Kapitel 2

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Ella

Die Antwort auf diese Frage fiel mir nicht allzu schwer, da ich mir bereits seit meiner Kindheit Gedanken darüber gemacht hatte. Natürlich, was auch sonst, wenn man wie ich fast sein ganzes Leben schon komplett durchgeplant hatte. Ich war eben eine sehr organisierte Person, die eine gewisse Struktur und Planung in ihrem Leben brauchte! Und ehrlich gesagt, weder das Jurastudium noch die Aussicht auf einen Job als Anwältin im Familienbetrieb waren jemals in meinem 20-Jahres-Plan aufgetaucht. Denn eigentlich hatte ich an genau dieser Stelle etwas anderes vorgesehen. Diesen Platz auf meiner imaginären Liste hatte stets einer meiner größten Träume eingenommen, den ich nun leider alles andere als verwirklicht hatte!

„Modedesign studieren!", platzte es nach einer kurzen Weile aus mir heraus. Amy sah mich erstaunt an. Dann betrachtete sie mich einem kritischen Blick, in dem ich etwas Spott vermischt mit Ungläubigkeit erahnen konnte. Sie musterte mich einmal von Kopf bis Fuß, fing dann auf einmal an zu grinsen und zeigte auf mich.

„Sieht man dir gar nicht an", spöttelte sie und konnte sich das Lachen kaum noch verkneifen. Ich sah an mir herab und musste eingestehen, dass mein heutiger Aufzug alles andere als modisch oder geschmackvoll war.

Ich trug allen Ernstes noch meine blau-weiß karierte Pyjamahose, dazu einen meiner Lieblings-Hoodies: ein fliederfarbenes kuschliges Etwas, das bestimmt zwei Nummern zu groß war. Ich prustete los und meine beste Freundin stimmte mit ein.

„Aber hallo, das ist die Haute Couture von morgen!", säuselte ich in einem französischen Akzent.

Ein kleiner weißer Wollknäul kam zu uns auf den Balkon gerannt und sprang mit einem Satz auf die kleine graue Couch. Unsere Hündin Molly war zu uns gekommen, um uns bei unserem mittäglichen Frühstück etwas Gesellschaft zu leisten, vermutlich in der Hoffnung, dass ihr kleiner verfressener Magen auch etwas abbekam. Ich nahm unsere Malteser-Hündin auf meinen Schoß und drückte ihr einen Kuss auf die Schnauze. Amy und ich hatten sie vor wenigen Monaten aus dem Tierheim zu uns geholt und seitdem bereicherte sie unser WG-Leben ungemein. Sie war schon fast wie eine dritte Mitbewohnerin, wenn man die Menge an Essen bedachte, die sie täglich verdrückte.

Molly machte es sich auf meinem Schoß bequem und döste ein wenig vor sich hin. Schweigend betrachteten Amy und ich einen Moment lang den süßen Welpen, bevor Amy sich wieder an mich wandte.

„Aber jetzt mal ernsthaft, du willst also eigentlich Modedesignerin werden und studierst stattdessen das langweiligste, was es auf dieser Welt nur gibt!" Sie warf mir einen empörten Blick zu, auch wenn sie vermutlich ganz genau wusste, dass ich sofort meinem Traum gefolgt wäre, wenn meine Eltern nicht so unglaublich hohe Anforderungen an mich hätten. Ich wollte sie einfach nicht enttäuschen!

„Ach Amy, ich weiß einfach nicht was ich tun soll. Schon mit elf Jahren hab ich meine Klamotten umgenäht und aufgepeppt. Ich liebe es einfach, Entwürfe für Kleidung zu machen und wünschte, dass ich genau das auch professionell lernen könnte! Aber jetzt bin ich ja schon mitten in meinem Jurastudium! Jetzt aufzuhören...das kann ich doch nicht einfach so machen! Stell dir mal vor, wie enttäuscht meine Eltern von mir sein würden!" Verzweifelt sprach ich diese Worte aus.

Es war ja nicht so, dass ich meinen Eltern noch nie mitgeteilt hatte, dass ich nicht glaubte, dass Jura das richtige für mich sei. Jedoch war deren Antwort immer dieselbe.

„Nach all dem, was wir für dich getan haben!", „Du bist eine Enttäuschung für die Familie!", „Wie kannst du nur nicht in das Lebenswerk deines Vaters miteinsteigen wollen!", bla, bla, bla.

Immer die gleiche Leier. Allerdings hatte diese schlussendlich tatsächlich dazu geführt, dass ich nun hier in New York gelandet war mit einem angefangenen Jurastudium. Denn trotz allem waren meine Eltern mir wichtig und das Letzte was ich wollte, war, dass sie auf die Idee kämen, den Kontakt zu ihrer einzigen Tochter abzubrechen.

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt