Kapitel 9

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Jaces Blick galt niemand anderem als mir. Freundlich lächelnd sah er mich an, und ich erwiderte seinen Blick.
Ich war einfach froh, dass er nicht sauer auf mich war.
"So, da jetzt alle da sind, würde ich gerne mit dem Unterricht beginnen.", sagte unser Lehrer laut und reckte den Hals. Die kleine Klasse verstummte und er fuhr mit einem breiten Lächeln auf dem Gesicht fort: "Zunächst einmal möchte ich euch Ruby vorstellen. Sie ist gestern hier eingetroffen und geht absofort mit euch in eine Klasse."
Er deutete mir, aufzustehen, was ich dann auch tat. Zögernd nickte ich meinen neuen Mitschülern zu und setzte mich so bald wie möglich wieder.
"Ach ja, ich bin John Sunrock. Hätte ich fast vergessen." Mein Lehrer lächelte mir zu, dann wandte er sich wieder an die ganze Klasse. "Wie wir letzte Stunde herrausgefunden haben, erfand die Stadt Athen quazi die Politik. Zwar nicht ganz, wie wir sie heute kennen, aber es war ein weiterer, erforderlicher Schritt..."
Mr Sunrock erklärte uns etwa bis zum Ende der Stunde, wie und wo in Athen gewählt wurde und wer überhaupt wählen durfte. Ich schien wirklich Interesse zu zeigen, denn er warf mir, bevor wir zur Verwandlungsstunde in die Halle gingen, einen anerkennenden Blick zu.
Dort angekommen schmissen die meisten Schüler ihre Taschen auf den Boden und spielten ein Spiel, bei dem eines der Kinder jemand anderen antippen musste. Dieses Spiel nannten sie "Fangen".
"Hey, wollt ihr mitspielen?", flötete eine aufgedrehte Stimme in meinem Kopf und ehe ich begreifen konnte, wer da gesprochen hatte, landete ein Streifenhörnchen auf meiner Schulter.
"Ich bin Terry. Alles klar bei euch?" Das Hörnchen musterte uns, wobei sein Blick zwischen mir und Luna hin und her flitzte.
"Ja.", antwortete Luna aus dem Hintergrund und lächelte dem Streifenhörnchen zu. "Und bei euch?"
Terry hüpfte von meiner Schulter auf die von Luna und schnüffelte an ihrem Haaren.
"Jep. Wollt ihr jetzt mitspielen?"
Luna und ich tauschten einen kurzen Blick und nickten dann.
"Toll! Dann bist du, Luna!", kündigte Terry an und flitzte von ihrer Schulter auf den nächsten Baum.
"Feigling!", rief Luna ihm grinsend hinterher, dann rannte sie auf ein unsportlich wirkendes Mädchen mit weizenblonden Haaren zu und brauchte nur ein paar Momente, um es zu "fangen".
"Okay, Emily fängt!", kündigte Terry von oben an und raste in irrem Tempo wieder nach unten.
Das Mädchen, das scheinbar Emily hieß, ließ den Blick durch die Halle schweifen und richtete ihn schließlich auf mich. Aha, sie wollte also mich fangen.
Tatsächlich sprintete sie in einem Bruchteil einer Sekunde genau auf mich zu, aber ich sprang nach hinten, drehte mich flink um und rannte aus ihrer Reichweite. Auch als Mensch war ich ziemlich schnell.
Emily versuchte nicht länger, mich zu fangen und probierte es stattdessen mit Terry, was auch nicht einfacher war. Als er sie auf ihn zukommen sah, raste er direkt wieder den Baum hoch und pausierte dort, bis ein kräftiger Mann mit wuscheligen Haaren und goldenen Augen die Halle betrat. Mein Onkel.
"So, bitte in einen Kreis setzen!", forderte er die Klasse auf und kramte ein Bilderbuch aus seinem Rucksack, bevor er sich auf einen Stuhl in unserem Kreis setzte.
"Guten Morgen.", sagte er beiläufig und ein ebenso gelangweiltes "Morgen." von etwa zehn Schülern kam zurück.
