Die Wohnung lag im Zentrum von Florenz, nah der Wohnung, die er mit Bedelia bewohnt hatte. Es war keine große Wohnung, aber es war ihre. Eine gemeinsame Wohnung in einem neuen Leben. Abends flutete das Licht der untergehenden Sonne ihr Wohnzimmer, ließ ihr Bücherregal in Flammen stehen. Nachts kühlte der Mond die Räume. Tauchte alles in ein kaltes Licht. Die Schriftsteller der Romantik hätten in diesem Licht eine zweite fantastische Welt erkannt. Eine Welt hinter der ihren. Eine Welt in der Will und er nicht zum Scheitern verurteilt waren?
Sie teilten sich ein Bett. Will hatte Alpträume, Hannibal konnte nicht schlafen.
Sie lagen wach und redeten. Vielleicht gewährte der Himmel ihnen doch noch eine zweite Chance. Vielleicht würde er sie nutzen können. Sie hielten einander in diesem neuen Leben. Wenn Will schweißgebadet aufwachte, flüsterte er ihm süße Nichtigkeiten ins Ohr. Wenn Will nicht wusste, wo er war, hielt Hannibal ihn und sagte ihm, dass er Zuhause sei. Zuhause in einem fremden Land, Zuhause in seinen Armen.
Sie besichtigten Florenz. Machten einen Bogen um das Museum, in welchem sie vor Ewigkeiten einander gegenübergesessen hatten.
„Falls ich dich jeden Tag sehen würde für immer. Ich würde mich an diese Zeit erinnern."
Ein Versprechen. Er hatte es gehalten. Er dachte an diesen Tag zurück. War es ein Anfang gewesen oder das Ende? War es von Bedeutung? Sie durchlebten täglich neue Anfänge, durchlebten täglich den Tod eines alten Lebens. Er behielt jedes einzelne gemeinsame Leben in Erinnerung. Er hatte Will in jedem dieser Leben geliebt.
Er führte Will zum Essen aus. Sie sprachen über die Vergangenheit, Will gestand, dass er seine Frau und die Hunde vermisste. Hannibal war nicht eifersüchtig. Er war es gewesen, als Will ihn nach Jahren im Gefängnis besucht hatte. Als er gesehen (gerochen) hatte, dass Will weitergegangen war. Dass Will ein neues Leben begonnen hatte, ohne ihn. Das er in ein warmes Haus eingekehrt war, während Hannibal draußen im Regen stand. Ohne den Gedanken an ihn, dabei war ein Platz in Wills Erinnerungen das einzige, was den Regen abhalten konnte.
„Denk an mich, Will. Sorge dich nicht um mich."
Es hatte wehgetan und aus Eifersucht hatte er sich auf ein Spiel mit den Roten Drachen eingelassen. Im Nachhinein war es ihm beinahe peinlich. Dennoch hatte es sie hergebracht. An einen Ort, der in einem anderen Leben vermutlich ihr und Abigails Zuhause gewesen wäre. Ein Ort an dem sie eine Familie hätten sein können. Nun war es ihr Ort. Keine Familie, nur sie zwei und all ihre gelebten Leben.
Er war nicht eifersüchtig. Melancholisch, weil nicht er es gewesen war, der Will eine Familie hatte geben können, aber nicht eifersüchtig. Sie redeten auch von Abigail. Das Mädchen war lange kein Thema mehr zwischen ihnen gewesen. Es war leichter sie auszuklammern. Es fiel Will leichter ihm zu vergeben, wenn es Abigail nicht gab. So hatten sie sie ausgelöscht, ihr ihre letzte Existenz in der Erinnerung genommen. Es war als hätte es sie nie gegeben. Nun redeten sie von ihr, ließen sie wieder auferstehen. Will ließ die Tränen zu, Hannibal versteckte seine nicht. Sie trauerten um ihr verlorenes Kind (ihr verlorenes gemeinsames Leben).
„Haben Sie elterliche Gefühle, Will?" „Sie nicht?" „Doch."
Sie beerdigten Abigail. Symbolisch, in einem Wald außerhalb von Florenz. Will brachte einen Fliegenfischer Köder. Er hatte Abigail das Fischen beibringen wollen. Sie hatten sie beschützen wollen. Sie hatten beide versagt.
„Nein. Ich weiß wie Monster aussehen. Du bist ein Opfer. Und Will und ich... wir werden dich beschützen."
Eine weitere Lüge, in einem Leben voller Lügen. Eine weitere Lüge, eine der größeren. Am Ende war er nicht besser gewesen als ihr eigener Vater. Ein weiterer Mann, der sie enttäuscht hatte.An Abigails Grab versprach er Will, dass sie es in diesem Leben besser machen würden. Sie beide, zusammen. Will ließ sich von ihm halten. Will reichte ihm seine Hand, als sie den Wald verließen. Es war ein Anfang.
Die Nächte vergingen. Will hatte Albträume und Hannibal konnte nicht schlafen. Sie redeten über die Gegenwart. Über ihre Wohnung, über das Abendessen am nächsten Tag. Sie redeten über Alana und Jack. Wie ihre Leben wohl verlaufen mussten, nun da sie gefallen waren.
Die Nächte vergingen. Die Albträume waren Wills ständiger Begleiter. Hannibal war wach. Sie redeten, redeten über die Zukunft. Zaghaft, schüchtern, leise. Als sei eine (gemeinsame) Zukunft zu gut, um sie sich vorzustellen. Als sei sie zerbrechlich und könnte allein dadurch, dass sie über sie redeten vor ihren Augen zu Staub zerfallen.
Die Tage verlebten sie im Jetzt. In den Nächten redeten sie über das Bald. Mit fester Stimme nun. Je mehr sie redeten, desto stabiler erschien ihnen die Zukunft. Sie war kein flüchtiger Schatten mehr. Sie würde nicht zerbrechen. Es gab sie. Es gab sie für sie beide. Am Ende waren sie zusammen.
Die Nächte vergingen, Wills Albträume blieben. Seltener nun, aber immer präsent. Sie redeten, sie schwiegen, sie hielten einander.
Er ließ Will erzählen. Ihre Geschichte aus Wills Perspektive. Tage und Nächte sprach er kaum ein Wort, hörte einfach nur zu. Sie waren keine glorreiche Geschichte. Sie waren krank, blutig, kaputt. Zerbrochen für die Ewigkeit.
Am Ende blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Splitter ihrer Leben aufzusammeln. Vielleicht hatten sie auseinanderfallen müssen, bevor sie besser wieder zusammengesetzt werden konnten. Vielleicht war es ihre Aufgabe aus den Splittern ihrer Leben ein Neues zu bauen. Eines in dem sie funktionierten. Immer noch zerbrochen, immer noch dysfunktional, aber glücklicher.
„Konnten nicht mit ihm leben. Können nicht ohne ihn leben."
Er konnte Bedelias Stimme hören, als Will seine Erzählung mit ihren Worten schloss. Sein Gesicht war offen, verletzlich. Er legte seine Hand an die Wange des Jüngeren. Sah ihn an, als er ihm versprach, dass sie nicht mehr ohne einander Leben mussten. Nie wieder. Will sank gegen seine Brust.
Ein Schwall der Erinnerung.
„Ich habe dich mich erkennen lassen... mich sehen lassen. Ich habe dir ein seltenes Geschenk gemacht, aber du wolltest es nicht." „Nicht?" „Du wolltest mir mein Leben verwehren." „Nein. Nein. Nein, nicht dein Leben."
Eine Umarmung, ein Messer im Bauch. Blut, ein totes Kind und ein gebrochenes Herz. Die Ruinen eines gemeinsamen Lebens
Er drückte Will fester an sich. Er würde nicht zulassen, dass ein weiteres ihrer Leben so endete. Er konnte es nicht zulassen. Sie würden es nicht überleben. Nicht noch einmal. Also hielt er Will, gab sich ihnen hin. Atmete Wills billiges Aftershave ein (machte sich eine gedankliche Notiz ihm ein neues zu besorgen) und genoss den Augenblick. Sie hatten nur selten Frieden in den Armen des anderen gefunden.
Hier und jetzt bedeuteten sie Frieden. Frieden bedeutete Hoffnung, dass sie heilen konnten. Dass sie lernen konnten miteinander zu leben, damit sie nie wieder ohne einander leben mussten.
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A Soft Epilogue
FanfictionSie waren gefallen. Tief hinab, nicht tief genug. Sie waren auferstanden. Sie hatten gelebt, sie lebten. Tausend Leben. Miteinander, ohne einander. Am Ende waren sie wieder zusammen. A short story by ProfessorLMoriarty Comments are appriciated