Prolog

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Violetter Rauch waberte um Novaya herum, als sie sich zurück in ihr Zimmer manifestierte. Die nebelartigen Schlieren verzogen sich innerhalb weniger Sekunden und ließen keine Spur zurück. Sie verschwanden einfach, genauso schnell wie sie auftauchten.
Es erinnerte sie irgendwie in einer verschrobenen Art und Weise an die Hoffnung. Die tauchte auch immer mal wieder auf, glühte wie ein Leuchtfeuer, brachte Licht in ihre einsame, dunkle Welt und verschwand schon im selben Atemzug, ließ nichts zurück außer verbrannte Glut und die altbekannte Dunkelheit.
Genau aus diesem Grunde hatte Novaya ihr auch den Rücken gekehrt. Es war hoffnungslos zu hoffen, auf etwas, was nie eintreten würde.
Es hatte eine Zeit gegeben, ganz zu Anfang noch, da hatte sie sich an der Hoffnung und ihrem trügerischen Schein festgehalten. Und Novaya hatte es bitter bereut. Nie würde sie diesen Tag vergessen können, dieses hilflose Gefühl, die Verzweiflung, die sie innerlich zerrissen hatte. Und auch nicht den Hass, der lichterloh in ihr aufgeflammt war und ihre Seele verätzte, jedes Licht zum erlöschen brachte und ihr gesamtes Dasein fortan bestimmte.
Novaya hatte schon vorher nur negative Gefühle für ihren Lord empfunden, aber dieses Mal war es ein ganz neues Level gewesen. Ausgelöst durch die wohl wirkungsvollste Bestrafung, die der Lord ihr antun konnte.
Novaya war noch nie sehr gehorsam gewesen, ihr Gemüt brannte beinahe vor ungezügeltem Freiheitsdrang und Leidenschaft. Sie war widerspenstig, ungebändigt. Eigenschaften, die in ihrer Kaste nicht gerne gesehen wurden. Die Ascan Elidrija hatten sich schon immer durch eiskalte Berechnung, Emotionslosigkeit, Gnadenlosigkeit und absolutem Gehorsam und Loyalität gegenüber ihrer Kaiserin und den Göttern ausgezeichnet. Emotionen und Gefühle wurden von ihnen regelrecht verabscheut. Sie galten als Schwäche und Schwäche erachteten die Ascan Elidrija für Verabscheuungswürdig. Umso schwerer hatte es Novaya als kleines Kind gehabt. Die anderen, allen voran ihre Mutter, hatten nicht gerade wenige Züchtigungsversuche unternommen, sie wuchs mit noch mehr Strenge und Härte auf als ihre Kameradinnen. Mit Erfolg - schon bald zeigte sich das gewünschte Ergebnis. Novaya trug dieselbe ausdruckslose Maske wie jede andere Ascan Elidrija auch. Doch irgendwo, tief im verborgensten Teil ihrer Seele, war ein Rest der alten Novaya geblieben, versteckt vor der Außenwelt. Diesen Teil bekam nur eine einzige Person zur sehen, eine Person, die Novaya mehr bedeutete als ihr eigenes Leben. Sie liebte sie mehr als sich selbst. Ein Umstand, den auch Lord Nevar zu ihrer beider Pech erkannt hatte.
Novaya hatte sich schon oft ihrem Lord widersetzt gehabt und es hatte ihm jedes Mal aufs Neue unheimliches Vergnügen bereitet sie zu bestrafen. Doch dieses Mal war es anders gewesen. Dieses Mal hatte er Novaya keine körperlichen Schmerzen zufügen wollen.
Sie hatte Nevars gewohnten kalten Wutausbruch erwartet -er hasste es nämlich, wenn sein Spielzeug nicht genau das tat, was er sagte und nicht genau dort war, wo er es haben wollte. Aber er hatte sie nicht körperlich angegriffen. Er hatte etwas weitaus schlimmeres getan. Er hatte sie angesehen, wie sie da vor ihm auf dem glatten schwarzen Steinboden zu Füßen seines Throns kniete, hatte sich dann wieder seinem Schattenwolf zugewandt, der neben ihm gethront hatte, und Novaya mit einer Handbewegung verscheucht, als wäre sie nichts weiter als ein Ludo - ein Hund. Ehe ihr bewusst wurde, was ihre Hände taten, hatte Novaya Nevar eine Salve ihres sahaan -ihrer Magie- entgegen geschleudert. Natürlich hatte diese Rache ihren Preis: Ganz gleich, welchen Angriff sie auch auf ihren Lord verübte, welchen Schmerz sie ihm auch zufügte - wenn sie ihn überhaupt erstmal traf und er ihre Attacke nicht vorher schon abgewehrt hatte -, er kehrte immer wieder wie ein Bumerang zurück. Dafür hatte der Lord gesorgt. Ein Fluch uralter, schwarzer Magie, deren Ausübung nicht nur strengstens untersagt, sondern auch ohne dem notwendigem Wissen aus den schwarzen Büchern - eines der streng gehütetsten Geheimnisse der Ascan Elidrija - unmöglich war. Und diese Bücher existierten offiziell nicht. Schwarze Magie sollte nichts weiter als ein dunkler Mythos für jeden sein, der nicht zu den Ascan Elidrija gehörte. Doch Nevar hatte nicht nur irgendwie davon erfahren, sondern war auch noch an diese gefährlichen Schriften gelangt und übte sie nun ungezügelt aus.
