Ganz oben waren links und rechts weitere Höhlen zu finden, dessen Lücken ebenfalls mit Glas bedeckt waren. Vermutlich die Nester der Schüler. Oder wie ein Mensch sagen würde: "Schlafräume" oder "Zimmer".
Liam grinste mir zu, dann wandte er sich kurz ab und einen Augenblick später begann sich sein Körper zu verformen.
Ein splitternackter Mann mit goldenen, klugen Augen und einem kräftigen Körperbau stand vor mir. Seine Haare waren blond und sahen ziemlich strubbelig aus.
Als er sah, dass ich ihn musterte, griff er sich schnell ein paar Klamotten und streifte sie sich hastig über.
"Tut mir leid.", murmelte ich etwas verlegen, aber er machte nur eine wegwerfende Handbewegung und nun war er es, der mich musterte.
"Willst du es auch versuchen?", fragte er mich ernst, aber seine Stimme klang auch etwas amüsiert.
"Äh, na gut. Was muss ich tun?" Ich versuchte, meinen Körper zu verändern und kniff angestrengt die Augen zusammen.
"Nein, nein. So wird dir höchstens schwindlig.", lachte Liam und reichte mir das Bild eines lachenden Mädchens, das ich mit dem Schnabel auf den Boden legte.
"Sieh dir das ganz genau an. Spürst du was?", fragte mein Onkel ruhig.
"Äh, so ein leichtes Kribbeln, glaub ich."
Er nickte. "Jetzt schließ deine Augen und lass es deinen ganzen Körper, wie Blut durchfluten. Kämpfe nicht dagegen an, bleib einfach ganz locker."
Ich folgte seinen Anweisungen und versuchte, das Mädchen von dem Bild vor meinem inneren Auge zu behalten.
Und tatsächlich! Ich spürte, wie ich größer wurde, wie meine Federn verschwanden und wie meine dünnen Klauen zu Beinen und Füßen wurden. Und dann hustete ich. Meine Kehle verengte sich, ich röchelte, wie ein Kettenraucher und immer wieder musste ich husten.
"Keine Sorge, das geht bald wieder weg.", beruhigte mich Liam und schlug mir auf den Rücken, was erstaunlicherweise sehr gut tat.
"Danke.", sagte ich trocken und meine Stimme hörte sich ziemlich krächzend an. "Ich... Ich kann ja..." Ich brabbelte irgendwas, weil ich so fastzinierd von der Stimme war und mit jedem Ton, mit jedem Wort hörte sie sich weniger heiser an.
"Sehr gut." Mein Onkel nickte mir aufmundernd zu, reichte mir ebenfalls ein paar Klamotten und nickte in Richtung Treppe, die wir zusammen hinabstiegen. Als Mensch war ich so viel schneller am Boden unterwegs, als als Vogel und ich konnte so viel mit meiner Größe und den Fingern anfangen, dass ich schon jetzt wusste, ich wollte es dabei belassen, wie es gerade war.

Etwas kürzer, als die anderen Kapitel, aber naja. Trotzdem ganz gelungen xD

Falkenfeder - Woodwalkers FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt