𝐏𝐑𝐎𝐋𝐎𝐆𝐔𝐄: o, swear not by the moon

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o, swear not by the moon, th' inconstant moon
that monthly changes her circle orb,
lest that thy love prove likewise variable

William Shakespeare,
Romeo & Juliet

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9TH OF MARCH, 1597
Joseon



Oh, flüsterte die Königsmutter, schwöre nicht beim Mond.

Sie strich dem Neugeborenen, der sanft in die Kuhle ihres rechten Arms gebettet lag, eine schwarze Locke aus der Stirn. Der Säugling regte sich im Schlaf, als erreichte ihn die vorsichtige Berührung seiner Mutter als Abdruck ihrer Hingabe selbst in seinen Träumen.

Dem Wandelbaren. Der immerfort in seiner Scheibe wechselt.

Sie zögerte, ihren Kopf zu wenden: in Richtung des zweiten Neugeborenen, der, wie ein Spiegelbild des ersten, auf ihrer linken Seite in ihrem Arm schlief. Selbst im gedämpften Licht der Funzel auf ihrem Nachtschrank war der zweite Säugling ein widernatürlicher Anblick. Sein kleiner Kopf schimmerte im mondhellen Flaum silberweißen Haares, das der Blässe seiner Haut kaum einen Abbruch tat.

Damit nicht wandelbar dein Lieben sei.

Das Herz der Königsmutter setzte unwillentlich einige Schläge aus, als sie den friedlich schlafenden Jungen in ihrer Armbeuge betrachtete. So, wie er hier lag, Augen geschlossen, Fäustchen unter den weiten Ärmeln des Hanboks zusammengeballt, erweckte er nahezu kein Misstrauen – wäre da nicht die Farbe seines Haupthaares gewesen, das ihn nicht nur von seinem Bruder unterschied, sondern ebenso sehr von der Gesamtheit seiner Ahnen, ihrer Ahnen und dessen ihres Königsgemahls.

Der Mondschein musste durch das Fenster von der Sichel hinabgetröpfelt sein wie der Tau von dem aufwärts gekrümmten Dach eines Hanoks, und auf das Haar ihres Jungen gefallen; hatte das Schwarz aus den Fasern gewaschen und das Rot aus seinen Wangen.

Sein Bruder, der Schwarzhaarige, wies eine gesunde Gesichtsfarbe auf; sein erster Schrei war gellend durch die königliche Behausung geschallt, eine gefühlte Ewigkeit, bevor sein um wenige Minuten jüngerer Bruder es ihm gleichgetan hatte.

Mit Schaudern blickte sie auf die blutrote Narbe, die sich über das linke Auge ihres Sohns zog. Sie schimmerte im Licht der Kerze, gleißend und gerade also, als sei die Wunde frisch, aber der Leibarzt hatte ihr versichert, dass die Narbe bereits einige Wochen alt war. Dafür war sie tief, beinahe so, als sei das Gesicht des Jungen in den letzten Wochen um den tiefen Einschnitt herum weitergewachsen.

Auch sein blasses Ebenbild, der Mondscheinjunge, trug die gleiche Narbe auf derselben Seite. Genauso tief, genauso rot, als wollten sich im nächsten Augenblick Blutstropfen aus der Haut lösen und über seine Wangen in den Stoff des Hanboks mäandern.

„Eine Zwillingsnarbe", hatte der Arzt gesagt. Die zwei Brüder mussten im Mutterleib kurzzeitig an dieser Stelle zusammengewachsen sein, hatten Geist und Seele miteinander ausgetauscht, ehe das empfindliche Gewebe, das zwischen ihnen vorgeherrscht hatte, wieder zerrissen war.

Die Königsmutter spürte die Erschöpfung tief in ihren Gliedern. Die Entbindung hatte mehrere Stunden angedauert, die königlichen Hausmediziner hatten ihr mehrmals süßen Mohnsaft eingeflößt, um ihre Leiden möglichst schmerzlos zu gestalten, doch die Wirkung hatte inzwischen nachgelassen und die Königsmutter wünschte sich kaum etwas mehr, als nur ein wenig Ruhe.

Allerdings war ihr Gemahl noch nicht in ihren Gemächern erschienen, um seine Erben in Empfang zu nehmen und obwohl ihre Lider immer wieder bleischwer hinabsinken wollten, hielt die Königsmutter erbittert an ihrem Wachzustand fest.

