𝐏𝐀𝐑𝐓 𝐈𝐈: daechwita

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i got no pretensions just kill 'em all
ain't no exceptions i watch you fall

track 02: daechwita

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YOONGI

Kaum, dass die Sonne über den niedrigen Dächern der Stadt aufgegangen war, kam Leben in die Gassen, die sich im gräulichen Halbschatten der nur widerwillig kapitulierenden Nacht so plötzlich anfüllten, als sei ein Zeichen dafür gegeben worden.

Yoongi lehnte an einer Wand neben der Hauptstraße, unter dem Vorsprung eines der Strohdächer und beobachtete, wie Stadt langsam in ihren gewohnten Tagesablauf hineinfand. Um sein Gesicht zu verbergen, trug er einen weitläufigen Kegelhut, den Dae im Hinterzimmer ihrer vorübergehenden Behausung gefunden hatte.

Zwar bezweifelte er, dass irgendjemand sein Gesicht erkennen würde – Agust war seit mehreren Jahren nicht mehr vor den Pforten des Palast gesichtet worden, doch vermutlich würde die auffällige Narbe über seinem Auge bei dem ein oder anderen Bürger die Erinnerung an die Geschichte wecken, die sie vor inzwischen beinahe dreißig Jahren das letzte Mal gehört hatten: dass beide Kronprinzen entgegen der Tradition für den Thron vorbereitet wurden, obgleich eine riesige Narbe ihrer beider Gesicht entstellte.

Vermutlich war er übervorsichtig – die meisten Menschen, die an ihm vorbei durch die Hauptstraße zogen, wirkten so vollständig beschäftigt mit ihrem eigenen Leben, dass sie ihm nicht einmal einen halben Blick erübrigten, wie er dort an der Wand lehnte und den Anblick der frühmorgendlichen Geschäftigkeit in sich einsog.

Auch wenn Agust und er hinter den hohen Mauern des Palasts aufgezogen worden waren, hatte sie beide wenig in der Beschränkung des Hofes halten können: seit Yoongi denken konnte, hatte er sich gegen Abend, nachdem er seinen täglichen Unterricht abgeschlossen hatte, aus dem Boteneingang nach draußen gestohlen. Er wusste, dass Agust beizeiten dasselbe getan hatte, ihm mit einigen Metern Abstand gefolgt war, um zu sehen, wo Yoongi sich herumtreiben würde.

Yoongi hatte immer so getan, als bemerkte er seinen blassen Schatten nicht, der sich in den dunklen Häuserecken herumdrückte und mit durchdringenden Blicken dabei zusah, wie er seine bürgerlichen Freunde traf, die ihn ohne große Voreingenommenheit in ihrer Mitte aufgenommen hatten.

Als sie älter geworden waren, und der König Taehyung immer öfter in ihre disziplinären Tätigkeiten eingebunden hatte, da hatte sich Agust langsam aus Yoongis Schatten gelöst. Ein paar Mal hatte Yoongi ihn sogar mit Taehyung unten am Fluss gesehen, wie sie auf dem Steg saßen und den einlaufenden Fischerbooten dabei zusahen, wie sie ihre Waren auf die Holzkarren luden.

Yoongi glaubte nicht, dass er Agust jemals glücklicher gesehen hatte als in diesen ungestellten Augenblicken unten am Steg. Er und Taehyung hatten ihre Schuhe ausgezogen und ließen ihre Füße ins Wasser baumeln, während beide über das ganze Gesicht grinsten.

Wenn Yoongi Agust nicht so sehr gehasst, und die Eifersucht sich nicht wie ein tiefer Splitter in sein Herz gebohrt hätte, wäre er vermutlich sogar glücklich für seinen Bruder gewesen.

Jetzt, Jahre nachdem Yoongi den Hof verlassen hatte, konnte er sich ehrlichermaßen eingestehen, dass er immer besser von seinen Eltern behandelt worden war als Agust. Ihre Mutter hatte Agust verabscheut, weil sie Angst vor ihm gehabt hatte und dem, was sein ungewöhnliches Aussehen implizierte, und sein Vater hatte Agust als lebendige Strohpuppe aufgezogen, die nur gut genug dazu war, dass Yoongi an ihm seine Fertigkeiten schärfen konnte.

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