Gerade war Novaya noch vor dem Eingang des Clubs gewesen, aber schon im nächsten Moment war sie verschwunden. Sie stellte sich die kleine Gasse vor, die sie auf ihrem Weg zum Lamurr gesehen hatte, dann materialisierte Novaya sich auch schon umgeben von dem vertrauten Rauch in die leere Gasse.
Es fiel ihr schwerer als sonst. In Ascandrija merkte sie es gar nicht, aber hier auf der Erde war es so mühsam wie als müsste man mit einem Rucksack voller Steine einen Gipfel erklimmen. Das lag größtenteils an dem Eisengehalt, der vor allem hier in der Stadt stark ausgeprägt war und sie - oder besser gesagt ihr sahaan - auslaugte, sodass einfache Handlungen mehr Energie erforderten als sonst.
Novayas Blick glitt wachsam umher, als sie ihren Kapuzenumhang manifestierte. In der angenehm kühlen Nachtluft zog sich Novaya wieder ihre Kapuze tief ins Gesicht und verschmolz dann nahezu mit den langen Schatten, die die beiden Gebäude verursachten, die hoch neben ihr aufragten.
Sie musste für heute Nacht noch einen geschützten Schlafplatz finden.
Novaya war überrascht von dem bunten Nachtleben, das hier zu herrschen schien. Touristen und junge Menschenmädchen mit braungebrannter Haut bevölkerten den Ort und drängten sich durch die Straßen und an ihr vorbei, ohne sie wirklich zu registrieren, während sie sich Handys ans Ohr hielten und mit ihren Freunden lachten. Männer und Frauen gingen auf sie zu und reichten ihnen Reklamezettel von Bars und neuen Clubs. Von jeder Ecke her schien Musik zu kommen und grelles Licht. Leuchtreklamen blickten und auf elektronischen Werbetafeln wurden Filme angepriesen. Jede Hausfassade schien mit bunten Schildern geschmückt. Ein Mann mit langen ungepflegten Haaren und schlabbrigen Klamotten saß an einer Straßenecke mit einem Pappbecher vor sich und bettelte. Ein kleines Mädchen wurde schreiend von seiner Mutter getragen, die peinlich berührt versuchte es zum Schweigen zu bringen.
Und über allem erstreckte sich der dunkle Nachthimmel, überzogen von glitzernden Punkten.
Der Anblick faszinierte Novaya. Ein leiser Hauch von Sehnsucht überkam sie, die tief in ihrem inneren wohnte. Sie erwischte sich dabei, sich für einen Moment zu wünschen, Teil dieser so sorglos erscheinenden Masse zu sein.
Schnell schüttelte sie diesen lächerlichen Gedanken ab, zu sehr schämte sie sich für ihn. Das hier waren Menschen. Minderwertige, dumme Kreaturen.
Die nicht viel anders sind als ihr momentan, flüsterte ihr eine leise, fiese Stimme in ihrem Inneren zu. Novaya blendete sie und ihre spöttische Worte aus.
In ihrer kurzen Zeit auf der Erde hatte Novaya bisher schon so einiges gelernt. Handys, Filme, Autos - all das war ihr nun ein Begriff. Auch wenn sie denn Sinn dahinter teilweise nicht ganz verstand. Sie wusste, dass Menschen über keine Magie verfügten, deswegen verstand sie Autos und Handys auch noch als logisch, aber Filme? Wieso verlor man sich in ausgedachten Märchengeschichten? Es war ihr rätselhaft, wie so vieles andere der Menschen.
Vor einem meterhohen Gebäude, dessen Vorderseite nur aus verspiegeltem Glas bestand, blieb Novaya stehen. Sie hatte schnell gelernt, dass sich in dieser Welt mit diesen dünnen Scheinchen, die die Menschen Geld nannten, alles kaufen ließ. Hier regierten nicht die Stärksten der Bewohner wie in Ascandrija, sondern die, die am meisten Geld besaßen und sich dadurch Macht erkauften und sie nicht schon wie die Ascan Elidrija von Geburt an in ihren Körpern trugen.
Zu ihrem Glück, stellte das keinerlei Problem dar. Im Gegenteil - es erleichterte diese Sache um einiges. Novaya konnte sich genauso wie jeder andere Drijane einfach dieses finanzielle Mittel manifestieren. Und das in Unmengen.
Selbstsicher schritt sie über den ausgelegten, roten Teppich und betrat die marmorne Art-Deko-Eingangshalle mit der kuppelartigen Decke. Hinter dem glänzend weißen Tresen saßen zwei Empfangsdamen in edlen Uniformen, auf die Novaya nun zusteuerte. ,,Ein Zimmer für eine Woche.''
Die eine blonde Frau schaute hoch und verzog ihren knallpinken Mund. Der Blick aus ihren braunen Augen war abfällig. ..Tut mir leid, Miss, aber wir sind ausgebucht.''
Die andere Empfangsdame warf ihrer Kollegin einen irritierten Blick zu, wagte es aber nicht, sich einzumischen.
Auf dem schmalen Kärtchen an ihrer Brust stand Candice Dender.
Novaya hatte Candice längst durchschaut. Sie zog die Kapuze ihres Mantels zurück, und offenbarte ihr überirdisch schönes Gesicht. Die Empfangsdame starrte sie sprachlos und von ihrer Schönheit sichtlich gebannt an.
Als Novaya dann abwartend eine Augenbraue hochzog und zusätzlich auch noch ein Bündel Geld auf den Tresen warf, schluckte die Frau schwer. Candice tat so, als würde sie ihren Computer extra nochmal überprüfen, obwohl sie beide wussten, dass sie vorhin gelogen hatte.
Candice zwang sich ein falsches Lächeln auf die pinken Lippen. ,,Sie haben Glück, Miss. Anscheinend ist mir ein kleiner Irrtum unterlaufen, wir haben tatsächlich noch ein Zimmer in der gewünschten Zeitspanne frei.''
Novaya lächelte nicht, als sie ihr die benötigten Daten für die Anmeldung gab - natürlich alle ausgedacht. Ausdruckslos beobachtete sie, wie die Empfangsdame anschließend eine weiße Schlüsselkarte mit goldenen Verzierungen hervor kramte und sie ihr mit einem Prospekt rüberschob. ,,Zimmernummer steht auf der Karte und alle Vorzüge und Angebote unseres Hotels finden sie in dem Prospekt. Wir wünschen einen angenehmen Aufenthalt.''
Novaya riss sich zu einem knappen Nicken zusammen, griff nach der Karte und dem Papier und ging dann in Richtung der silbernen Tür, in der sie schon andere Leute drinnen hatte verschwinden sehen.
Sie drückte und hämmerte dagegen, doch nichts passierte. Sie zog - das gleiche Ergebnis. Ihre SChläge sorgten nur für Dellen. Sie wollte gerade ihre Magie anwenden, um diese Türen aufzubekommen, da stellte sich plötzlich ein kleines Mädchen neben sie, warf ihr einen schrägen Blick von der Seite zu und drückte auf einen der beiden Knöpfe seitlich der Türen, der daraufhin aufleuchtete. Wenige Sekunden später glitten die Türen auseinander und gaben den Blick auf einen kleinen metallischen und gläsernen Raum frei. Ohne zu Zögern stieg das Mädchen ein und drückte wieder auf einen der Knöpfe.
Novaya hatte sie bei ihrem Tun einfach nur angestarrt und stand nun unbewegt immer noch an der selben Stelle, unsicher, was sie nun tun sollte. Sie spürte, wie das Eisen an ihr zehrte und dieser winzige Kasten erschien ihr alles andere als vertrauenserweckend. Sie konnte nicht mal einen Ausgang in dem Ding ausmachen. Aber irgendwohin mussten die Menschen, die da vorher reingegangen waren, ja verschwunden sein. Und wenn dieses Kind da so unerschrocken reinmarschierte, dann konnte Novaya das auch.
Trotzdem betrat sie den seltsamen Kasten nur zögerlich, den komischen Blick des Mädchens ignorierend. Hinter ihr glitten die schweren Metalltüren wieder zu und augenblicklich wurde Novaya die Luft knapp. Sofort bereute sie es hier eingestiegen zu sein. Was, wenn das eine Falle war? Und ohne die Verbindung zu den Elementen und mit dem ganzen Metall um sich herum, spürte Novaya eine völlig neue, nie dagewesene Schwäche. Ihr sahaan konnte in solch einer Umgebung keine Kraft schöpfen. Das bis dato unbekannte Gefühl erschreckte Novaya. Auch die ungewohnte Enge machte ihr zu schaffen. Auf ihrer Stirn und Oberlippe bildeten sich kleine Schweißperlen und ihr Herz schlug unregelmäßig.
Als dann auch noch plötzlich ein leichter Ruck durch den merkwürdigen Apparat ging und er sich nach oben bewegte, sprang Novaya fast schon vor Schreck hoch und nahm eine kampfbereite Position ein, während sie alles genau scannte.
Das kleine Mädchen in dem hellblauen Blümchenkleid war erschrocken in eine Ecke zurückgewichen, wo sie sich an einer abgegriffenen goldenen Stange festhielt, und starrte Novaya an, als wäre sie völlig durchgeknallt.
Novaya wollte gerade der Tür einen gezielten Tritt mit all ihrer übernatürlichen Kraft geben, um sie aufzubekommen und schnellstmöglich dieses etwas zu verlassen, dessen Wände immer näher zu kommen schienen und sie erdrücken zu scheinen wollen, da erregte das Menschenkind ihre Aufmerksamkeit. ,,Was?'', fuhr Novaya sie an.
,,Was machst du da?'', erklang die leise, unsichere Stimme des Mädchens und sah deutlich eingeschüchtert aus.
,,Was denkst du denn, mendul? Ich versuche uns aus diesem Höllending rauszuholen!''
Das Menschenmädchen, das sie gerade noch als Menschendreck beleidigt hatte, sah jetzt sehr verwirrt aus. ,,Mendul? Was heißt das? Und wieso nennst du den Fahrstuhl Höllending?''
Novaya hielt nun gänzlich inne und drehte sich komplett dem Kind zu. ,,Was? Was ist ein Fahrstuhl und wieso hast du keine Angst?'' Diesmal war es an ihr verwirrt zu klingen.
Das Mädchen runzelte die Stirn und kicherte dann leicht. ,,Du weißt nicht was ein Fahrstuhl ist? Und ich brauche doch keine Angst zu haben.'' ,,Ein Fahrstuhl ist ein besonderes Gefährt, das einen in ein anderes Stockwerk bringt, wenn man zu faul zum Laufen ist - so hat mir meine Mami das erklärt.'', fügte sie noch hinzu und klang dabei ganz stolz über ihr Wissen.
Jetzt starrte Novaya sie einfach nur an, bis plötzlich ein pieptonartiges Geräusch erklang und die Türen wieder aufglitten. Das Mädchen wies darauf. ,,Siehst du? Gerade waren wir noch unten in der Lobby und jetzt sind wir im 5.Stock, ohne dass wir uns bewegen mussten.''
Dann lief sie an Novaya vorbei nach draußen, winkte und verschwand um eine Ecke. Novaya schaute dem Menschenkind noch kurz hinterher, doch als die Fahrstuhltüren sich wieder schließen wollten, zwängte sie sich schnell hindurch.
Was für seltsame Errungenschaften die Menschen doch hatten, dachte sie bei sich und lauschte dem Geräusch, das verriet, dass das Gefährt sich erneut in Bewegung setzte.
Wie bestellt und nicht abgeholt stand Novaya nun erstmal in dem Flur und wusste nicht so recht, wohin mit ihr. Fest stand nur, dass sie diesen Metallkasten, für die Menschen praktisch oder nicht, nicht noch einmal betreten würde.
Sie würde gleich nach der Besichtigung ihres Zimmers eine Erkundungstour durch das Hotel machen, um sich dann fortmateralisieren zu können.
Hastig wischte Novaya sich den leichten Schweißfilm aus dem Gesicht und nahm dann ihre Umgebung genauer unter die Lupe. Das Erste, was ihr auffiel, war der rote Teppich mit dem auch hier der Boden ausgelegt worden war; das Zweite die kleinen Schildchen mit den goldenen Zahlen an den Türen. Die Tür direkt neben ihr war 513.
Novaya warf einen Blick auf ihre Zimmerkarte und las ihre Nummer ab: 524.
Sie folgte dem Flur in Richtung der steigenden Zahlen, bis zum letzten Zimmer in der Reihe. Sie hielt die Karte vor den Sensor und musste erst ein wenig ausprobieren, bis die Tür schließlich mit einem leisen Klicken aufging.
Ein kleiner, breiter Flur lag vor ihr, von dem und eine Tür abging und der in einem offenen Raum endete. An der gegenüberliegenden Wand der Badezimmertür, wie Novaya herausfand, stand noch ein offener Garderobenschrank.
Es war klein und enthielt nur das nötigste, aber da Novaya eh plante ihren Aufenthalt so kurz wie möglich zu halten, würde es wohl genügen.
Nachdem sie alles einer gründlichen Inspektion unterzogen hatte, ließ sie sich in das schneeweiße Bett fallen. Ihr Blick glitt zum Fenster. Der funkelnde Nachthimmel zog Novaya förmlich an. Sie ging zum Fenster, öffnete es so weit es ging und schwang sich auf den Fenstersims, sodass ihre Beine in schwindelerregender Höhe baumelten. Unter ihr wurde die Stadt zu einem blinkenden, bunten Leuchtmeer, über ihr die glitzernde Dunkelheit. Es war ein überraschend schöner Anblick. So etwas hatte Novaya von der Erde in Mitten einer umweltverpestenden Stadt nicht erwartet. Es faszinierte sie in gewisser Weise wie die Menschen gleichzeitig schönes und schlechtes erschaffen konnten.
Als Drijane kam Novaya mit viel weniger Schlaf aus, als die Menschen. Wobei sie als Ascan Elidrija noch zusätzlich darauf trainiert war, auch wochenlang ohne auszukommen. Vor allem jetzt war Novaya dankbar für diesen Umstand. Schlaf machte einen verletzlich und angreifbar und hier in dieser fremden Welt waren das Eigenschaften, die sie jetzt noch weniger gebrauchen konnte als in Ascandrija im Palast der Ascan Elidrija.
Es war also besser, sie würde die nächsten Tage erstmal kein Auge zu tun und sich dem trügerischen Schutz der Traumwelt hingeben.
Ein bestimmtes Paar blaue Augen drängte sich in ihr Bewusstsein. Sie erinnerte sich an den Blick, der in ihnen gelegen hatte, dieses Schimmern in ihnen. Es hatte sie für einen winzigen Moment tatsächlich aus der Bahn geworfen. Faszination alleine reichte nicht aus, um das zu beschreiben, was sie für eine klitzekleine Sekunde empfunden hatte, und das gefiel Novaya ganz und gar nicht. Aber sie hatte sich schnell wieder unter Kontrolle gehabt und das unbekannte Gefühl war so schnell verschwunden gewesen wie es aufgetaucht war. Der Ausdruck in Leans Augen, als sie ihn angegriffen und sich als stärker herausgestellt hatte als er vermutlich dachte, hatte ihr dafür aber umso mehr gefallen.
Oh ja, das würde noch interessant werden.
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Novaya - Ascandrijas Widerstand
Fiksi RemajaIn dem magischen Reich Ascandrija hat sich nach der brutalen Herrschaftsübernahme des dunklen Lords so einiges verändert. Das Reich ist nicht mehr wieder zu erkennen, doch noch ist nicht jeder bereit die Hoffnung aufzugeben. Der sogenannte Widerstan...