Prolog

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Sie waren gefallen. Tief hinab den tosenden Fluten entgegen. Tiefer, nicht tief genug.
Kaltes, dunkles Wasser. Tausende Nadelstiche auf seiner Haut. Will, ein Name, ein Gedanke. Panik stieg in ihm auf. Er begann sich gegen die Wassermassen, die ihn hinab zogen zu wehren. Verzweifelt schoben seine Hände die Fluten beiseite, kämpfte er sich nach oben. Luft. Seine Lungen stießen Jubelschreie aus, als er den Sauerstoff kostete.

Drei wunderbare Sekunden genoss er es frei atmen zu können, dann setzte sein Verstand ein.
„Will", krächzte er, viel zu leise gegen die tosende Wucht des Meeres. Er ließ den Blick schweifen. Endlose graue Wellen mit weißen Kronen.

Er nahm einen tiefen Atemzug, tauchte ab. Es war zu dunkel, als dass er wirklich was hätte erkennen können. Ganze zweimal musste er wiederauftauchen, beim dritten Mal war er nicht mehr allein. Schwer lag Wills lebloser Körper in den Fluten. Zehrte auch ihn herab ins ewige Nass.

Jede Faser seines Körpers schmerzte. Seine Lungen brannten und am liebsten hätte er aufgegeben. Hätte sich einfach treiben lassen, hinab in die Ewigkeit. Wills Körper hielt ihn davon ab. Eine Welt ohne ihn wäre eine bessere, eine Welt ohne Will durfte es nicht geben. Er keuchte, fluchte und kämpfte. Weiter, nicht nachdenken, nur weiter.

Das Ufer kam in Sicht, sein Körper schrie vor Schmerz. Sein Geist trieb ihn an, im Geiste war er immer stark.
Er zog Will die letzten Meter aufs rettende Land. Seine Beine zitterten, als er sich neben den Jüngeren fallen ließ, der noch immer reglos da lag.

Der Sand verfärbte sich rot, als er sich neben Will legte. Die Wellen schlugen gegen die Felsen irgendwo dort oben, stand ein Haus, auf dessen Stufen Dolarhyde seine Flügel aufgespannt hatte. Es schien ihm unendlich weit weg. Der ganze Tag schien weit entfernt zu sein. Wie aus einem anderen Leben.

Er drehte sich zu Will, griff nach dessen Hand. Das Wasser hatte das Blut von seinem Gesicht gewaschen. Er wirkte jünger im Schlaf. Friedlicher.

Den ganzen Tag hatte Will angespannt gewirkt. Wie gerne hätte Hannibal ihn in den Arm genommen und gesagt, dass nun alles gut werden würde. Doch seine eigene Angst hatte ihm im Weg gestanden. Er hatte Angst, was geschehen würde, wenn Will ihn ein weiteres Mal ablehnen würde. So wie er es getan hatte vor vielen Jahren, als Hannibal sich beinahe sicher gewesen war, ihn zu besitzen. Wie oft hatte er sich gefragt, was gewesen wäre, wenn er nie hinter die Lüge gekommen wäre. Wenn er nie Freddie Lounds an Will gerochen hätte.
Selbst als er gewusst hatte, dass Will ihn verraten hatte, hatte ein kleiner Teil seines Selbst, der Teil, der keinerlei Selbstachtung besaß, Will verzeihen wollen. Er wollte ihm verzeihen und mit ihm nach Europa gehen, um dort neu anfangen zu können.

Vielleicht würden sie nun endlich ihren Epilog bekommen. Vielleicht würde nun alles gut werden. Er spürte wie er Lächeln musste bei dem Gedanken, an ein neues Leben. Ein Leven nach dem Tod, nach dem Fall. Ohne Fesseln, in Freiheit, mit Will.

Sie würden... jetzt bald. Er spürte wie seine Gedanken abdrifteten, wie die bleiernde Müdigkeit von ihm Besitz ergriff. Nur kurz, nur ein bisschen Ruhe, dann...

Sein Blick verschwamm, das Blut rauschte in seinen Ohren. Die Wellen schlugen gegen die Felsen, in der Ferne hörte er einen Hubschrauber kreisen. Er hielt Wills Hand, dann erlaubte er sich loszulassen und in die süße Bewusstlosigkeit herab zu gleiten.

A Soft EpilogueWo Geschichten leben. Entdecke jetzt