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Der Regen prasselt an das Glas des Autofensters. Ein beruhigendes Trommeln, immer gleichmäßig. Ich beginne mit meinen Fingern auf meinen Beinen zu trommeln. Im Einklang mit dem Regen. Wo bringen sie mich nur hin? Wer bringt mich wohin? Und warum? Was ist passiert? Zum x-ten Mal taste ich den Verband an meiner Stirn ab. Mein Kopf schmerzt. Schon wieder weiß ich nicht warum. Diese ganze Fragerei wird langsam echt nervig! Wie schön es wäre, all das zu wissen. All die Geheimnisse zu kennen. Zu wissen was Milton verbirgt. Gerade jetzt sehne ich mich unbeschreiblich stark nach ihm. Egal, ob er mich abgeschüttelt hat, egal, dass er wollte dass ich verschwinde. Sein starker Körper an den ich mich lehnen könnte ist alles was ich im Moment brauche. Oder wenigstens irgendwas an dem ich mich festhalten kann. Ich schaue wieder nach draußen in den Regen. Grau. Langweilig. Also drehe ich mich wieder um. ich kann den Fahrer nicht sehen, denn zwischen uns ist so eine Art Trennwand. "Entschuldigung", will ich sagen, doch es geht nicht. Ich habe etwas vor dem Mund. Doppelseitiges Klebeband. Klar, damit ich nicht noch mehr Fragen stellen kann, sehr clever! Wütend lasse ich mich zurück in den Sitz fallen. Falsche Entscheidung! Der Schmerz in meinem Kopf ist fast unertäglich. Wenn ich könnte, hätte ich laut aufgeschrien, stattdessen mache ich irgendein Geräusch. Einfach um mich zu vergewissern, dass ich noch nicht tot bin. Das hätten sie wohl gerne. Innerlich koche ich vor Wut. Ich will nicht mehr in diesem scheiss Auto sitzten! Ich will nicht mehr irgendwo hinfahren! Ich will...ich will...Ich frage mich was ich wirklich will. Das Wissen? Meine Erinnerungen? Ein ganz normales Leben führen, als hätte ich nie im Koma gelegen? Ist das überhaupt möglich? Zu viele Fragen...zu viele Antworten die ich nicht weiß... Ich schließe die Augen. Dunkel erinnere ich mich. An das Mädchen, das Käuzchen und...das Licht. Dieses freie Gefühl. So als würde ich fliegen. Im Scheinwerferlicht. Das erklärt den Verband, denke ich gleichgültig. Hatte Milton von dem Unfall erfahr... Keine Fragen mehr! Bitte nicht! Irgendwie wird mir davon schwindelig. Ganz...schwindelig...und mü...müde.

Irgendjemand zerrt grob an mir und reißt mich aus meinem traumlosen Schlaf. Ich stolpere aus dem Auto heraus und wäre fast auf den Boden gefallen, wenn mich nicht jemand halten würde. Um mich herum ist es dunkel. Und es ist kalt. Zitternd setzte ich einen Fuß vor den anderen. Irgendjemand hält mich noch immer fest. Ich kenne diesen Geruch. Milton... Ich würde jetzt so gerne mit ihm sprechen. Ihn alles fragen! Irgendetwas ist plötzlich im Weg und ich stolpere darüber, falle der Länge nach hin. Irgendjemand lacht leise. Schweine! Milton hat mich natürlich losgelassen, damit ich schön schmerzhaft aurpralle. Zum Glück hat es nicht wirklich weh getan. Mein Kopf schmerzt sowieso ohne Unterbrechung. Ich stehe auf und reiße mich von Milton los, der mich gleich wieder festhalten wollte. Fahrt doch zur Hölle! Meine Augen haben sich langsam an die Dunkelheit gewöhnt. Sehr langsam. Alles was ich sehe, sind Fackeln. In ihrem Licht erkenne ich Bäume. Ihre kahlen Äste greifen nach mir, während der Herbstwind jaulend durch ihre Kronen jagt. Etwas am Wegesrand lässt mich erschaudern. Unzählige Gestalten tragen die Fackeln. Sie tragen allesamt schwarze Kutten. Und noch etwas...auch Milton trägt eine.

Herbstnebel-Meine ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt