Lean wusste nicht genau, was ihn in diesem Moment ritt, aber er folgte der jungen Drijane nahezu kopflos aus dem Club. Vielleicht lag es an ihrer unbestreitbaren Schönheit, die er zwar nur kurz erblickt hatte, aber ausreichend gewesen war, um sein Verlangen zu wecken. Oder er schrieb es einfach seiner Neugierde zu, die wesentlich bessere Option, wenn er nicht wie ein schwanzgesteuerter Idiot rüberkommen wollte.
Es wäre nichtmal eine Lüge. Seine Neugierde war tatsächlich geweckt. Als Fareth ihm von einer jungen Marix mit überragender Schönheit berichtete, die sich hier nach Lean erkundigt hatte und offenkundig auf der Suche nach ihm war, war er überrascht gewesen. Woher, bei den Göttern, wusste diese Frau, dass sie auf der Erde nach ihm suchen musste? Nur seine engsten Vertrauten wussten davon Bescheid. Und drei von den Fünfen befanden sich mit ihm auf der Erde. Fareth schon länger verdeckt als Barkeeper und Caja und Royan waren vor ein paar Wochen mit ihm hergekommen. Die anderen beiden hatte er in Ascandrija in dem Hauptquartier des Widerstandes zurückgelassen. Mariel und Tresdan waren mit ihm im Kontakt, gaben seine Befehle weiter und koordinierten von dort aus die Angriffe und sorgten für Ordnung.
Wieso also ging diese Fremde, die laut Fareth anscheinend noch nicht einmal Teil des Widerstandes war, davon aus, ihn ausgerechnet hier finden zu können? Und was wollte sie? Das sie ein Mitglied der Rebellen werden wollte, kaufte Lean ihr nämlich genauso wenig ab wie Fareth. Dann hätte sie sich nämlich nicht direkt nach ihm erkundigen müssen und auch nicht hier auf der Erde, in Los Angeles.
Auch ihr Verhalten gerade eben erschien ihm merkwürdig. Sie hatte ihn gesehen, das hatte er erkannt. Aber anstatt zu ihm zu kommen und ihm ihr Anliegen vorzutragen, war sie verschwunden.
Was auch immer es war, es sorgte dafür, dass er völlig überstürzt handelte. Er ignorierte Fareths Rufe und die Warnungen, die ihm sein Verstand zuschickte. Als Lean an der Dyon am Eingang vorbei hastete, nickte er ihr nur knapp zu und stieß dann die massive Holztür nach draußen auf. Frische Nachtluft wehte ihm entgegen und kühlte seinen aufgebrachten Verstand ein wenig ab. Mit einem dumpfen Knall schlug die Tür hinter ihm zu.
Sein Blick glitt suchend umher, doch von der schönen Marix war weit und breit nichts zu sehen. Der kleine Hinterhof war vollkommen leer. Sie war weg.
Lean fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Diese unüberlegte Aktion war mal wieder typisch für ihn. Was machte er überhaupt hier, fragte er sich und könnte sich selber eine reinhauen für diese dämliche Handlung. Caja würde ihm dafür später noch gewaltig den Marsch blasen. Schließlich war er der Rebellenführer und hatte als solcher viele Feinde, die solch eine Chance, ihn alleine anzutreffen gewiss nicht ungenutzt verstreichen lassen würden.
Caja hasste es, wenn er sich wegen solcher überstürzten Handlungen in Gefahr brachte. Sie hatte ihm bereits mehr als einmal den Hintern retten müssen. Sein Gesicht verzog sich leicht, als er an die deftige Standpauke dachte, die Caja ihm nachher halten würde. Manchmal kam er sich echt vor wie ein ungezogenes Kind. Nichts worauf er stolz war.
Lean war schon fast dabei wieder zurück ins Lamurr zu gehen, als er plötzlich in seiner Bewegung innehielt, die Hand schwebte knapp über dem Türgriff.
Sein Adrenalinspiegel stieg und er wirbelte kampfbereit herum; er war nicht allein.
Er spürte die Gegenwart, die Energie eines anderen Drijanen, auch wenn sich etwas daran komisch anfühlte, verkehrt irgendwie. Doch er hatte keine Zeit länger darüber nachzudenken, in seinen Fingerspitzen sammelte sich kribbelnd sein sahaan, bereit um einen Angriff abzuwehren oder selber zu starten. Lean lauschte angestrengt, nach irgendeinem Geräusch, dass ihm verriet, wo sich der andere Drijane befand.
Vielleicht überreagierte er gerade, schließlich war das Lamurr ein beliebter Club und es konnte gut sein, dass der fremde Drijane nur ein Gast war, der sich die Nacht über Vergnügen wollte. Aber er hatte gelernt, immer vom schlimmsten auszugehen und steht's seine Vorsicht beizubehalten. Wie gerade eben, dachte er ironisch.
Als sich nach einigen Sekunden immer noch nichts rührte und er sich nur beobachtet fühlte, sah er sich in seinem Verdacht bestätigt. Ein normaler Gast wäre schon längst auf ihn zu gekommen.
Erneut scannten seine Augen seine Umgebung und besonders die Schatten, die es aufgrund der spärlichen Lichtverhältnisse nur zu Genüge gab. Das er seinen Gegner nicht sehen konnte, dieser ihn aber sehr wohl, machte ihn unruhig. Sein sahaan kribbelte stärker.
Er war nicht so dumm gewesen, zu glauben, er wäre auf der Erde irgendwie sicher. Solange dieser Krieg anhielt und seine Feinde lebten, würde er nirgendwo sicher sein. Und er wollte sich auch gar nicht in Sicherheit bringen, er war ein Kämpfer und würde dies auch bis zu seinem letzten Atemzug sein.
,,Zeig dich!'', befahl Lean.
Nichts. Ein leises Knurren entwich ihm. Angespannt versuchte er seine gesamte Umgebung im Blick zu behalten.
Er spürte die Bedrohung, die von dem Drijanen ausging, der irgendwo im Dunkeln lauerte. Lean hatte keine Ahnung, welcher Art sein Gegner angehörte, noch, was er von ihm zu erwarten hatte. Verdammt, er wusste ja noch nicht einmal, ob es sich bei seinem Gegner überhaupt um einen Er handelte.
Bis aufs Äußerste gespannt, bemüht sich seine innere Unruhe nicht anmerken zu lassen, versuchte er erneut im Dunkeln etwas auszumachen. ,,Du bist doch nicht hier, um dich die ganze Nacht im Schatten zu verstecken, also komm raus, fenoil!'', rief er. ,,Oder wartest du darauf, dass uns gleich jemand erst noch einen Drink serviert?''
Plötzlich flackerte das gelbe Licht der einsamen Straßenlaterne, die den Eingang des Lamurr nur spärlich beleuchtete. Es reichte, um ihn nur ganz kurz abzulenken, dass er die Bewegung beinahe nicht registrierte. Eine Silhouette trat aus dem Schatten heraus. Es war eine Sie. Die unbekannte Drijane war immer noch gut im Dunkeln verborgen, er konnte weder ihr Gesicht erkennen, noch genauere Details ihres Körpers. Doch ihre Umrisse waren eindeutig die einer Frau.
Erst, als sie weiter ins Licht trat, wurde aus dem Schemen eine richtige Gestalt. Beinahe hätte Lean überrascht nach Luft geschnappt, als er sie erkannte. Es war die fremde, aber unsagbar schöne Marix aus dem Club, der er so unüberlegt nach draußen gefolgt war.
Viel zu spät gelangte er zu der Erkenntnis: Das war ihr Ziel gewesen. Ihn alleine nach draußen zu locken.
Keine schlechte Taktik; Verwirrung stiften, neugierig machen und dann verschwinden. Vor allem nicht, wenn man über Leans Charakterzüge Bescheid wusste und das taten gefährlich viele. Es war schließlich zu seinem Pech nicht wirklich unbekannt, dass er zu leidenschaftlichen, unüberlegten Reaktionen neigte.
Es erschien ihm ratsam, die Drijane vor ihm nicht zu unterschätzen.
Mit ein wenig seiner Magie, brachte er die Laterne stärker zum Leuchten, mit den ganzen Schatten um sich herum, fühlte Lean sich nicht wohl. Außerdem wollte er sein Gegenüber besser im Auge behalten. Er erwartete immer noch einen Angriff.
,,Wer bist du und was willst du?'', kam er gleich zur Sprache und fixierte die Marix mit hoffentlich einschüchternden Blick. Jetzt, im hellen Schein und von Angesicht zu Angesicht, nahm er erst ihre volle Schönheit war. Bei Avir und Terian, sie war das schönste Geschöpf, was er je hatte erblicken dürfen. Ihr schlanker Körper war in eher dunkle Kleidung gehüllt, was einen starken Kontrast zu der Farbe ihres Haares darstellte. Perlmuttfarbenes Haar umrahmte in leichten Locken ihr schmales, fein geschnittenes Gesicht. Volle rote Lippen, kristallklare blaue Augen mit langen schwarzen Wimpernkränzen und makellose Haut hätten sie engelsgleich wirken lassen können, wäre da nicht diese Ausdruckslosigkeit, die ihr ganzes Gesicht widerspiegelte.
Es jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Ein eiskalter Engel, ging es ihm durch den Kopf.
,,Ich bin Novaya'' Sie trat einen Schritt näher. Die Art wie sie sich bewegte war geschmeidig und anmutig, sie schien keinerlei Geräusche zu verursachen. Ein weiterer Grund, der ihn weiterhin auf der Hut sein ließ. Wer die Kunst beherrschte, sich so raubtierhaft zu bewegen, war nicht zu unterschätzen. Es wies auf langes Training hin und körperliche Geschicklichkeit. Diese Marix war alles andere als harmlos. Sie konnte kämpfen, da war er sich sicher.
Und die Kunst des Einschüchterns beherrschte sie ebenfalls, gestand er sich ein. Das hatte sie mit ihrem regelrecht dramatischen Auftritt bewiesen.
Er saugte jede Information, jedes kleinste Zeichen auf, das er kriegen konnte. Novaya, wiederholte Lean in Gedanken und kam nicht umhin den schönen Klang ihres Namens zu bewundern. Er passte zu ihr. Schön, anmutig und gleichzeitig gefährlich. Verführerisch, kam ihm ebenfalls in den Sinn.
,,Was willst du von mir, Novaya? Meinen Tod?'', versuchte Lean nun ihre Absichten zu ergründen. Ihr Gesicht blieb unleserlich, eine unverrückbare Maske. Es missfiel ihm, nicht den leisesten Hauch einer Emotion, einer Regung wahrnehmen zu können, irgendetwas, dass ihm verriet, welches Gefühl sie ihm entgegen brachte. Es hätte ihm Aufschluss über ihre Beweggründe und die Seite, auf der sie stand - wie die des dunkle Lord oder der Rebellen - , geben können. Doch nichts.
,,Ich will tatsächlich etwas'' Novaya trat noch einen Schritt näher, so lautlos wie die Schatten hinter ihr.
Es kam Lean so vor, als würde Novaya es absichtlich spannend machen und mit ihm spielen. Dabei hasste er Spiele. Lean war direkt. Das schätzten die Leute unter anderem so an ihm.
,,Und das wäre?'' Er ließ sie nicht aus den Augen, jede kleinste Bewegung registrierte er, sein sahaan immer noch sofort reaktionsbereit. Er traute ihr nicht. Schönheit konnte blenden, und auch wenn es ihm schwer fiel, sein Instinkt warnte ihn vor ihr und er hatte gelernt, wann es klüger war, auf ihn zu hören. Seinen Verstand konnte sie vielleicht benebeln, aber nicht seinen Urinstinkt.
Er hatte sich nicht getäuscht.
Lean registrierte die Bewegung ihrer Hand genau in dem Moment, in dem ihm eine sengende Salve Magie entgegen schoss. Das war der erwartete Angriff. Schnell materialisierte er sich fort und einige Meter weiter. Er hatte kaum Zeit, sich zu koordinieren, da rollte auch schon hellblauer Rauch auf ihn zu. Die Wolke dehnte sich immer weiter aus, überall war sahaan-gefüllter Nebel, der unaufhaltsam auf ihn zu kam. Irgendwo in dieser wirbelnden Rauchwolke war die Drijane verborgen. Lean sprang zurück und schleuderte eine gewaltige Woge seiner Magie mitten in das Zentrum der Wolke. Der Rauch zerstob, doch von der Marix war nichts zu sehen. Dann spürte er ihre Präsenz plötzlich hinter sich und wirbelte erneut herum. Dem Feuerblitz, den er ihr entgegen geworfen hatte, wich sie gekonnt aus. Er bereitete sich auf einen neuen Angriff vor, doch es kam nichts. Die Marix stand einfach nur da, nur wenige Meter von ihm entfernt. Ihre Lippen hatten sich zu einem schmalen Lächeln verzogen, das dennoch irgendwie emotionslos wirkte.
Sie wich gelassen einer weiteren seiner magischen Attacken aus. Als sie auch dann keinen weiteren Angriff startete, hielt Lean misstrauisch inne. Sein sahaan brodelte unter seiner Haut, jederzeit bereit sich erneut zu entladen.
Es überraschte ihn, wie stark die Marix zu sein schien. Sie wirkte nichtmal ein klein wenig geschafft, obwohl die Angriffe sie viel Energie gekostet haben mussten. Das war ungewöhnlich, es sei denn, sie hatte eine Ausbildung genossen, was aber nicht sein konnte. Schließlich wurde ihnen das verwehrt, genauso wie den Lupin und größtenteils auch Scharidan und Dyon. Letztere erhielten nur im Nahkampf Ausbildung, aber nicht in magischen Fähigkeiten. Das war einzig und allein den Ascan Elidrija und Celar vorbehalten gewesen.
Lean musterte Novaya erneut, aber es bestand kein Zweifel; die blauen Augen, die blaue Rauchwolke - sie war eindeutig eine Marix.
Eine verdammt gute Marix, dachte Lean.
,,Du kannst die Kampfhaltung jetzt aufgeben, ich werde dich nicht erneut angreifen.'' Ihre blauen Augen starrten kalt in seine. Als sie bemerkte, dass sich an seiner Haltung nichts änderte und sein sahaan weiter braune und rote Funken an seinen Fingern sprühte, hoben sich ihre Mundwinkel minimal. ,,Ich wollte nur sehen, ob du wirklich so stark bist, wie alle sagen.'' Sie legte den Kopf leicht schräg. ,,Es war nur ein kleiner Test. Schließlich muss ich ja wissen, ob du es überhaupt wert bist, mich als deine Verbündete zu gewinnen.''
Lean hatte gerade genug Selbstkontrolle, um zu verhindern, dass ihm der Mund aufklappte. Denn das wäre bei dieser frechen Dreistigkeit und Arroganz unweigerlich passiert. Er konnte es nicht fassen. Was erlaubte diese junge Drijane sich eigentlich?
,,Wie kommst du darauf, dass ich dich überhaupt als Verbündete will?'', knurrte er, ohne sich die Mühe zu machen, seine Aufgebrachtheit vor ihr zu verbergen.
Ihre Mundwinkel wanderten noch weiter nach oben und es kam ihm so vor, als würde sie ihn verspotten. ,,Oh, ich bin mir sicher das willst du. Euer netter, kleiner Widerstand kann jede Hilfe gebrauchen, soweit ich das gehört habe. Du wärst dumm, würdest du mich ablehnen.''
Zähneknirschend musste er sich eingestehen, das Novaya Recht hatte, auch wenn ihm ihre Wortwahl und Tonfall nicht gefielen. Aber Lean wäre tatsächlich dumm, würde er nur wegen Stolz sie abweisen, denn das sie stark war, hatte sie ihm gerade bewiesen. Und er hatte das trügerische Gefühl, dass ihre kleine Darbietung nur eine Kostprobe ihrer vollen Kraft gewesen war, sie hatte ja laut ihr selbst nur mit ihm gespielt. Auch wenn er nicht ganz begreifen konnte, wie eine Marix so mächtig sein konnte. Wenn Novaya aber zu den Stärksten der Marix gehörte, müsste sie auch Eis beherrschen können und würde generell in der Tat eine wertvolle Verbündete und Kämpferin darstellen.
Es war nur die Frage, ob er bereit wäre, das Risiko einzugehen, sie als Widerstandsmitglied zu gewinnen, auch wenn sie ohne Zweifel eine Bereicherung wäre. Denn das mit ihr ein Risiko einherging, war Lean durchaus bewusst. Er traute Novaya nicht. Ihr plötzliches Auftauchen, ihr Wissen über seinen Aufenthaltsort, ihre kleine List ihn herauszulocken, der Angriff, oder wie sie es nannte Test und ihre Wortwahl bei der Frage nach der Aufnahme in den Widerstand, die sie ausgerechnet ihm höchstpersönlich hatte zukommen lassen - etwas stimmte hier, mit ihr ganz und gar nicht.
Dennoch....
,,Habe ich denn deinen netten, kleinen Test bestanden?'', erkundigte er sich mit einer Spur von dem selben Spott, den sie ihm entgegenbrachte.
,,Meine Erwartungen wurden nicht ganz erfüllt, aber du hast bestanden.'', erwiderte sie und betrachtete ihn abschätzend. Und wieder überraschte sie ihn.
Lean schnaubte. Sein Ego fühlte sich ein wenig von ihr und ihren Worten angegriffen.
,,Was sind deine Beweggründe dem Widerstand beizutreten und warum warst du ausgerechnet auf der Suche nach mir dafür? Meine Stellvertreter sind eigentlich für diese Art von Belangen zuständig.'' Lean war immer noch misstrauisch und bezweifelte auch, dass das Misstrauen und die Vorsicht jemals verschwinden würden.
,,Ich will nicht tatenlos dabei zusehen, wie meine Heimat verkümmert. Ascandrija ist dem Untergang geweiht, wenn der Lord nicht aufgehalten wird. Bisher habe ich es auf eigene Faust versucht, doch ich sehe ein, dass vereint viel mehr erreicht werden kann. Deswegen möchte ich mich euch anschließen.'' Ihre Antwort klang überzeugend.
Lean musterte Novaya ein weiteres Mal, wobei er versuchte, nicht ihrer Schönheit zu verfallen. Das wäre jetzt das Letzte, was er gebrauchen konnte.
,,Woher wusstest du, dass ich mich zurzeit auf der Erde aufhalte?'', stellte er die Frage, die ihn schon von Anfang an beschäftigte. Hatte er vielleicht irgendeine Sicherheitslücke? Lean konnte sich nicht vorstellen, dass es einen Verräter in seinem engsten Kreis gab. Sie alle achteten Loyalität. Nein, daher konnte die unbekannte Marix ihre Informationen nicht beziehen.
Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte ihre Lippen. ,,Ich denke, manche Geheimnisse behält man besser für sich.''
Lean knirschte unterdrückt mit den Zähnen. Verdammt. Dagegen konnte er nichts sagen.
Er wünschte, Novaya wäre häßlich - dann wäre es ihm vielleicht leichter gefallen einen kühlen Kopf zu bewahren und eine taktisch kluge Entscheidung zu treffen, ihr vielleicht auch eine passende Beleidigung entgegen zu schleudern.
,,Na schön.'', knurrte er. ,,Wir werden dich im Widerstand aufnehmen. Am besten du machst dich schon morgen auf den Weg zurück zum Portal und nach Ascandrija. Ich werde dich dort in eines der Lager schicken, wo du dann alles weitere erfährst und auf deinen ersten Einsatz vorbereitet wirst.''
,,Warte'', unterbrach sie ihn und schien alles andere erfreut. ,,Du willst mich alleine zurück nach Ascandrija kommandieren?''
Lean nickte. Sein Körper war zwar immer noch gespannt und auf alles vorbereitet, aber sein sahaan hatte sich längst wieder zurückgezogen. Er spürte es kaum mehr.
,,Nein'', widersprach sie daraufhin. Unterdrückter Zorn schwang kaum merklich in ihrer schneidenden Stimme mit. ,,Ich werde in deiner Nähe bleiben.''
,,Was?'', entfuhr es ihm überrascht und nun selber ein wenig verärgert. ,,Oh nein. Du wirst in Ascandrija mitkämpfen, wie die meisten anderen Rebellen auch. Deswegen wolltest du doch in den Widerstand, oder etwa nicht?''
Novaya presste die Lippen aufeinander, offensichtlich bemüht ihn nicht gleich unkontrolliert anzufahren. ,,Das stimmt, ist aber nicht ganz richtig.'', ließ sie ihn bemüht ruhig wissen. ,,Ich bin nicht wie die anderen. Ich bin stärker. Und ich möchte im Widerstand an deiner Seite kämpfen.''
Seine linke Augenbraue wanderte nach oben. ,,Du verlangst also nach einem Platz in meinem inneren Kreis?''
Novaya antwortete nicht, sie schaute ihm nur ausdruckslos in die Augen. Lean schnaubte. ,,Das ist leider nicht möglich. Mein innerer Kreis besteht nur aus wenigen Leuten, denen ich absolutes Vertrauen entgegenbringe und die ich schon sehr lange kenne.'' Das das nur auf drei von Fünf zutraf, brauchte sie nicht zu wissen. Aber sowohl Fareth als auch Mariel hatten es geschafft sehr schnell sein Vertrauen zu gewinnen, mit ihrer Art und ihren Aktionen hatten sie sich oft genug bewiesen. Bei dieser Marix vor ihm war jedoch weder ihre Verhaltensart noch ihre Aktionen auch nur in irgendeiner Weise annähernd vertrauenserweckend erschienen.
,,Nun, ich glaube, es wäre für dich aber von großem Vorteil, mich in deiner Nähe zu haben.'', sagte Novaya schon wieder so geheimnisvoll und trat unter seinem wachsamen Blick einen Schritt näher. ,,Ich bin äußerst nützlich. In vielen Bereichen.''
Lean wollte gerade nachfassen, als hinter ihm plötzlich die Tür aufdonnerte und sich Novayas Blick auf die Person hinter ihm richtete. Noch im selben Moment flackerte die Laterne wieder und ging schließlich ganz aus.
Caja, wie er an der bekannten Energie erkannte, die von ihr in leichten Wellen ausging. Das Markenzeichen jedes Drijanen.
Bevor er sich umdrehen oder noch etwas sagen konnte, ging das Leuchten auch schon wieder an und Novaya war verschwunden. Nur ihre letzten Worte wehten noch wie ein Windhauch zu ihm herüber. ,,Denk über mein Angebot nach''
Lean wandte sich zu Caja, die zu ihm gestürzt kam, mit gezogenem Schwert und dabei ihre Umgebung im Blick behielt. ,,Wer war das? Ich konnte sie nicht richtig sehen - sie war zu schnell weg.''
Auch Lean streckte nochmal die Fühler seines sahaan aus, um eine weitere, fremde Energie wahrnehmen zu können. Doch da war nichts. Diesmal war sie wirklich weg.
Als beide zu dem Schluss gekommen waren, dass sie alleine waren, steckte Caja ihre Waffe wieder weg und richtete ihren geladenen Zorn gegen Lean. ,,Bei den Göttern, Lean bist du des Wahnsinns? Was sollte das schon wieder? Da lässt man dich eine Minute aus den Augen und schon bist du verschwunden und Fareth sagte mir, dass du irgendeiner Marix hinterher gerannt bist, die nach dir gefragt hatte! Verdammt, Lean! Weißt du, wie gefährlich das war?'', fauchte sie ihn an und Lean konnte nur genervt die Augen verdrehen. ,,Das weiß ich, Caja. Schon vergessen - ich bin kein kleiner Junge mehr, sondern Rebellenanführer''
,,Wer war das?'', zischte Caja immer noch aufgebracht und ging gar nicht erst auf seine Worte ein. Doch Lean kannte die Taufe Lupin gut genug, um zu wissen, dass hinter ihrem Ausbruch nur die Sorge um ihn und sein Wohlbefinden war. ,,Es geht mir gut, Caja. Es - mir ist nichts passiert.'', versuchte er sie also ungewöhnlich sanft für ihn zu beruhigen.
Caja atmete tief durch. Lean erkannte die Erleichterung in ihrem Blick, aber auch das Misstrauen. ,,Gut. Und jetzt nochmal, wer war das?'', forderte sie ihn erneut auf, diesmal ein wenig ruhiger.
Leans Blick richtete sich auf die Stelle, an der die schöne Marix noch vor kurzem gestanden hatte. ,,Novaya'', sagte er schlicht. ,,Und ich denke, wir werden sie wiedersehen.''
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Novaya - Ascandrijas Widerstand
Teen FictionIn dem magischen Reich Ascandrija hat sich nach der brutalen Herrschaftsübernahme des dunklen Lords so einiges verändert. Das Reich ist nicht mehr wieder zu erkennen, doch noch ist nicht jeder bereit die Hoffnung aufzugeben. Der sogenannte Widerstan...