Liam nickte, dann sprach er mit einem Seufzten weiter: "Wir machen heute mit den klassischen Verwandlungen weiter. Nur eine Sache ändert sich: Ihr arbeitet in Zweierteams. Einer von euch versucht sich zu verwandeln, während der andere denjenigen unter Druck setzt. Ich brauche einen Freiwilligen."
Zwei Schüler meldeten sich - Minco und Luna -, der Rest der Klasse beobachtete nur neugierig das Geschehen. Vor allem mir war sicher anzusehen, wie fastzinierd ich von der ganzen Sache war.
"Okay, Minco. Komm her."
Der Spinnen-Wandler stand seltsam langsam auf und schlich lautlos in die Mitte des Kreises.
"So. Bitte verwandeln, du haariges Ding!", kommandierte mein Onkel grinsend und ich beobachtete fasuinierd, wie Minco sich langsam zu ihm umdrehte. Doch er sagte nichts, warf Liam nur einen giftigen Blick zu und kurze Zeit später hockte eine schwarze Witwe auf dem Boden.
Ein Raunen ging durch die Klasse und Terry sprang panisch auf.
Nur Liam blieb ganz ruhig. "Sehr gut. Jetzt findet euch bitte in euren Gruppen zusammen. Also..." Er holte eine Liste aus seinem Rucksack. "Luna und Emily, Terry und Xenia, Ruby und Jace, und Minco macht mit mir zusammen."
Luna stöhnte. "Emily? Die schafft es nicht mal, ein Kleinkind "Baby" zu nennen."
Ich zuckte die Schultern. Anders als sie, war ich sehr froh über meinen Partner. Jace. Ich konnte nur hoffen, dass alles glatt ging.
Wenige Augenblicke stand er mir auch schon gegenüber und winkte mich in eine Ecke der Halle.
"Keine Sorge, ich weiß, dass du noch sehr unerfahren bist.", beruhigte er mich und blieb stehen. "Versuch du es erstmal mit dem unter Druck Setzen."
Ich nickte. "Na, dann mach mal, du Stehpinkler. Los!" Ich verschränkte die Arme vor der Brust, aber Jace schien sich nur ein Lachen zu verkneifen. "Jetzt mach, Winselpfote!"
Er kniff die Augen zusammen, dann wandte er sich von mir ab und sein Körper verformte sich. Jetzt stand ein großer, schneeweißer Polarwolf vor mir.
"Du kannst echt schlecht schauspielern.", bemerkte er und ein amüsiertes Grinsen huschte über seine Schnauze.
"Jaja. Jetzt bin ich dran.", lenkte ich ab und Jace nickte.
Es war wesentlich schwieriger, als erwartet sich unter Kontrolle zu halten und ich war ohnehin kein Naturtalent, was das Verwandeln betraf. Und als Jace dann auf den Vorfall mit Chila einging, funkelte ich Jace - der inzwischen wieder ein Junge war - wütend an. Aber ich schaffte es trotzdem, nach einigen Versuchen, mich zu verwandeln und kam am Ende der Stunde als Falke zurück in den Kreis.
"So, noch einen schönen Tag. Ihr habt jetzt Pause.", verabschiedete mein Onkel sich von der Klasse und schlenderte Richtung Schulleiterbüro.
Ich verwandelte mich zurück in einen Menschen und folgte ihm, ohne auf Luna oder Jace zu warten. Etwas beschäftigte mich schon seit ich wusste, dass er mein Onkel war.

Doch als ich klopfte und den Raum betrat, erstarrte ich. Ein gefährlich wirkender Mann mit schwarzen Haaren und ebenso schwarzer Kleidung stand vor meinem Onkel in der Tür und hielt eine von diesen "Pistolen" in der Hand.
Als er mich bemerkte, richtete er sie hastig auf mich. "Keinen Schritt weiter, oder dein Schulleiter ist tot!", brüllte er. Dann wurde die Pistole wieder auf Liam gerichtet, ein Klicken ertönte und ich kneifte die Augen zusammen. Mein Onkel würde das niemals überleben können...

Falkenfeder - Woodwalkers FanFictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt