Die Welt um ihn herum drehte sich. Alanas Stimme wurde zum Anker, sie führte ihn aus dem Licht in die Dunkelheit. Alanas Stimme ruhig, aber bestimmt. Alanas Stimme immer da.
„Hannibal", Alanas Stimme. Wills Stimme. Jack, Freddie. Die Welt drehte sich. Er in Florenz. Er war in dem Haus auf den Klippen. Er war in Baltimore. Er war in einer Zelle.
„Hannibal", sie riefen ihn. Nein, wollte er schreien, nein.
„Hannibal, konzentrier dich nur auf mich", ihre Stimme. Klar und deutlich. Ihre Stimme, Florenz verblasste. Riss Will mit in einen Strudel aus Farben.
„Hannibal", zum ersten Mal seit Wochen blickte er ihr in die Augen, sah sie. Ihre Augen saßen tief in den Höhlen, dunkle Ringe zeugten von vielen schlaflosen Nächten.
„Alana", seine Stimme kratzte in seinem Hals. Er hustete.
„Hannibal."
Er war zurück in Florenz. Sie saßen im Museum. Das Bild schien auf ihn herab zu blicken. Er kannte das Bild. Sie hatten sich hier das erste Mal wiedergesehen. Er zuckte zusammen, als Will nach seiner Hand griff. Sie trugen keine Ringe.
„Du musst gehen", stellte der Jüngere fest. Ihm blieb nichts als zu nicken.
„Ich erinnere mich an diese Zeit", seine Hand zitterte, als er Wills Gesicht berührte, „Es tut mir so leid."
„Hannibal", Alanas Stimme, „Hannibal bitte. Du dissoziierst."
„Alana", er spürte einen feuchten Hauch auf seinen Wangen.
„Bleib hier", flüsterte sie, „Kehr nicht zurück in deinen Kopf."
Er nickte, blickte sich um. Blieb. Es war die Zelle, die er vor Wochen verlassen hatte. Mit Will. Sie hatten ihm seine Bücher zurückgegeben, seine Toilette, seinen Schreibtisch. Alles, was Alana ihm genommen hatte, als er Will verraten hatte. Der Rote Drachen. Es musste ewig her sein, ein Leben mindestens.
„Warum die Annehmlichkeiten?", er war nicht bereit über alles andere zu reden, „Ich habe versprochen dich umzubringen, Alana. Dennoch stehst du hier, sorgst dich um mich."
„Du bist in meiner Küche gestorben Alana, als du dich entschlossen hast mutig zu sein. Jeder weitere Moment war geborgt. Deine Frau, dein Kind sie gehören mir. Du hast einen Handel für Wills Leben gemacht und dann habe ich Gold für dich gesponnen."
Eine weitere Erinnerung. Ein weiterer Umweg, den sein Leben genommen hatte.
„Ich sorge mich nicht um dich, Hannibal", sagte sie. Sie hatte keine Angst vor ihm. Nicht mehr. „Dein Prozess beginnt in einer Woche. Du bist geflohen, es gab Tote. Ich möchte, dass du dich dafür verantwortest."
„Du willst, dass sie mich für schuldfähig befinden."
Sie nickte. Ihre Augen hatten sich mit Tränen gefüllt. „Du bist schuldig. Will ist tot und gebe dir die volle Schuld."
Alana stellte sicher, dass er blieb. In einer Welt, die ihn nicht wollte. Eine Welt ohne Will. In wenigen Momenten gelang es ihm, zurückzukehren in seinen Kopf. In die Kirche, in sein Behandlungszimmer. Will zündete Kerzen an, saß in dem Sessel. Sie schwiegen, sie redeten. Irgendwas holte ihn immer zurück. Alana, Jack.
Jack kam zweimal in dieser Woche. Bei seinem ersten Besuch sah er ihn einfach nur an. Verachtung manifestiert in seinen Blicken. Hannibal musste sich abwenden.
„Ich weiß, dass Sie ihn auch vermissen, Dr. Lecter", Jack stand zum zweiten Mal vor seiner Zelle. Morgen würde der Gerichtsprozess beginnen.
„Ich habe mich immer gefragt, ob es etwas Menschliches hinter all den Masken ihrer Fassade gibt. Es ist gut zu wissen, dass Sie am Ende auch nur ein Mensch sind."
Jack ging. Alle gingen. Ließen ihn allein in einer Zelle, in einer Welt ohne Will. Er machte sich nichts mehr aus den Tränen, die auf die neuste Zeichnung von Will tropften. Er gab sich dem Schmerz hin, erlaubte sich ihn in sich aufzusaugen. Es machte ihn lebendig (menschlich).
In der Nacht schrieb er Briefe. An Alana, Jack, Margot, Frederick, Bedelia. Er schrieb sogar einen an Freddie Lounds. Er schrieb und fühlte sich lebendig. Für einen Moment ließ er Will zurück, dann ließ er sich von dem Jüngeren einholen. Will saß auf seinem Bett, ließ sich die Briefe vorlesen.
„Was hättest du mir geschrieben?"
„Die Wahrheit."
Er trug einen Anzug zur Gerichtsverhandlung. Der teure Stoff konnte nur schwer verbergen, wie wenig er nur noch wog. Die Krawatte lenkte nicht von den Augenringen ab. Sie übertönte nicht sein eingefallenes Gesicht. Er war unendlich müde. Müde von all den Kämpfen, die er über die Jahre ausgefochten hatte. Kämpfe mit sich selbst, Will, Jack.
Alana saß im Gericht, als er ihr gab, was sie wollte. Er sah sie an, als der Richter ihm nach mehreren Wochen des Prozesses die volle Schuldfähigkeit attestierte. Sie wussten beide, was dies bedeutete. Sie besaß den Anstand den Blick abzuwenden.
Die Briefe lagen in seiner Zelle. Sie würden sie finden, dessen war er sich sicher. Weder Alana noch Jack kamen ihn besuchen. Nicht einmal Freddie Lounds ließ sich blicken, um einen letzten reißerischen Artikel über einen gescheiterten Mörder zu schreiben. Es war als hätten sie alle das Interesse an ihm verloren, nun da er seinem gerechten Ende zugeführt werden würde. Sie alle hatten bekommen, was sie wollten. Ein Leben ohne Hannibal Lecter. Ruhe, Sicherheit, Triumph.
Er sah es ihnen nach, kehrte zurück nach Florenz. Will wartete auf ihn. Sie trugen ihre Ringe.
Sie führten ihn aus seiner Zelle. Die Briefe lagen auf dem Bett. Der letzte Gruß eines Mörders.
Schweigend liefen sie durch die Gassen von Florenz. Will griff nach seiner Hand, blickte ihn an. Er musste lächeln. Sie suchten sich eine Bank und blickte auf die Menschen.
Man drückte ihn auf einen Stuhl. Fesselte Hände und Füße. Er fragte sich, ob die Frau in Schwarz sich mächtig fühlte oder ob sie glaubte sie täte es für die Gerechtigkeit. Sie musste gerne Gott spielen. Sie alle waren gerne Gott.
„Bereit?", flüsterte Will. Er nickte, nahm Wills Hand ein wenig fester in seine. Die Menschen zogen an ihnen vorbei. Tausend Leben. Er saß neben Will. Am Ende waren sie zusammen.
Der Kolben der Spritze wurde herabgedrückt. Brennend pulsierte das Gift in seinen Adern. Er hatte die Augen geschlossen. War längst nicht mehr da.
Sie blickten einander an. Wills blaue Augen, seine Locken. Ein Lächeln. Frieden, zum Schluss.
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A Soft Epilogue
FanfictionSie waren gefallen. Tief hinab, nicht tief genug. Sie waren auferstanden. Sie hatten gelebt, sie lebten. Tausend Leben. Miteinander, ohne einander. Am Ende waren sie wieder zusammen. A short story by ProfessorLMoriarty Comments are appriciated