Dieser Fluch hatte Novaya nun in irgendeiner Weise an ihn gebunden und machte es ihr unmöglich ihn wirklich zu verletzten, geschweige denn zu töten. Jedenfalls nicht, wenn sie dabei nicht selber sterben wollte. Er hatte sie ungefährlich für ihn gemacht, so einfach war das.
Doch ihr Ungehorsam war den jähen Schmerz wert gewesen, jedes Mal. Beinahe lohnte es sich dafür danach die Schmerzen der Bestrafungen ihres Lords zu ertragen. Aber nur beinahe.
,,Verdammt, Novaya, wie lange dauert es noch, bis du begreifst, dass es sinnlos ist?'', hatte Nevar gesagt, kurz bevor er sich von seinem Thron erhoben hatte, der einst ihrer Rasse gehörte, und zu ihr herabgestiegen war. Seine Magie hatte sie bewegungsunfähig gemacht, sodass sie nichts weiter tun konnte, als kniend zu ihm hochzuschauen. Sie hatte Schläge erwartet, die durch die Silberringe an seinen Fingern trotz ihrer hohen Schmerzgrenze als Ascan Elidrija immer verdammt weh taten, oder das Gefühl wenn seine schwarze Magie in ihren Körper drang und begann ihn zu vergiften, bis sie sich vor Schmerzen wand und ihr violettes sahaan einen dunkleren Farbton annahm, alles, nur nicht seine nächsten Worte. ,,Ich hatte gehofft, du hättest es mittlerweile gelernt. Aber wie es scheint bringen diese Arten der Bestrafung bei dir nicht sonderlich viel.'' Mit eiskalten Augen, in denen die pure Finsternis waberte und jegliches Licht aufsaugte und verdarb, hatte er auf sie herabgesehen. ,,Und langsam langweilt es mich nicht nur, sondern nervt auch noch.'' Novaya hatte geschluckt. Sie ahnte schlimmes. ,,Es wird Zeit deine kleinen Spielchen ein für allemal zu unterbinden, auch wenn sie anfangs noch ganz unterhaltsam waren.''
Novaya hätte nicht versuchen sollen, ihn anzugreifen. Wie dumm von ihr zu glauben, sie könnte Nevar wirklich verletzen. Es gab nichts, was sie gegen ihn ausrichten konnte. Sie war nichts weiter als sein Spielzeug, das wusste sie. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatte Nevar damals gefallen an der jungen Ascan Elidrija gefunden, die zu dem Zeitpunkt gerade mal Zwölf Sommer alt gewesen war. Und er schien ihrer bis heute nicht überdrüssig geworden zu sein, egal, wie ihr Verhalten auch ausgefallen war. Und Novaya hatte wirklich vieles versucht. Wenn sie auch nie aufs Ganze gegangen war, schließlich ging es hier nicht alleine um ihr Leben. Jenes war ihr eigentlich sogar weitestgehend egal. Ganz anders sah es da mit dem Leben von Viena aus.
Nie hätte Novaja gedacht, dass ausgerechnet sie einmal in Gefangenschaft geraten würden. Oder Novaya selbst vielmehr in Leibeigenschaft. Die Kaste der Ascan Elidrija war vor dem Umsturz die herrschende gewesen, sie regierten, beherrschten und bestraften. Niemals aber standen sie auf der anderen Seite und wurden unterjocht. Novaya war mit dem Wissen aufgewachsen, über allen zu stehen, nur ihrer Kaiserin und den Göttern zu unterstehen und ihnen Rechenschaft ablegen zu müssen. Die Ascan Elidrija waren unfassbar stolz, keine Frage. Und dieser unverrückbare Stolz hatte sie überheblich werden lassen und letztendlich zu ihrem Untergang geführt. Anders konnte Novaya es sich nicht erklären. Nun aber war ihre Kaste gefallen, die Kaiserin tot. Novaya war als einzige übrig geblieben. Die letzte Ascan Elidrija. Doch sie machte ihrer Herkunft keine Ehre. Novaya war zu schwach gewesen, war es immer noch.
Sie betete zu den Göttern - zu Avir, Seva, Terian, Limoia und Revan -, dass die Ascan Elidrija, wo auch immer ihre Geister gerade ruhen mochten, sie jetzt nicht sehen konnten.
Würde ihre Mutter sehen können, wie tief sie gesunken war - eine erbärmliche Leibeigene, das Lieblingsspielzeug des Lords - , sie würde sich im Grabe umdrehen. Vorausgesetzt natürlich, sie hätte eins bekommen. Doch selbst das war ihnen verwehrt geblieben. Der Lord hatte ihre toten Körper einfach alle würdelos in ein tiefes Loch werfen lassen. Und eine Fackel hinterher. Als wäre das edle Geschlecht der Ascan Elidrija nichts weiter als Abfall gewesen, der beseitigt werden musste.