Endlich hörte sie vor ihrer Türe das hohle Klingen der Kee-Chang-Speere der Wachen, als diese ihre Verteidigungsposition aufgaben, sodass der König hindurch schreiten konnte. Das Bett, auf das sie vom Holzfußboden aus gelegt worden war, stand in der Mitte des Raumes, sodass der Blick des Königs sofort auf sie fiel.

„Also stimmt es?", donnerte seine Stimme durch den Raum.

Die Königin reckte ihr Kinn nach vorne, ihr Herz schlug ihr bis zum Hals.

Größere Frauen waren schon für weniger hingerichtet worden.

„Es stimmt, dass ich Euch zwei Erben geschenkt habe, falls Ihr das meint."

Der König durchquerte den Raum, nachdem er sie ein paar Augenblicke unergründlich gemustert hatte. Er ließ sich auf der Kante ihres Bettes nieder, auf der Linken, sodass er dem Mondscheinjungen näher war. Sein Blick blieb an seinem widernatürlich hellem Haar hängen, doch zu ihrer Überraschung wirkte er nicht feindselig.

Im Gegenteil, er streckte seine Hände nach dem Säugling aus und umfasste ihn vorsichtig, ehe er ihn sich in den Schoß bettete. Mit der freien Hand fuhr er nachdenklich über den hellen Flaum auf dessen Kopf. Das Neugeborene ließ ein schlaftrunkenes Geräusch hören, doch seine Augen blieben geschlossen.

„Ihr wollt es wirklich behalten?", fragte die Königsmutter ungläubig, während sie ihrem Gemahl dabei zusah, wie der das Mondkind hätschelte.

Der König sah auf. „Warum sollte ich nicht? Selbst, wenn ich ihn nicht zu meinem Erben erklären kann, sehe ich nicht, wieso er unserem Sohn kein Weggefährte werden könnte. Sieh ihn dir an! Als hätte man ihn in Mondtau gebadet."

„Glaubt Ihr nicht, dass es verflucht ist?"

Der König verzog das Gesicht. „Verflucht. Was soll das überhaupt bedeuten? Er scheint mir ganz gewöhnlich, wenn man von seiner Haar- und Hautfarbe einmal absieht."

„Und was ist mit der Narbe?", fragte sie und hoffte, dass ihre Stimme ihr nicht versagte. „Ihr wisst genauso gut wie ich, dass ein Narbenträger kein König werden kann, zumindest nicht, wenn es nach der Tradition geht. Beide Kinder besitzen diesen Schandfleck."

„Ich bin der König", antwortete er, als wäre damit alles Weltliche nicht länger von Bedeutung. „Und diese zwei sind meine Söhne. Niemand wird sich ihnen in den Weg stellen, solange ich lebe. Wir wurden mit zwei Erben gesegnet, zwei, wie die verschiedenen Seiten einer Münze, wie die zwei Scheiben des Mondes."

Sie erlaubte sich, Trost in seinen Worten zu finden, Hoffnung. Wenn er solch eine Überzeugung in den Umstand dessen legte, dass beide Kinder vor seinem Beamtenstab und dem dazugehörigen Hofstaat Legitimation erführen, so würde sie ihm folgen. Andererseits hatte sie seine Lügen schon immer durchschauen können.

„Ihr seid nicht ehrlich zu mir, mein König. Es gibt noch einen anderen Grund, wieso Ihr den Mondscheinjungen nicht als Findelkind weggeben wollt, ein Grund, der nicht nur pure Großzügigkeit als Hintergedanken hegt, habe ich recht?"

Er zögerte kurz, dann verhärteten sich seine Gesichtszüge. „Das geht Euch nichts an. Ihr seid zwar die Mutter meiner Erben, aber die Politik des Königreichs hat Euch nicht zu interessieren. Wir werden sie beide aufziehen, Schwarz und Weiß."

„Das sind doch hoffentlich nicht die Namen, die Ihr ersonnen habt", stichelte die Königin und ihr Gemahl ließ ein müdes Lächeln sehen.

„Nein, Ihr habt Recht." Er bettete das Mondkind vorsichtig zurück in die Beuge ihres Armes und zeichnete mit seinem Finger einen Kreis auf seine Stirn. „Der Schwarzhaarige soll Yoongi heißen. Nach meinem Großvater, König Min Yoongi."

Die Königin nickte besonnen und strich dem schlafenden Jungen liebevoll über die Stirn. „Dieser Name wirft einen großen Schatten."

„Mein Sohn wird in der Lage sein, ihn zu füllen."

„Und er?" Die Königin nickte in Richtung des anderen Neugeborenen, der wieder auf ihrem Arm lag. „Wie soll er heißen?"

„Agust", erwiderte er. „Er soll Agust heißen."

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