Kapitel 6

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Ella

Mist. Es sah ganz danach aus, als hätten Amy und ich eine Kleinigkeit vergessen. Diese tauchte nun neben ihren drei knallroten Koffern vor unserer Wohnungstür auf und strahlte mich fröhlich an. Was zum...

In meinem Gehirn ratterte es und ich starrte die blonde Schönheit mit dem zu ihrem Gepäck passenden, knallroten Lippenstift vor mir mit offenem Mund an.

„Ach du heilige Scheiße!", entwich es mir. Ich erinnerte mich wage an das Gespräch mit Mr. Williams, unserem Vermieter. Natürlich! Unsere neue Mitbewohnerin. Normalerweise war Organisation eine meiner großen Stärken. Aber heute war wohl ganz offensichtlich nicht mein Tag.

„Oh...hey!", brachte ich heraus. „Tut mir leid, offen gestanden habe ich total verpeilt, dass wir heute noch jemanden erwarten. Du bist...musst unsere neue Mitbewohnerin sein," vermutete ich.

Ich sah momentan wahrscheinlich aus wie der letzte Penner, mit meinem Messy-Dutt und den dunklen Augenringen.

„Ach, macht doch nichts! Sowas kommt vor. Ich bin Madison. Madison Parker." Sie schenkte mir ein warmes Lächeln und hielt mir ihre ausgestreckte Hand hin. Verblüfft ergriff ich diese.

Ich hatte mir nicht allzu viel von unserem neuen WG-Mitglied erhofft, aber Madison hatte Etwas an sich, das sie auf Anhieb unglaublich sympathisch machte.

„Dann komm doch rein in die gute Stube. Ich sag schnell Amy Bescheid, der dritten im Bunde", ich machte eine einladende Geste. Immer noch ein wenig überfordert machte ich mich eilig auf den Weg zu Amys Zimmer.

„Ach ja...ich bin übrigens Ella", fügte ich noch schnell hinzu als Madison gerade dabei war, ihre drei Koffer in den Flur zu hieven. Ohne anzuklopfen platzte ich in Amys Zimmer hinein.

„Amy!" Die Musik war derart laut, dass ich regelrecht dagegen anbrüllen musste. Linkin Park. Nicht unbedingt mein Geschmack.

Sie sah mich ganz erschrocken an.

„Ist irgendetwas passiert?"

„Ja, kann man so sagen. Wir haben Besuch. Den wir vielleicht ganz eventuell vergessen haben."

Ich kassierte einen leicht begriffsstutzigen Blick von meiner besten Freundin.

„Madison Parker ist hier", erklärte ich knapp. „Unsere neue Mitbewohnerin. Die im Moment wohl kaum ihr Zimmer beziehen kann, weil wir zwei Vollidioten natürlich auch vergessen haben, dort aufzuräumen!"

Amy stand in einer Rekordgeschwindigkeit vom Boden auf. Ja, sie hatte es sich in der Tat auf dem Boden gemütlich gemacht. Ich hinterfragte das mittlerweile nicht mehr. Sie lag fast immer dort, wenn sie Musik hörte. Keine Ahnung, wieso sie das so toll fand. Meiner Meinung nach war das dezent unbequem. Aber gut, das war ja ihre Sache.

Während ich nun also unbemerkt dafür sorgte, dass Madisons Zimmer in Ordnung gebracht wurde, wurde diese von Amy in der Küche mit einer heißen Schokolade und Keksen willkommen geheißen und mit einem von Amys Redeschwallen überschüttet.

Nachdem Madison ihr Zimmer bezogen hatte, entschlossen wir uns dazu, sie zum Essen einzuladen. So als kleine Wiedergutmachung für unseren chaotischen Start. Außerdem war dies auch eine gute Gelegenheit, sich etwas kennenzulernen.

Gegen Abend führten wir Madison also in unser Stammlokal, das sich nur ein paar Blöcke weiter befand.

Fort Defiance machte mit Abstand die besten Burger in ganz Brooklyn. Das Restaurant belegte das Erdgeschoss eines total schnuckeligen, alten Backsteinhauses.

Amy und ich gingen hier so oft hin, um uns mit dem traumhaftem Essen verwöhnen zu lassen, dass wir mit Jerry, dem Besitzer schon per Du waren. Ich glaube mittlerweile hatte der 70-jährige uns sehr in sein Herz geschlossen, denn er gesellte sich gelegentlich auch auf eine Tasse Kaffee zu uns. Man konnte sich wirklich wunderbar mit ihm unterhalten. Jerry liebte es, uns Geschichten aus seiner Jugend zu erzählen. Es wurde niemals langweilig, ihm dabei zuzuhören.

PetrichorWo Geschichten leben. Entdecke jetzt