Novaya hatte sich nicht selten dabei ertappt, sich ebenfalls den Tod zu wünschen. Etwas anderes verdiente sie nicht. Sie brachte Schmach über ihre stolze Kaste, wurde von dem Mann erniedrigt, der ihrer Kaste den Untergang bereitete. Sie würde zum Gespött von ganz Ascandrija werden, sollte jemals vollkommen enthüllt werden, wer sie eigentlich war.
Voller Hass und lodernder Wut erinnerte sich Novaya daran, was als nächstes geschehen war. Nevar hatte sie gepackt und in den Kerker geschliffen, ungeachtet Novayas panischen Wehrversuchen. Die stark zugenommen hatten, als sie sein Ziel erkannte. Sie waren nicht zu den normalen Zellen gegangen, aus denen schmerzerfüllte Schreie und lautes Wehklagen schallten, sondern waren in einen kleinen, steinernen Gang eingebogen, der vor einer dicken Eisentür endete, deren Knauf aus reinem Silber war und somit jeden Drijanen abschreckte, die Tür zu öffnen. Eisen absorbierte schon das sahaan, aber Silber verätzte die Drijanen.
Novaya hatte sich schon oft gefragt, was der Lord eigentlich genau war. Denn ein Drijane konnte er nicht sein -zumindest kein Vollwertiger- , sonst könnte er nicht problemlos mit Silber in Kontakt treten. Und das tat er, als er ohne jeglichen Schaden zu nehmen, die Tür aufgeschlossen und sie grob hineingestoßen hatte. Sie war direkt vor den Gitterstäben aus Silber zu Boden gegangen. Ihre Fingerspitzen hatten die Stäbe gestrichen und sogleich war sie zurück gezuckt. Doch schon diese winzige Millisekunde hatte gereicht, um ihre Haut an diesen Stellen zu verbrennen. Zum Glück war es nicht lange genug gewesen, als das sich Brandblasen hätten bilden können. Trotzdem brannte es und Novaya hatte die Zähne zusammen gebissen, um keinen Laut von sich zugeben.
Der Anblick des jungen Mädchens in der Zelle hatte den Schmerz jedoch sofort in den Hintergrund rücken lassen, er war unwichtig geworden. Einzig und alleine das abgemagerte Geschöpf hinter den Gittern zählte, dass ihr mit großen, aber müden Augen entgegengeblickt hatte. Im ersten Moment hatte es so gewirkt, als wolle die kleine Gestalt auf sie zu rennen, doch schon im nächsten hatte sie sich zusammengekauert in eine Ecke gedrängt und vor Angst zitternd den Lord angestarrt, der hinter Novaya getreten war. Novaya hatte sein Vorhaben in dem Moment erkannt, in dem Nevar die Zelle aufgeschlossen hatte, doch da war es schon zu spät und sie war nicht mehr in der Lage gewesen sich zu bewegen. Seine Magie hatte sie gelähmt, sodass sie nur hilflos dabei hatte zusehen können, wie er das triste Gefängnis ihrer Schwester betrat und Viena anstatt sie verletzte.
Gequält schloss sie die Augen, als sie sich an die schmerzerfüllten Schreie ihrer Schwester erinnerte und das hilflose, schuldige Gefühl, dass sie innerlich zu zerreißen gedroht hatte. Nie hatte sie einen schlimmeren Schmerz gespürt, als den, das Viena wegen ihr hatte leiden müssen. Novaya hatte geschrien, gefleht und gebettelt, aber Nevar hatte keine Gnade gekannt, im Gegenteil - es schien ihn nur noch mehr vergnügt zu haben.
Als er fertig gewesen war, hatte Novaya keinen Blick mehr auf ihre Schwester erhaschen können, so sehr hatte sie sich in dem Schatten der Ecke zusammengekauert. Nur ihr leises Schluchzen klang ihr in den Ohren nach.
Nevar hatte sich vor Novaya gekniet, sein schönes, grausames Gesicht ganz nah. Obwohl er schon wesentlich länger leben musste als sie, sah er nur wenig älter aus und hatte zusätzlich auch noch das Antlitz eines jungen Halbgotts.
,,Siehst du es jetzt ein?'', hatte er geflüstert. Seine pechschwarzen Onyx-Augen blickten streng, aber seine Stimme hatte sanft geklungen. ,,Dieser ständige Kampf- er bereitet nur Leid, findest du nicht? Dabei ist er doch eigentlich so unnötig.''
Er hatte ihr Kinn angehoben. Seine Finger waren kühl gewesen und ein leichter Geruch von Ramis hatte ihr entgegen geweht, einer exotischen Pflanze aus Ascandrija, die aber auch oft für den Ramshai - dem Alkohol der Drijanen - verwendet wurde.
,,Novaya?''
Nevars Daumen hatte sich schmerzhaft in ihren Kiefer gebohrt. Sie hatte benommen genickt. Es gab nur eine richtige Antwort, um einer weiteren Strafe zu entgehen.
,,Ja, mein Lord.''

 Novaya - Ascandrijas WiderstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt