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Ich brauche Zeit. Zeit alleine. Milton hat mich am Fluss zurück gelassen, damit ich nachdenken kann. Ich bin ihm sehr dankbar dafür. Nach der ganzen, für mich nahezu unbegreifbaren Geschichte, wollte ich alleine sein. Alleine, um es zu verstehen. Alleine, um mich zu erinnern. Ich versuche krampfhaft mich an den Urlaub in Österreich mit meinen Eltern zu erinnern, an den unsicheren Klettersteig, an das 'Achtung! Steinschlag' schild, an ihr Lachen und den wolkenlosen Himmel. Es misslingt. Ich weiß nichts. Nichts. Ich denke an die ersten Tage im letzten Frühjahr, an den Spaziergang, an meine beste Freundin und an den Kuss. Der Kuss. Ich hatte ihn geliebt und er hatte mich geliebt. Oder nicht? Ich weiß es nicht. Wie immer. Anstatt dass Miltons Erzählung Licht in meine dunklen Gedanken gebracht hatte, kreisten nun nur noch mehr Fragen in meinem Kopf. Woher kenne ich Milton? Warum konnte niemand den Sturz verhindern? Was ist passiert als ich im Koma lag? Wieso... Ich merke wie die erste Träne meine Wange herunter läuft. Ich ignoriere sie, aber es fällt mir schwer. Es ist als würde ich versuchen den Schmerz zu ignorieren, der in meinem ganzen Körper brennt wie ein riesiges Feuer. Es ist unmöglich. Um nicht noch mehr weinen zu müssen beschließe ich zu meiner Verabredung mit Milton aufzubrechen. Er hat gesagt ich solle wieder an die Straße kommen an der ich ihn zum ersten Mal gesehen habe. Oder auch zum 2, 3...52. Mal.

Er ist bereits dort als ich ankomme. "Geht es dir besser?", fragt er vorsichtig und greift nach meiner Hand. Wieder durchströmt es mich mit dieser beruhigenden Wärme. Ich nicke. "Ja, natürlich?" Ich wollte es ganz normal sagen, aber es klingt dennoch wie eine Frage. Milton lächelt. Er lächelt schön. Wunderschön. "Jola...ich bin so froh dass du wieder da bist, egal was passiert ist" Verlegen schaue ich auf meine Turnschuhe, aber er bemerkt trotzdem wie rot ich werde. "Soll ich dir einen besonderen Platz zeigen?" Seine Worte dringen in mein Herz. Komm Milton lass uns auf die alte Brücke! Ich erstarre. Da war wieder diese Stimme. Sie war fremd und dennoch vertraut. Sie kam einfach in meinen Kopf. "Was? Was ist los?" Milton hatte meine Starre bemerkt. Ich merke wie ich zittere. Ich merke wie kalt mir plötzlich wird. Hilf mir! Instinktiv werfe ich mich in Miltons Arme und er umschlingt mich fest. Unsere Herzen pochen gegeneinander. "Ich...ich habe eine Stimme gehört. In...in meinem Kopf" Meine Worte klingen verrückt aber Milton lacht mich nicht aus. "Was hat die Stimme gesagt?", fragt er leise. "K...komm Milton lass uns..." "auf die alte Brücke? ", führt er meinen Satz zu Ende. Ich nicke, vergrabe meinen Kopf wieder an seinem Pullover und lausche seiner Stimme. "Die alte Brücke...Wir sind früher jeden Tag zusammen dort hingegangen. Du wolltest das so gerne. Die Stimme...das war wohl eine Erinnerung. Eine Erinnerung an etwas das du immer zu mir gesagt hast" Erinnerung. Ich hatte mich erinnert. An Milton und mich.

Herbstnebel-Meine ErinnerungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt